Die Konfrontation mit schwerer Krankheit oder
bevorstehendem Tod: vielfach Panik, Ratlosigkeit, besonders in einer
Zeit, die den Tod verdrängt. Was tun? Wie helfen? Gespräch mit einem
erfahrenen Seelsorger:
Ist die Betreuung Schwerkranker und Sterbender ein wichtiger Teil Ihrer Seelsorge?
P. Thomas Lackner:
Ja, durchaus. Ich bin oft zu Kranken und Sterbenden gerufen worden. Da
gerät man in eine Situation, mit der sehr viele Menschen nicht umgehen
können. So rufen mich beispielsweise Verwandte der betreffenden Person
an, bitten mich aber, nicht zu sagen, sie hätten mich gerufen, sondern
ich sei nur zufällig da. Ich antworte darauf meistens: „Wissen Sie, ein
Sterbender kapiert das durchaus, dass ich nicht zufällig vorbeigekommen
bin.“ Viele versuchen, in dieser Notsituation den Ernst der Lage zu
überspielen und zu verdecken. Die Verwandtschaft gibt oft vor, es sei
gar nicht so schlimm. Man sagt mir: „Bitte sagen Sie nur ja nicht, dass
er oder sie bald sterben wird!“ Gehe ich dann zu dem Sterbenden hinein,
bekomme ich zu hören: „Ich weiß, wie es um mich steht, aber bitte sagen
Sie es meiner Familie nicht!“ Heute fehlt vielfach der Mut zur
Ehrlichkeit in diesen Extremsituationen. Man will dem anderen nicht weh
tun. Genau durch dieses Verhalten aber steht man sich gegenseitig im
Weg.
Verhalten sich vor allem Menschen, die dem Glauben fernstehen, auf diese Weise?
P. Lackner:
Zwar gibt es Ausnahmen, aber in den meisten Fällen spielt es sich so
ab. Der Tod ist nämlich die Herausforderung des Glaubens. Im Sterben
wird offenkundig, ob sich jemand im Glauben festmachen kann oder nicht.
Wer nur ein bisschen Glauben hat, wird leicht in so ein Verhalten
geraten. Aber es gibt auch das Sterben von Menschen, die fest im Glauben
stehen. Ich erinnere mich an eine Begebenheit in Dornbach. Da habe ich
mit einer Familie – ich hatte einige Kinder der Familie getauft und
getraut – Krankensalbung richtig gefeiert. Der Vater, ein tiefgläubiger
Mann, hatte um die Sterbesakramente gebeten. Alle wussten, dass er
unmittelbar vor dem Tod stand. Die Kinder hatten alles wunderschön
vorbereitet und der Kranke war bei vollem Bewusstsein – und ist am
darauffolgenden Tag gestorben.
Es ist also entscheidend wichtig, den Priester zu rufen.
P. Lackner:
Leider erlebe ich, dass viele Menschen, sich genau das nicht trauen.
Das hat auch damit zu tun, dass noch viele das Wort „Letzte Ölung“ im
Ohr haben. Viele scheuen sich dann, den Priester zu rufen, denn „wenn
der Pfarrer kommt, ist alles verloren…“ Dann werde ich leider oft erst
gerufen, wenn es zu spät ist. Und dann bleibt mir nur, die Sterbegebete
zu beten. Die Seelsorge muss sich darum bemühen, den Menschen
begreiflich zu machen, dass sie den Priester rechtzeitig rufen und nicht
warten, bis der Tod eingetreten ist.
Wäre es also sinnvoll, schon bei schwerer Erkrankung den Priester einzubeziehen?
P. Lackner:
Ja. Und es gibt auch eine Reihe von Leuten, die sich in der Krankheit
begleiten lassen. Sie bitten ganz bewusst vor einer schweren Operation
um die Krankensalbung. Und sie freuen sich über Gebetsbegleitung. Bei
einer Frau in Brunn am Gebirge hat sich das so abgespielt: Wir sind nach
der Krankensalbung über Telefon (in anderen Fällen über E-Mail) in
Kontakt geblieben. Gestern erst habe ich ihr – worüber sie sich sehr
gefreut hat – mitgeteilt, dass ich sie im Gebet auf der Wallfahrt nach
Mariazell mitgenommen hatte. Diesen Dienst des Mittragens sollten wir
uns überhaupt stärker vornehmen. Menschen, die auch nur ein bisschen
Zugang zum Glauben haben, empfinden das Bedürfnis, im Gebet begleitet zu
werden – auch von den Heiligen. Aber vor allem wir Priester sollten die
uns Anvertrauten mit in die Heilige Messe und in unsere Gebete
einschließen.
Haben Sie erlebt, dass Menschen in solchen äußersten Notsituationen zum Glauben gefunden haben?
P. Lackner:
Ja, durchaus. Manche sogar intensiv. Allerdings kann es dann schon auch
passieren, dass diese Zuwendung wieder verlorengeht, wenn sich die
Situation wieder normalisiert hat. Ich habe da einen Fall vor Augen, wo
ein Mann in einer äußersten Notsituation zum Glauben gefunden und dann
auch eineinhalb Jahre praktiziert hat. Dann aber, als sich der
Alltagstrott eingestellt hat, schien alles wieder versandet. Als
allerdings seine Mutter starb, hat er mich angerufen. In dieser
Ausnahmesituation klammert sich der Mensch doch wieder an den Glauben.
Dann sind wir Priester gefordert. In solchen Situation müssen wir
erreichbar sein – und das ist oft schwierig. Denn eine Taufe kann man
planen, eine Notsituation kommt meist unvorhergesehen.
Verfügbarkeit ist also wichtig. Haben Sie sich darum bemüht?
P. Lackner:
Ja, ich sage den Leuten, sie könnten sich jederzeit bei mir melden.
Allerdings machen nur wenige von dem Angebot Gebrauch, nachdem ich die
Krankensalbung gespendet habe. Oft werde ich erst wieder gerufen, um die
Sterbegebete zu sprechen oder wenn es um das Begräbnis geht. Wir müssen
unbedingt den Schatz der Krankensalbung, ein Sakrament, das aufrichten
soll, ins Bewusstsein heben.
Machen Sie die Erfahrung, dass dieses Sakrament die Menschen tatsächlich aufrichtet?
P. Lackner:
Viele haben mir dieses Feedback gegeben, besonders wenn sie es vor
einer schweren Operation, einer Chemotherapie empfangen hatten.
Was bedeutet dieser Umgang mit Sterbenden für Sie persönlich?
P. Lackner:
Anfangs war das für mich eine riesengroße Herausforderung – besonders,
wenn man in eine Intensivstation gerufen wird, einem Sterbenden die
Sakramente zu spenden. Durch das hoch technisierte Umfeld ist die
Situation noch einmal bedrängender. Da war ich schon angsterfüllt und
sehr aufgeregt. Wenn ich heute zu Sterbenden komme, nehme ich mich
komplett zurück und bin innerlich ruhig. Da ist es meine Aufgabe, in der
oft vorhandenen Aufgeregtheit, Ruhe und Hoffnung auszustrahlen. Ich
lade die Anwesenden ein, gemeinsam die Sakramentenspendung zu feiern.
Wollen die Menschen in dieser Lebenssituation beichten?
P. Lackner:
Das ist unterschiedlich. Es gibt jene, die wirklich reinen Tisch machen
wollen. Oft sind das Leute, die über Jahrzehnte nicht gebeichtet haben.
Bei dieser Gelegenheit kommt dann meist sehr viel hoch. Ich merke dann,
welche große Hilfe das für die Menschen ist. Sie haben viel
mitgeschleppt. Im Alltag war ihnen vieles nicht bewusst, sie meinten,
das müsse man alles nicht so genau nehmen, es machten ohnedies alle so.
Nun aber, da sie dem Tod ins Auge blicken, setzen sie sich intensiv mit
ihrem Leben auseinander. Da ist es die Aufgabe des Priesters, den
Menschen erfahren zu lassen, dass die Barmherzigkeit Gottes um ein
Vielfaches größer ist als die schwerste Sünde. Gott hasst zwar die
Sünde, Er liebt aber den Sünder. Hier darf man nicht den Fehler machen,
das Geschehene zu verharmlosen. Wenn jemand sagt, er habe gesündigt,
darf ich nur ja nicht sagen, das wäre alles nur halb so schlimm. Sünde
bleibt Sünde, aber sie wird vergeben. Gott führt den Menschen aus der
Sackgasse der erkannten Schuld heraus und schenkt ihm Vergebung.
Was würden Sie jemandem raten, der mit dem Sterben eines Angehörigen konfrontiert ist?
P. Lackner:
Die meisten Todkranken wissen um ihre Lage Bescheid, ebenso ihre
Umgebung. Und da wäre es wichtig, dass sich alle Beteiligten der
Situation stellen. Man muss vermeiden, sich gegenseitig „anzulügen“.
Dazu braucht es oft von außen Hilfe. Im Rahmen der Hospiz-Bewegung wird
da wertvolle Hilfe geleistet. Allerdings ist es wichtig, dass dabei
nicht die spirituelle Ebene außer Acht gelassen wird. Hier ist die
Kirche gefragt. Da genügt nicht ein Gespräch, man muss sich auf einen
Prozess einlassen.
Zum Schluss eine Frage zum Thema Begräbnis: Ist das nicht eine besondere Gelegenheit der Glaubensverkündigung?
P. Lackner:
Die Beerdigung ist eine große Chance. Man muss sie allerdings
wahrnehmen und sich bemühen, genau in die Situation der Betroffenen
hineinzusprechen. Ich denke, es reicht nicht, allgemein über Tod und
Auferstehung zu sprechen. Da sagt jeder: „Das ist eben der Job des
Pfarrers.“ Es gilt, diese Wahrheiten in die konkrete Lebenssituation des
Verstorbenen hineinzunehmen. Gestern habe ich eine 95-Jährige beerdigt.
Sie war noch vor einer Woche in der Kirche auf ihrem Platz. Und da habe
ich unter anderem gesagt, dass sich die Verstorbene jetzt sicher
wünschen würde, dass ihr Platz in der Kirche nicht verwaist bleibt. Denn
jeder Verstorbene hinterlässt ein Erbe – nicht nur ein materielles, um
das dann oft gestritten wird. Dieses geistliche Erbe sollte die Familie
ebenso antreten wie das materielle. Übrigens ein anderes Beispiel für
geistliches Erbe: Der Vater, von dem ich erzählt habe, dass er im Kreise
seiner Familie die Sakramente empfangen hat, hatte die Gewohnheit, sich
mit jedem Kind anlässlich dessen Geburtstags zu einem Mittagessen zu
treffen. Auf dieses Treffen bereitete er sich stets durch eine Stunde
Gebet und Messe im Stephansdom vor. Die Kinder haben das übernommen:
Wenn sie Geburtstag haben, gehen sie in den Dom und erinnern sich: Der
Papa hat da die Messe mitgefeiert. Sie versuchen jetzt, das bei den
eigenen Kindern auch zu machen.
Mit dem Tod ist die Betreuung also keineswegs zu Ende…
P. Lackner:
Durchaus nicht. Ein wichtiger Aspekt ist die Trauerbegleitung. Ich lade
die Hinterbliebenen ein, über ihre Trauer zu sprechen. Das wird recht
gut angenommen, vor allem auch deswegen, weil das Mitleid der
Mitmenschen relativ bald nachlässt. Dann heißt es: „Jetzt müsstest Du
eigentlich schon darüber hinweg sein…“ Und damit kommen viele nicht
zurecht. Diese Trauerbegleitung kann durchaus länger dauern – und sie
kann auch über größere Distanzen erhalten bleiben. Aus meiner Zeit in
Maria Enzersdorf gibt es immer noch Leute, die regelmäßig hier nach
Frauenkirchen kommen und sich begleiten lassen.
Haben Sie erlebt, dass Menschen ruhig und erwartungsvoll in den Tod gegangen sind?
P. Lackner:
Wenn ich mich an die Gesichter von Toten erinnere, so vermittelte mir
das meist eine Ahnung von dem, was Vollendung bedeutet. Ein wirklich
besonderes Erlebnis. Man spürt einen tiefen Frieden. Es wird deutlich:
Da steht nicht der Schrecken der Trennung im Vordergrund, sondern es
wird spürbar, dass der Tod die Vollendung des Lebens hier auf Erden,
aber auch das Hineinbewegen in die Ewigkeit Gottes ist. Sie können wir
nie in ihrer Fülle beschreiben, aber erahnen, dass sie etwas Großartiges
sein muss. Ich denke an unseren Bruder Florian. In seinen letzten
Stunden haben wir beinahe mit ihm geatmet. Als er seinen letzten Atemzug
getan hat, ist er in eine neue Welt hinüber gegangen.
P. Thomas Lackner OFM war viele Jahre Pfarrer in Maria Enzersdorf und ist derzeit Pfarrer in Frauenkirchen. Mit ihm sprach CG.