Joannes Paul II
ENZYKLIKA
FIDES ET RATIO
VON PAPST
JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE
DER KATHOLISCHEN KIRCHE
ÜBER DAS VERHÄLTNIS
VON GLAUBE UND VERNUNFT
Segen
Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt,
Gruß und Apostolischen Segen!
Glaube und Vernunft (Fides et ratio) sind wie die beiden Flügel,
mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt.
Das Streben, die Wahrheit zu erkennen und letztlich ihn selbst zu
erkennen, hat Gott dem Menschen ins Herz gesenkt, damit er dadurch, daß er
Ihn erkennt und liebt, auch zur vollen Wahrheit über sich selbst gelangen
könne (vgl. Ex 33, 18; Ps 27 [26], 8-9; Ps 63 [62],
2-3; Joh 14, 8; 1 Joh 3, 2).
EINLEITUNG »ERKENNE DICH SELBST« [1-6]
1. Sowohl im Orient als auch im Abendland läßt sich ein Weg
feststellen, der im Laufe der Jahrhunderte die Menschheit fortschreitend
zur Begegnung mit der Wahrheit und zur Auseinandersetzung mit ihr geführt
hat. Ein Weg, der sich — anders konnte es gar nicht sein — im Horizont des
Selbstbewußtseins der menschlichen Person entfaltet hat: je mehr der
Mensch die Wirklichkeit und die Welt erkennt, desto besser erkennt er sich
selbst in seiner Einmaligkeit, während sich für ihn immer drängender die
Frage nach dem Sinn der Dinge und seines eigenen Daseins stellt. Alles,
was als Gegenstand unserer Erkenntnis erscheint, wird daher selbst Teil
unseres Lebens. Am Architrav des Tempels von Delphi war die ermahnende
Aufforderung: Erkenne dich selbst! eingemeißelt — als Zeugnis für
eine Grundwahrheit, die als Mindestregel von jedem Menschen angenommen
werden muß, der sich innerhalb der ganzen Schöpfung gerade dadurch als
»Mensch« auszeichnen will, daß er sich selbst erkennt.
Im übrigen zeigt uns ein bloßer Blick auf die Geschichte des Altertums
deutlich, daß in verschiedenen Gegenden der Erde, die von ganz
unterschiedlichen Kulturen geprägt waren, zur selben Zeit dieselben
Grundsatzfragen auftauchten, die den Gang des menschlichen Daseins
kennzeichnen: Wer bin ich? Woher komme ich und wohin gehe ich? Warum
gibt es das Böse? Was wird nach diesem Leben sein? Diese Fragen finden
sich in Israels heiligen Schriften, sie tauchen aber auch in den Weden und
ebenso in der Awesta auf; wir finden sie in den Schriften des Konfuzius
und Lao-tse sowie in der Verkündigung der Tirthankara und bei Buddha. Sie
zeigen sich auch in den Dichtungen des Homer und in den Tragödien von
Euripides und Sophokles wie auch in den philosophischen Abhandlungen von
Platon und Aristoteles. Es sind Fragen, die ihren gemeinsamen Ursprung in
der Suche nach Sinn haben, die dem Menschen seit jeher auf der Seele
brennt: von der Antwort auf diese Fragen hängt in der Tat die Richtung ab,
die das Dasein prägen soll.
2. Die Kirche ist an diesem Weg der Suche nicht unbeteiligt und kann es
auch gar nicht sein. Seit dem Ostertag, wo sie die letzte Wahrheit über
das Leben des Menschen als Geschenk empfangen hat, ist sie zur Pilgerin
auf den Straßen der Welt geworden, um zu verkünden, daß Jesus Christus
»der Weg, die Wahrheit und das Leben« ist (Joh 14, 6). Unter den
verschiedenen Diensten, die sie der Menschheit anzubieten hat, gibt es
einen, der ihre Verantwortung in ganz besonderer Weise herausstellt:
den Dienst an der Wahrheit.1
Diese Sendung macht einerseits die gläubige Gemeinde zur Teilhaberin an
der gemeinsamen Bemühung, welche die Menschheit vollbringt, um die
Wahrheit zu erreichen;2
andererseits verpflichtet sie sie dazu, sich um die Verkündigung der
erworbenen Gewißheiten zu kümmern; dies freilich in dem Bewußtsein, daß
jede erreichte Wahrheit immer nur eine Etappe auf dem Weg zu jener vollen
Wahrheit ist, die in der letzten Offenbarung Gottes enthüllt werden wird:
»Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse,
dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich
unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen« (1 Kor
13, 12).
3. Der Mensch besitzt vielfältige Möglichkeiten, um den Fortschritt in
der Wahrheitserkenntnis voranzutreiben und so sein Dasein immer
menschlicher zu machen. Unter diesen ragt die Philosophie hervor,
die unmittelbar dazu beiträgt, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu
stellen und die Antwort darauf zu entwerfen: sie stellt sich daher als
eine der vornehmsten Aufgaben der Menschheit dar. Seiner etymologischen
Herkunft aus dem Griechischen entsprechend bedeutet das Wort Philosophie
»Liebe zur Weisheit«. Die Entstehung und Entfaltung der Philosophie fällt
tatsächlich genau in die Zeit, als der Mensch begonnen hat, sich nach dem
Grund der Dinge und nach ihrem Ziel zu fragen. Sie zeigt in verschiedenen
Arten und Formen, daß das Streben nach Wahrheit zur Natur des Menschen
gehört. Es ist eine seiner Vernunft angeborene Eigenschaft, sich nach dem
Ursprung der Dinge zu fragen, auch wenn sich die nach und nach gegebenen
Antworten in einen Horizont einfügen, der die Komplementarität der
verschiedenen Kulturen, in denen der Mensch lebt, deutlich macht.
Die Tatsache, daß sich die Philosophie stark auf die Gestaltung und
Entwicklung der Kulturen des Abendlandes auswirkte, darf uns nicht den
Einfluß vergessen lassen, den sie auch auf die Daseinsvorstellungen
ausgeübt hat, aus denen der Orient lebt. Jedes Volk besitzt nämlich seine
ihm eigene Ur-Weisheit, die als echter Reichtum der Kulturen danach
strebt, sich auch in rein philosophischen Formen auszudrücken und zur
Reife zu gelangen. Wie sehr das zutrifft, beweist der Umstand, daß eine
bis in unsere Tage gegenwärtige Grundform philosophischen Wissens sogar in
den Postulaten nachweisbar ist, denen die verschiedenen nationalen und
internationalen Gesetzgebungen bei der Regelung des gesellschaftlichen
Lebens folgen.
4. Es muß allerdings betont werden, daß sich hinter einem einzigen
Begriff verschiedene Bedeutungen verbergen. Daher erweist sich eine
einleitende erläuternde Darstellung als notwendig. Angespornt von dem
Streben, die letzte Wahrheit über das Dasein zu entdecken, versucht der
Mensch jene universalen Kenntnisse zu erwerben, die es ihm erlauben, sich
selbst besser zu begreifen und in seiner Selbstverwirklichung
voranzukommen. Die grundlegenden Erkenntnisse entspringen dem Staunen,
das durch die Betrachtung der Schöpfung in ihm geweckt wird: der
Mensch wird von Staunen ergriffen, sobald er sich als eingebunden in die
Welt und in Beziehung zu den anderen entdeckt, die ihm ähnlich sind und
deren Schicksal er teilt. Hier beginnt der Weg, der ihn dann zur
Entdeckung immer neuer Erkenntnishorizonte führen wird. Ohne das Staunen
würde der Mensch in die Monotonie der Wiederholung verfallen und sehr bald
zu einer wirklichen Existenz als Person unfähig werden.
Die dem menschlichen Geist eigentümliche Fähigkeit zum spekulativen
Denken führt durch die philosophische Betätigung zur Ausbildung einer Form
strengen Denkens und so, durch die logische Folgerichtigkeit der Aussagen
und die Geschlossenheit der Inhalte, zum Aufbau eines systematischen
Wissens. Dank dieses Prozesses wurden in verschiedenen kulturellen
Umfeldern und in verschiedenen Epochen Ergebnisse erzielt, die zur
Ausarbeitung echter Denksysteme geführt haben. Dadurch war man im Laufe
der Geschichte immer wieder der Versuchung ausgesetzt, eine einzige
Strömung mit dem gesamten philosophischen Denken gleichzusetzen. Ganz
offenkundig tritt jedoch in diesen Fällen ein gewisser »philosophischer
Hochmut« auf den Plan, der Anspruch darauf erhebt, die aus seiner eigenen
Perspektive stammende, unvollkommene Sicht zur allgemeinen Lesart zu
erheben. In Wirklichkeit muß jedes philosophische System, auch wenn
es ohne jegliche Instrumentalisierung in seiner Ganzheit anerkannt wird,
dem philosophischen Denken die Priorität zuerkennen, von dem es
seinen Ausgang nimmt und dem es folgerichtig dienen soll.
So ist es möglich, trotz des Wandels der Zeiten und der Fortschritte
des Wissens einen Kern philosophischer Erkenntnisse zu erkennen, die in
der Geschichte des Denkens ständig präsent sind. Man denke, um nur ein
Beispiel zu nennen, an die Prinzipien der Non-Kontradiktion, der
Finalität, der Kausalität wie auch an die Auffassung von der Person als
freiem und verständigem Subjekt und an ihre Fähigkeit, Gott, die Wahrheit
und das Gute zu erkennen; man denke ferner an einige moralische
Grundsätze, die allgemein geteilt werden. Diese und andere Themen weisen
darauf hin, daß es abgesehen von den einzelnen Denkrichtungen eine
Gesamtheit von Erkenntnissen gibt, in der man so etwas wie ein geistiges
Erbe der Menschheit erkennen kann; gleichsam als befänden wir uns im
Angesicht einer impliziten Philosophie, auf Grund der sich ein
jeder bewußt ist, diese Prinzipien, wenngleich in undeutlicher,
unreflektierter Form zu besitzen. Diese Erkenntnisse sollten, eben weil
sie in irgendeiner Weise von allen geteilt werden, eine Art Bezugspunkt
der verschiedenen philosophischen Schulen darstellen. Wenn es der Vernunft
gelingt, die ersten und allgemeinen Prinzipien des Seins zu erfassen und
zu formulieren und daraus in rechter Weise konsequente Schlußfolgerungen
von logischer und deontologischer Bedeutung zu entwickeln, dann kann sie
sich als eine richtige Vernunft oder, wie die antiken Denker sie nannten,
als orthòs logos, recta ratio ausgeben.
5. Die Kirche ihrerseits kann nicht umhin, den Einsatz der Vernunft für
das Erreichen von Zielen anzuerkennen, die das menschliche Dasein immer
würdiger machen. Denn sie sieht in der Philosophie den Weg, um
Grundwahrheiten zu erkennen, welche die Existenz des Menschen betreffen.
Gleichzeitig betrachtet sie die Philosophie als unverzichtbare Hilfe, um
das Glaubensverständnis zu vertiefen und die Wahrheit des Evangeliums
allen, die sie noch nicht kennen, mitzuteilen.
Im Anschluß an ähnliche Initiativen meiner Vorgänger möchte daher auch
ich den Blick auf diese besondere Betätigung der Vernunft richten. Dazu
drängt mich die Beobachtung, daß vor allem in unserer Zeit die Suche nach
der letzten Wahrheit oft getrübt erscheint. Die moderne Philosophie hat
zweifellos das große Verdienst, ihre Aufmerksamkeit auf den Menschen
konzentriert zu haben. Von daher hat eine mit Fragen beladene Vernunft ihr
Streben nach immer mehr und immer tieferer Erkenntnis weiterentwickelt. So
wurden komplexe Denksysteme aufgebaut, die in den verschiedenen
Wissensbereichen Früchte getragen haben, da sie die Entfaltung von Kultur
und Geschichte förderten. Die Anthropologie, die Logik, die
Naturwissenschaften, die Geschichte, die Sprache..., gewissermaßen die
Gesamtheit des Wissens wurde davon erfaßt. Die positiven Ergebnisse, die
erzielt wurden, dürfen jedoch nicht zur Vernachlässigung der Tatsache
verleiten, daß dieselbe Vernunft, mit einseitigen Forschungen über den
Menschen als Subjekt beschäftigt, vergessen zu haben scheint, daß dieser
Mensch immer auch dazu berufen ist, sich einer Wahrheit zuzuwenden, die
ihn übersteigt. Ohne Beziehung zu dieser Wahrheit bleibt jeder vom eigenen
Gutdünken abhängig, und seine Verfaßtheit als Person wird schließlich nach
pragmatischen, im wesentlichen auf empirischen Angaben beruhenden
Kriterien beurteilt, in der irrigen Überzeugung, alles müsse von der
Technik beherrscht werden. So kam es, daß sich die Vernunft, anstatt die
Spannung zur Wahrheit bestmöglich auszudrücken, unter der Last des vielen
Wissens über sich selbst gebeugt hat und von Tag zu Tag unfähiger wurde,
den Blick nach oben zu erheben, um das Wagnis einzugehen, zur Wahrheit des
Seins zu gelangen. Die moderne Philosophie hat das Fragen nach dem Sein
vernachlässigt und ihr Suchen auf die Kenntnis vom Menschen konzentriert.
Anstatt von der dem Menschen eigenen Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis
Gebrauch zu machen, hat sie es vorgezogen, deren Grenzen und Bedingtheiten
herauszustellen.
Daraus enstanden verschiedene Formen von Agnostizismus und
Relativismus, die schließlich zur Folge hatten, daß sich das
philosophische Suchen im Fließsand eines allgemeinen Skeptizismus verlor.
In jüngster Zeit haben dann verschiedene Lehren Bedeutung erlangt, die
sogar jene Wahrheiten zu entwerten trachten, die erreicht zu haben für den
Menschen eine Gewißheit war. Die legitime Pluralität von Denkpositionen
ist einem indifferenten Pluralismus gewichen, der auf der Annahme fußt,
alle Denkpositionen seien gleichwertig: Das ist eines der verbreitetsten
Symptome für das Mißtrauen gegenüber der Wahrheit, das man in der heutigen
Welt feststellen kann. Auch manche aus dem Orient stammende
Lebensanschauungen entgehen nicht diesem Vorbehalt. In ihnen wird nämlich
der Wahrheit ihr Exklusivcharakter abgesprochen. Dabei geht man von der
Annahme aus, daß die Wahrheit in verschiedenen, ja sogar einander
widersprechenden Lehren gleichermaßen in Erscheinung trete. In diesem
Horizont ist alles auf Meinung reduziert. Man hat den Eindruck einer
Bewegung, die sich wie eine Welle nach oben und nach unten bewegt: Während
es dem philosophischen Denken einerseits gelungen ist, in den Weg
einzumünden, der es immer näher an die menschliche Existenz und ihre
Ausdrucksformen heranführt, ist es andererseits bestrebt, existentielle,
hermeneutische oder linguistische Anschauungen zu entwickeln, die auf die
radikale Frage nach der Wahrheit des Lebens als Person, des Seins und
Gottes verzichten. Als Folge davon sind beim modernen Menschen, und das
nicht nur bei einigen Philosophen, Haltungen eines verbreiteten Mißtrauens
gegenüber den großartigen Erkenntnisfähigkeiten des Menschen zutage
getreten. Mit falscher Bescheidenheit gibt man sich mit provisorischen
Teilwahrheiten zufrieden, ohne überhaupt noch zu versuchen, radikale
Fragen nach dem Sinn und letzten Grund des menschlichen, persönlichen und
gesellschaftlichen Lebens zu stellen. Die Hoffnung, von der Philosophie
endgültige Antworten auf diese Fragen zu erhalten, ist also geschwunden.
6. Ausgestattet mit der Kompetenz, die ihr als Verwahrerin der
Offenbarung Jesu Christi erwächst, will nun die Kirche die Notwendigkeit
des Nachdenkens über die Wahrheit neu bekräftigen. Aus diesem Grund habe
ich beschlossen, mich sowohl an die Mitbrüder im Bischofsamt zu wenden,
mit denen ich die Sendung teile, »offen die Wahrheit« (2 Kor 4, 2)
zu verkünden, als auch an die Theologen und Philosophen, deren Aufgabe die
Erforschung der verschiedenen Aspekte der Wahrheit ist, sowie an alle
Menschen, die sich auf der Suche befinden: Ich will sie teilhaben lassen
an einigen Überlegungen hinsichtlich des Weges, der zur wahren Weisheit
führt, damit jeder, der die Liebe zu ihr im Herzen trägt, den richtigen
Weg einzuschlagen vermag, um sie zu erreichen und in ihr Ruhe in seiner
Mühsal sowie geistige Freude zu finden.
Anstoß zu dieser Initiative ist für mich zunächst die vom II.
Vatikanischen Konzil formulierte Erkenntnis, daß die Bischöfe »Zeugen der
göttlichen und katholischen Wahrheit« sind.3
Die Wahrheit zu bezeugen ist also eine Aufgabe, die uns Bischöfen
übertragen wurde; ihr können wir uns nicht versagen, ohne das Amt, das wir
erhalten haben, zu vernachlässigen. Durch neuerliche Bekräftigung der
Glaubenswahrheit können wir dem Menschen unserer Zeit wieder echtes
Vertrauen in seine Erkenntnisfähigkeiten geben und der Philosophie eine
Herausforderung bieten, damit sie ihre volle Würde wiedererlangen und
entfalten kann.
Noch ein weiterer Beweggrund veranlaßt mich zur Abfassung dieser
Überlegungen. In der Enzyklika Veritatis splendor habe ich »einige
fundamentale Wahrheiten der katholischen Lehre in Erinnerung« gerufen,
»die im heutigen Kontext Gefahr laufen, verfälscht oder verneint zu
werden«.4
Mit dem vorliegenden Schreiben möchte ich nun jenen Gedanken weiterführen
und dabei die Aufmerksamkeit eben auf das Thema Wahrheit und auf
ihr Fundament im Verhältnis zum Glauben konzentrieren. Denn
man kann nicht leugnen, daß unsere Zeit mit ihren raschen und umfassenden
Veränderungen vor allem die jungen Generationen, denen die Zukunft gehört
und von denen sie abhängt, dem Gefühl aussetzt, ohne echte Bezugspunkte zu
sein. Das Erfordernis eines Fundamentes, auf dem das Dasein des einzelnen
und der Gesellschaft aufgebaut werden kann, macht sich vor allem dann in
dringender Weise bemerkbar, wenn man die Bruchstückhaftigkeit von
Angeboten feststellen muß, die unter Vortäuschung der Möglichkeit, zum
wahren Sinn des Daseins zu gelangen, das Vergängliche zum Wert erheben. So
kommt es, daß viele ihr Leben fast bis an den Rand des Abgrunds
dahinschleppen, ohne zu wissen, worauf sie eigentlich zugehen. Das hängt
auch damit zusammen, daß diejenigen, die dazu berufen waren, die Frucht
ihres Nachdenkens in kulturellen Formen auszudrücken, den Blick von der
Wahrheit abgewandt haben und der Mühe geduldigen Suchens nach dem, was
gelebt zu werden verdient, den Erfolg im Unmittelbaren vorziehen. Die
Philosophie, der die große Verantwortung zukommt, das Denken und die
Kultur durch den fortwährenden Hinweis auf die Wahrheitssuche zu
gestalten, muß mit aller Kraft ihre ursprüngliche Berufung zurückgewinnen.
Deshalb habe ich nicht nur das Bedürfnis gefühlt, sondern es auch als
meine Pflicht empfunden, mich zu diesem Thema zu äußern, damit die
Menschheit an der Schwelle des dritten Jahrtausends christlicher
Zeitrechnung sich der großartigen Fähigkeiten, die ihr gewährt wurden,
deutlicher bewußt werde und sich mit neuem Mut für die Verwirklichung des
Heilsplanes einsetze, in den ihre Geschichte eingebettet ist.
KAPITEL I - DIE OFFENBARUNG DER WEISHEIT GOTTES
Jesus als Offenbarer des Vaters [7-12]
7. Jede von der Kirche angestellte Reflexion erfolgt auf der Grundlage
des Bewußtseins, Verwahrerin einer Botschaft zu sein, die ihren Ursprung
in Gott selbst hat (vgl. 2 Kor 4, 1-2). Die Erkenntnis, die sie dem
Menschen anbietet, rührt nicht aus ihrem eigenen Nachdenken her, und wäre
es noch so erhaben, sondern aus dem gläubigen Hören des Wortes Gottes
(vgl. 1 Thess 2, 13). Am Anfang unseres Gläubigseins steht eine
einzigartige Begegnung, die das Offenbarwerden eines seit ewigen Zeiten
verborgenen, jetzt aber enthüllten Geheimnisses (vgl. 1 Kor 2, 7;
Röm 16, 25-26) markiert: »Gott hat in seiner Güte und Weisheit
beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens
kundzutun (vgl. Eph 1, 9): daß die Menschen durch Christus, das
fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und
teilhaftig werden der göttlichen Natur«.5
Dabei handelt es sich um eine völlig ungeschuldete Initiative, die von
Gott ausgeht, um die Menschheit zu erreichen und zu retten. Gott als
Quelle der Liebe will sich zu erkennen geben, und die Erkenntnis, die der
Mensch von Ihm hat, bringt jede andere wahre Erkenntnis über den Sinn
seiner eigenen Existenz zur Vollendung, zu der sein Verstand zu gelangen
vermag.
8. Unter beinahe wörtlicher Übernahme der von der dogmatischen
Konstitution Dei Filius des I. Vatikanischen Konzils dargebotenen
Lehre und unter Berücksichtigung der vom Konzil von Trient vorgelegten
Grundsätze hat die Konstitution Dei Verbum des II. Vatikanums den
Gang der Glaubenseinsicht, intelligentia fidei, durch die
Jahrhunderte fortgesetzt, indem sie über die Offenbarung im Lichte der
biblischen Lehre und der gesamten Vätertradition nachdachte. Die
Konzilsväter des I. Vatikanums hatten den übernatürlichen Charakter der
Offenbarung Gottes hervorgehoben. Die rationalistische Kritik, die zu
jener Zeit auf Grund weitverbreiteter falscher Thesen gegen den Glauben
vorgebracht wurde, betraf die Leugnung jeder Erkenntnis, die nicht den
natürlichen Fähigkeiten der Vernunft entspränge. Dieser Umstand hatte das
Konzil zu der nachdrücklichen Bekräftigung verpflichtet, daß es außer der
Erkenntnis der menschlichen Vernunft, die auf Grund ihrer Natur den
Schöpfer zu erreichen vermag, eine Erkenntnis gibt, die dem Glauben
eigentümlich ist. Diese Erkenntnis ist Ausdruck einer Wahrheit, die sich
auf die Tatsache des sich offenbarenden Gottes selbst gründet und
Wahrheitsgewißheit ist, weil Gott weder täuscht noch täuschen will.6
9. Das I. Vatikanische Konzil lehrt also, daß die durch philosophisches
Nachdenken erlangte Wahrheit und die Wahrheit der Offenbarung weder sich
miteinander vermischen noch einander überflüssig machen. »Es gibt zwei
Erkenntnisordnungen, die nicht nur im Prinzip, sondern auch im Gegenstand
verschieden sind: im Prinzip, weil wir in der einen [Ordnung] mit der
natürlichen Vernunft, in der anderen mit dem göttlichen Glauben erkennen;
im Gegenstand aber, weil uns außer der Wahrheit, zu der die natürliche
Vernunft gelangen kann, in Gott verborgene Geheimnisse zu glauben
vorgelegt werden, die, wenn sie nicht von Gott geoffenbart wären, nicht
bekannt werden könnten«.7
Der Glaube, der sich auf das Zeugnis Gottes gründet und der
übernatürlichen Hilfe der Gnade bedient, ist in der Tat von einer anderen
Ordnung als die philosophische Erkenntnis. Denn diese stützt sich auf die
Sinneswahrnehmung, auf die Erfahrung und bewegt sich allein im Licht des
Verstandes. Die Philosophie und die Wissenschaften schweifen im Bereich
der natürlichen Vernunft umher, während der vom Geist erleuchtete und
geleitete Glaube in der Heilsbotschaft die »Fülle von Gnade und Wahrheit«
(vgl. Joh 1, 14) erkennt, die Gott in der Geschichte endgültig
durch seinen Sohn Jesus Christus offenbart hat (vgl. 1 Joh 5, 9;
Joh 5, 31-32).
10. Die Konzilsväter des II. Vatikanums haben den Blick fest auf den
offenbarenden Jesus gerichtet und dabei den Heilscharakter der Offenbarung
Gottes in der Geschichte dargelegt. Das Wesen der Offenbarung haben sie so
formuliert: »In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol
1, 15; 1 Tim 1, 17) aus überströmender Liebe die Menschen an
wie Freunde (vgl. Ex 33, 11; Joh 15, 14-15) und verkehrt mit
ihnen (vgl. Bar 3, 38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und
aufzunehmen. Das Offenbarungsgeschehen ereignet sich in Tat und Wort, die
innerlich miteinander verknüpft sind: die Werke nämlich, die Gott im
Verlauf der Heilsgeschichte wirkt, offenbaren und bekräftigen die Lehre
und die durch die Worte bezeichneten Wirklichkeiten; die Worte verkündigen
die Werke und lassen das Geheimnis, das sie enthalten, ans Licht treten.
Die Tiefe der durch diese Offenbarung über Gott und über das Heil des
Menschen erschlossenen Wahrheit leuchtet uns auf in Christus, der zugleich
der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist«.8
11. So ist die Offenbarung Gottes eingebettet in Zeit und Geschichte.
Ja, die Menschwerdung Jesu Christi geschieht in der »Fülle der Zeit« (Gal
4, 4). Zweitausend Jahre nach jenem Ereignis sehe ich es als meine
Pflicht an, nachdrücklich hervorzuheben, daß »im Christentum der Zeit eine
fundamentale Bedeutung« zukommt.9
Denn in ihr kommt das ganze Werk der Schöpfung und der Erlösung an den
Tag; vor allem wird sichtbar, daß wir durch die Menschwerdung des
Gottessohnes schon jetzt die zukünftige Vollendung der Zeit erleben und
vorwegnehmen (vgl. Hebr 1, 2).
Die Wahrheit, die Gott dem Menschen über sich und über sein Leben
übergeben hat, ist daher eingebettet in Zeit und Geschichte. Sie ist
natürlich ein für allemal im Geheimnis des Jesus von Nazaret verkündet
worden. Das sagt mit ausdrucksvollen Worten die Konstitution Dei Verbum:
»Nachdem Gott viele Male und auf viele Weisen durch die Propheten
gesprochen hatte, “hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns gesprochen im
Sohn” (Hebr 1, 1-2). Er hat seinen Sohn, das ewige Wort, das Licht
aller Menschen, gesandt, damit er unter den Menschen wohne und ihnen vom
Innern Gottes Kunde bringe (vgl. Joh 1, 1-18). Jesus Christus, das
fleischgewordene Wort, als “Mensch zu den Menschen” gesandt, “redet die
Worte Gottes” (Joh 3, 34) und vollendet das Heilswerk, dessen
Durchführung der Vater ihm aufgetragen hat (vgl. Joh 5, 36; 17, 4).
Wer ihn sieht, sieht auch den Vater (vgl. Joh 14, 9). Er ist es,
der durch sein ganzes Dasein und seine ganze Erscheinung, durch Worte und
Werke, durch Zeichen und Wunder, vor allem aber durch seinen Tod und seine
herrliche Auferstehung von den Toten, schließlich durch die Sendung des
Geistes der Wahrheit die Offenbarung erfüllt und abschließt«.10
Die Geschichte stellt also für das Volk Gottes einen Weg dar, der ganz
durchlaufen werden muß, so daß die geoffenbarte Wahrheit dank des
unablässigen Wirkens des Heiligen Geistes ihre Inhalte voll zum Ausdruck
bringen kann (vgl. Joh 16, 13). Das lehrt wiederum die Konstitution
Dei Verbum, wenn sie feststellt: »Die Kirche strebt im Gang der
Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis sich
an ihr Gottes Worte erfüllen«.11
12. Die Geschichte wird daher zu dem Ort, an dem wir Gottes Handeln für
die Menschheit feststellen können. Er erreicht uns in dem, was für uns am
vertrautesten und leicht zu überprüfen ist, weil es sich um unsere
tägliche Umgebung handelt, ohne die wir uns nicht zu begreifen vermöchten.
Die Menschwerdung Gottes erlaubt es, die ewige und endgültige Synthese
vollzogen zu sehen, die sich der menschliche Geist von sich aus nicht
einmal hätte vorstellen können: das Ewige geht ein in die Zeit, das Ganze
verbirgt sich im Bruchstück, Gott nimmt die Gestalt des Menschen an. Die
in der Offenbarung Christi zum Ausdruck gekommene Wahrheit ist somit nicht
mehr in einen engen territorialen und kulturellen Bereich eingeschlossen,
sondern öffnet sich jedem Mann und jeder Frau, der die sie als ein für
allemal gültiges Wort annehmen will, um dem Dasein Sinn zu geben. Nun
haben alle Menschen in Christus Zugang zum Vater; durch seinen Tod und
seine Auferstehung hat er das göttliche Leben geschenkt, das der erste
Adam ausgeschlagen hatte (vgl. Röm 5, 12-15). Mit dieser
Offenbarung wird dem Menschen die letzte Wahrheit über sein Leben und über
das Schicksal der Geschichte angeboten: »Tatsächlich klärt sich nur im
Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft
auf«, stellt die Konstitution Gaudium et spes12
fest. Außerhalb dieser Sicht bleibt das Geheimnis der menschlichen Person
ein unlösbares Rätsel. Wo sonst als in dem Licht, das vom Geheimnis der
Passion, des Todes und der Auferstehung Christi ausstrahlt, könnte der
Mensch die Antwort auf so dramatische Fragen suchen wie die des Schmerzes,
des Leidens Unschuldiger und des Todes?
[13-15]
13. Es soll freilich nicht vergessen werden, daß die Offenbarung bis
heute etwas Geheimnisvolles bleibt. Gewiß enthüllt Jesus durch sein Leben
das Antlitz des Vaters, denn er ist ja gekommen, »damit er vom Innern
Gottes Kunde bringe«;13
doch die Erkenntnis, die wir von diesem Antlitz haben, ist stets von der
Bruchstückhaftigkeit und Begrenztheit unseres Begreifens gezeichnet.
Einzig und allein der Glaube gestattet es, in das Innere des Geheimnisses
einzutreten, dessen Verständnis er in angemessener Weise begünstigt.
Das Konzil lehrt, daß »dem offenbarenden Gott der Gehorsam des Glaubens
zu leisten« ist.14
Mit dieser kurzen, aber wichtigen Aussage wird auf eine fundamentale
Wahrheit des Christentums hingewiesen. Es heißt darin vor allem, daß der
Glaube gehorsame Antwort an Gott ist. Das aber setzt voraus, daß dieser in
seiner Gottheit, Transzendenz und höchsten Freiheit anerkannt wird. Der
Gott, der sich zu erkennen gibt, bringt in der Autorität seiner absoluten
Transzendenz die Glaubwürdigkeit der von ihm geoffenbarten Inhalte mit.
Durch den Glauben gibt der Mensch seine Zustimmung zu diesem
göttlichen Zeugnis. Das heißt, er anerkennt voll und ganz die Wahrheit
dessen, was geoffenbart wurde, weil Gott selbst sich zu ihrem Garanten
macht. Diese dem Menschen geschenkte und von ihm nicht einforderbare
Wahrheit fügt sich in den Horizont der interpersonalen Kommunikation ein.
Sie drängt die Vernunft, sich der Wahrheit zu öffnen und ihren tiefen Sinn
anzunehmen. Darum ist der Akt, mit dem man sich Gott anvertraut, von der
Kirche stets als ein grundlegender Entscheidungsvorgang angesehen worden,
in den die ganze Person eingebunden ist. Verstand und Wille setzen bis zum
äußersten ihre geistige Natur ein, um dem Subjekt den Vollzug eines Aktes
zu erlauben, in dem die persönliche Freiheit im Vollsinn gelebt wird.15
Im Glauben ist also die Freiheit nicht einfach nur da; sie ist gefordert.
Ja, der Glaube ermöglicht es einem jeden, seine Freiheit bestmöglich zum
Ausdruck zu bringen. Mit anderen Worten, die Freiheit verwirklicht sich
nicht in Entscheidungen gegen Gott. In der Tat, wie könnte die Weigerung,
sich dem zu öffnen, was die Selbstverwirklichung ermöglicht, als ein
glaubwürdiger Gebrauch der Freiheit angesehen werden? Im Glauben vollzieht
der Mensch den bedeutsamsten Akt seines Daseins; denn die Freiheit gelangt
zur Gewißheit der Wahrheit und entschließt sich, in ihr zu leben.
Der Vernunft, die das Geheimnis zu verstehen sucht, kommen auch die in
der Offenbarung vorhandenen Zeichen zur Hilfe. Sie dienen dazu, die
Wahrheitssuche gründlicher vorzunehmen und dem Verstand selbständige
Erkundungen auch innerhalb des Geheimnisses zu ermöglichen. Diese Zeichen
geben zwar einerseits der Vernunft größeres Gewicht, weil sie ihr
erlauben, mit den ihr eigenen Mitteln, auf die sie zu Recht stolz ist, das
Geheimnis von innen her zu ergründen; andererseits sind die Zeichen für
die Vernunft Ansporn, über ihre zeichenhafte Wirklichkeit hinauszugehen,
um deren jenseitige Bedeutung, die sie tragen, zu erfassen. In ihnen ist
also eine verborgene Wahrheit bereits gegenwärtig, auf die der Verstand
verwiesen wird und von der er nicht absehen kann, ohne das ihm angebotene
Zeichen selbst zu zerstören.
Man wird gewissermaßen auf den sakramentalen Horizont der
Offenbarung und insbesondere auf das Zeichen der Eucharistie verwiesen, wo
es die unauflösliche Einheit zwischen der Wirklichkeit und ihrer Bedeutung
erlaubt, die Tiefe des Geheimnisses zu erfassen. Christus ist in der
Eucharistie wahrhaftig gegenwärtig und lebendig, er wirkt und handelt
durch seinen Geist, doch wie der hl. Thomas richtig gesagt hatte: »Du
siehst nicht, du begreifst nicht, aber der Glaube bestärkt dich jenseits
der Natur. Was da erscheint, ist ein Zeichen: es verbirgt im Geheimnis
erhabene Wirklichkeiten«.16
Ihm pflichtet der Philosoph Pascal bei: »Wie Jesus Christus unter den
Menschen unerkannt geblieben ist, so unterscheidet sich seine Wahrheit
äußerlich nicht von den allgemeinen Meinungen. Und so ist die Eucharistie
gewöhnliches Brot«.17
Die Glaubenserkenntnis hebt also das Geheimnis nicht auf; sie macht es
nur einsichtiger und offenbart es als für das Leben des Menschen
wesentliche Tatsache: »Christus der Herr ... macht eben in der Offenbarung
des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen
selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung«,18
nämlich teilzuhaben am Geheimnis des dreifaltigen Lebens Gottes.19
14. Die Lehre der beiden Vatikanischen Konzilien eröffnet auch für das
philosophische Wissen einen Horizont echter Neuerung. Die Offenbarung
führt in die Geschichte einen Bezugspunkt ein, von dem der Mensch nicht
absehen kann, wenn er dahin gelangen will, das Geheimnis seines Daseins zu
verstehen; andererseits verweist diese Erkenntnis ständig auf das
Geheimnis Gottes, das der Verstand nicht auszuschöpfen vermag, sondern nur
im Glauben empfangen und annehmen kann. Innerhalb dieser beiden Momente
hat die Vernunft ihren besonderen Platz, der ihr das Erkunden und
Begreifen erlaubt, ohne von etwas anderem eingeschränkt zu werden als von
ihrer Endlichkeit angesichts des unendlichen Geheimnisses Gottes.
Die Offenbarung führt also in unsere Geschichte eine universale und
letzte Wahrheit ein, die den Verstand des Menschen dazu herausfordert,
niemals stehenzubleiben; ja, sie spornt ihn an, den Raum seines Wissens
ständig zu erweitern, bis er gewahr wird, ohne jegliche Unterlassung alles
in seiner Macht Stehende getan zu haben. Bei dieser Überlegung kommt uns
eine der geistreichsten und bedeutendsten schöpferischen Persönlichkeiten
der Menschheitsgeschichte zu Hilfe, auf die sich sowohl die Philosophie
als auch die Theologie beziehen: der hl. Anselm. In seinem Proslogion
schreibt der Bischof von Canterbury: »Während ich häufig und voll
Eifer meine Gedanken auf dieses Problem richtete, schien es mir zuweilen,
als könnte ich das, wonach ich suchte, schon ergreifen; ein anderes Mal
hingegen entglitt es vollständig meinem Denken; bis ich schließlich die
Hoffnung, es je finden zu können, verlor und die Suche nach etwas, das
sich unmöglich finden ließ, aufgeben wollte. Als ich aber jene Gedanken
aus mir vertreiben wollte, damit sie nicht meinen Geist beschäftigten und
mich von anderen Problemen abhalten würden, aus denen ich irgendeinen
Gewinn ziehen konnte, da stellten sie sich mit immer größerer
Aufdringlichkeit ein [...]. Was aber habe ich Armseliger, einer von Evas
Söhnen, fern von Gott, was habe ich zu unternehmen begonnen und was ist
mir gelungen? Wonach ging meine Neigung und wohin bin ich gelangt? Wonach
strebte ich und wonach sehne ich mich noch immer? [...] O Herr, du bist
nicht nur das Größte, das man sich denken kann (non solum es quo maius
cogitari nequit), sondern du bist größer als alles, was man sich
denken kann (quiddam maius quam cogitari possit) [...]. Wenn du
nicht so beschaffen wärest, könnte man sich etwas Größeres als dich
vorstellen, aber das ist unmöglich«.20
15. Die Wahrheit der christlichen Offenbarung, der wir in Jesus von
Nazaret begegnen, ermöglicht jedem, das »Geheimnis« des eigenen Lebens
anzunehmen, sie achtet zutiefst die Autonomie des Geschöpfes und seine
Freiheit, verpflichtet es aber im Namen der Wahrheit, sich der
Transzendenz zu öffnen. Hier erreicht das Verhältnis von Freiheit und
Wahrheit seinen Höhepunkt, und man versteht voll und ganz das Wort des
Herrn: »Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch
befreien« (Joh 8, 32).
Die christliche Offenbarung ist der wahre Leitstern für den Menschen
zwischen den Bedingtheiten der immanentistischen Denkweise und den
Verengungen einer technokratischen Logik; sie ist die äußerste von Gott
angebotene Möglichkeit, um den ursprünglichen Plan der Liebe, der mit der
Schöpfung begonnen hat, vollständig wiederzufinden. Dem Menschen, der sich
nach Erkenntnis des Wahren sehnt, wird, sofern er noch imstande ist, den
Blick über sich selbst und die eigenen Pläne hinaus zu erheben, die
Möglichkeit gegeben, das natürliche Verhältnis zu seinem Leben dadurch
wiederzugewinnen, daß er den Weg der Wahrheit geht. Die Worte aus dem Buch
Deuteronomium lassen sich gut auf diese Situation anwenden: »Dieses
Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und
ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, so daß du sagen müßtest:
Wer steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet es
uns, damit wir es halten können? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, so
daß du sagen müßtest: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und
verkündet es uns, damit wir es halten können? Nein, das Wort ist ganz nah
bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten«
(30, 11-14). Diesem Text stimmt der heilige Augustinus, Philosoph und
Theologe, mit dem berühmten Gedanken zu: »Noli foras ire, in te ipsum
redi. In interiore homine habitat veritas« [Geh nicht nach draußen, kehre
zu dir selbst zurück. Im Inneren des Menschen wohnt die Wahrheit].21
Im Lichte dieser Überlegungen drängt sich eine erste Schlußfolgerung
auf: Die Wahrheit, welche die Offenbarung uns erkennen läßt, ist nicht die
reife Frucht oder der Höhepunkt eines von der Vernunft aufbereiteten
Denkens. Sie erscheint hingegen mit dem Wesensmerkmal der
Ungeschuldetheit, bringt Denken hervor und fordert, als Ausdruck der Liebe
angenommen zu werden. Diese geoffenbarte Wahrheit ist in unsere Geschichte
gelegte Vorwegnahme jener letzten und endgültigen Anschauung Gottes, die
denen vorbehalten ist, die an ihn glauben oder ihn mit aufrichtigem Herzen
suchen. Das letzte Ziel des menschlichen Daseins als Person ist also
Forschungsobjekt sowohl der Philosophie als auch der Theologie. Beide
führen uns, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln und Inhalten, diesen
»Pfad zum Leben« (Ps 16, 11) vor Augen, der schließlich, wie uns
der Glaube sagt, in die volle und ewig währende Freude der Anschauung des
dreieinigen Gottes einmündet.
KAPITEL II - CREDO UT INTELLEGAM
Die Weisheit weiß und versteht alles (vgl. Weish 9, 11) [16-20]
16. Wie tief der Zusammenhang zwischen Glaubens- und Vernunfterkenntnis
ist, wird bereits in der Heiligen Schrift mit erstaunlich deutlichen
Hinweisen aufgezeigt. Das bezeugen besonders die Weisheitsbücher.
Was bei der unvoreingenommenen Lektüre dieser Seiten der Heiligen Schrift
beeindruckt, ist die Tatsache, daß in diesen Texten nicht nur Israels
Glaube enthalten ist, sondern auch der Reichtum bereits untergegangener
Zivilisationen und Kulturen. Wie nach einem besonderen Plan lassen Ägypten
und Mesopotamien wieder ihre Stimme hören, und manche gemeinsamen Züge der
altorientalischen Kulturen werden auf diesen Seiten, die so reich sind an
inneren Einsichten einzigartiger Tiefe, wieder ins Leben zurückgeholt.
Es ist kein Zufall, daß der heilige Verfasser den weisen Menschen, den
er beschreiben möchte, als denjenigen darstellt, der die Wahrheit liebt
und nach ihr sucht: »Wohl dem Menschen, der nachsinnt über die Weisheit,
der sich bemüht um Einsicht, der seinen Sinn richtet auf ihre Wege und auf
ihre Pfade achtet, der ihr nachgeht wie ein Späher und an ihren Eingängen
lauert, der durch ihre Fenster schaut und an ihren Türen horcht, der sich
bei ihrem Haus niederläßt und seine Zeltstricke an ihrer Mauer befestigt,
der neben ihr sein Zelt aufstellt und so eine gute Wohnung hat, der sein
Nest in ihr Laub baut und in ihren Zweigen die Nacht verbringt, der sich
in ihrem Schatten vor der Hitze verbirgt und im Schutz ihres Hauses wohnt«
(Sir 14, 20-27).
Wie man sieht, ist für den inspirierten Verfasser der sehnliche Wunsch
nach Erkenntnis ein Wesensmerkmal, das alle Menschen vereint. Dank des
Denkvermögens ist allen, Glaubenden wie Nichtglaubenden, die Möglichkeit
gegeben, »zu schöpfen im tiefen Wasser« der Erkenntnis (vgl. Spr
20, 5). Im alten Israel erfolgte das Erkennen der Welt und ihrer
Erscheinungen sicher nicht durch Abstraktion, wie das für den jonischen
Philosophen oder den ägyptischen Weisen zutrifft. Noch weniger empfing der
gute Israelit die Erkenntnis mit Hilfe der Kriterien, wie sie der
zunehmend nach Wissensspaltung tendierenden modernen Zeit eigen sind.
Trotzdem hat die Welt der Bibel in das große Meer der Erkenntnislehre
ihren originellen Beitrag einfließen lassen.
Wie sieht dieser Beitrag aus? Die Besonderheit, die den Bibeltext
auszeichnet, besteht in der Überzeugung, daß zwischen der Vernunft- und
der Glaubenserkenntnis eine tiefe, untrennbare Einheit besteht. Die Welt
und was in ihr vorgeht ebenso wie die Geschichte und die wechselvollen
Ereignisse des Volkes sind Wirklichkeiten, die mit den Mitteln der
Vernunft betrachtet, analysiert und beurteilt werden, ohne daß aber der
Glaube an diesem Prozeß unbeteiligt bliebe. Er greift nicht ein, um die
Autonomie der Vernunft zu beschneiden oder ihren Handlungsraum
einzuschränken, sondern nur dazu, um dem Menschen begreiflich zu machen,
daß der Gott Israels in diesen Geschehnissen sichtbar wird und handelt.
Die Welt und die geschichtlichen Begebenheiten gründlich zu kennen, ist
also unmöglich, ohne sich gleichzeitig zum Glauben an den in ihnen
wirkenden Gott zu bekennen. Der Glaube schärft den inneren Blick, indem er
den Verstand dafür offen macht, im Strom der Ereignisse die tätige
Gegenwart der Vorsehung zu entdecken. Ein Satz aus dem Buch der
Sprichwörter ist in diesem Zusammenhang bezeichnend: »Des Menschen
Herz plant seinen Weg, doch der Herr lenkt seinen Schritt« (Spr 16,
9). Man könnte sagen, der Mensch vermag mit dem Licht der Vernunft seinen
Weg zu erkennen, kann ihn aber nur dann rasch und ohne Hindernisse zu Ende
gehen, wenn er mit redlichem Herzen sein Forschen in den Horizont des
Glaubens einfügt. Vernunft und Glaube lassen sich daher nicht voneinander
trennen, ohne daß es für den Menschen unmöglich wird, sich selbst, die
Welt und Gott in entsprechender Weise zu erkennen.
17. Es gibt also keinen Grund für das Bestehen irgendeines
Konkurrenzkampfes zwischen Vernunft und Glaube: sie wohnen einander inne,
und beide haben ihren je eigenen Raum zu ihrer Verwirklichung. Wieder ist
es das Buch der Sprichwörter, das uns mit dem Ausruf in diese Richtung
weist: »Gottes Ehre ist es, eine Sache zu verhüllen, des Königs Ehre ist
es, eine Sache zu erforschen« (Spr 25, 2). Gott und der Mensch sind
in ihrer jeweiligen Welt in eine einzigartige Wechselbeziehung gestellt.
In Gott hat alles seinen Ursprung, in ihm sammelt sich die Fülle des
Geheimnisses, und das macht seine Ehre aus; dem Menschen fällt die Aufgabe
zu, mit seiner Vernunft nach der Wahrheit zu forschen, und darin besteht
sein Adel. Ein weiterer Stein zu diesem Mosaik wird vom Psalmisten
hinzugefügt, wenn er betet: »Wie schwierig sind für mich, o Gott, deine
Gedanken, wie gewaltig ist ihre Zahl! Wollte ich sie zählen, es wären mehr
als der Sand. Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir« (Ps 139,
17-18). Das Streben nach Erkenntnis ist so groß und mit einem derartigen
Dynamismus verbunden, daß sich das Herz des Menschen trotz der Erfahrung
der unüberschreitbaren Grenze nach dem unendlichen Reichtum sehnt, der
sich jenseits befindet, weil es ahnt, daß dort die befriedigende Antwort
auf jede noch ungelöste Frage gehütet wird.
18. Wir können daher sagen, Israel hat es vermocht, mit seinem
Nachdenken der Vernunft den Weg zum Geheimnis zu eröffnen. In der
Offenbarung Gottes konnte es alles gründlich erkunden, was es mit der
Vernunft vergeblich zu erreichen versuchte. Von dieser tiefsten
Erkenntnisform ausgehend hat das auserwählte Volk verstanden, daß die
Vernunft einige Grundregeln beachten muß, um der ihr eigenen Natur
bestmöglich Ausdruck geben zu können. Die erste Regel besteht in der
Berücksichtigung der Tatsache, daß das Erkennen des Menschen ein Weg ist,
der keinen Stillstand kennt; die zweite entsteht aus dem Bewußtsein, daß
man sich auf diesen Weg nicht mit dem Hochmut dessen begeben darf, der
meint, alles sei Frucht persönlicher Errungenschaft; eine dritte Regel
gründet auf der »Gottesfurcht«: die Vernunft muß Gottes souveräne
Transzendenz und zugleich seine sorgende Liebe bei der Lenkung der Welt
anerkennen.
Wenn der Mensch von diesen Regeln abweicht, setzt er sich der Gefahr
des Scheiterns aus und befindet sich schließlich in der Verfassung des
»Toren«. Für die Bibel beinhaltet diese Torheit eine Bedrohung des Lebens.
Denn der Tor bildet sich ein, viele Dinge zu wissen, ist aber in
Wirklichkeit nicht imstande, den Blick auf die wesentlichen Dinge zu
heften. Das hindert ihn daran, Ordnung in seinen Verstand zu bringen (vgl.
Spr 1, 7) und gegenüber sich selbst und seiner Umgebung eine
entsprechende Haltung einzunehmen. Wenn er dann so weit geht zu behaupten:
»Es gibt keinen Gott« (Ps 14, 1), enthüllt er mit endgültiger
Klarheit, wie unzureichend sein Wissen ist und wie weit er von der vollen
Wahrheit über die Dinge, ihren Ursprung und ihre Bestimmung entfernt ist.
19. Einige wichtige Texte, die weiteres Licht auf dieses Thema werfen,
sind im 13. Kapitel des Buches der Weisheit enthalten. Darin spricht der
Verfasser von Gott, der sich auch durch die Natur erkennen läßt. In der
Antike fiel das Studium der Naturwissenschaften großenteils mit dem
philosophischen Wissen zusammen. Nachdem der heilige Text ausgeführt hat,
daß der Mensch mit seinem Verstand in der Lage ist, »den Aufbau der Welt
und das Wirken der Elemente, ... den Kreislauf der Jahre und die Stellung
der Sterne, die Natur der Tiere und die Wildheit der Raubtiere« zu
verstehen (Weish 7, 17. 19-20), mit einem Wort, daß er fähig ist zu
philosophieren, vollzieht er einen sehr bemerkenswerten Schritt nach vorn.
Während der Verfasser das Denken der griechischen Philosophie aufgreift,
auf das er sich in diesem Zusammenhang offensichtlich bezieht, erklärt er,
daß man eben durch vernünftiges Nachdenken über die Natur wieder auf den
Schöpfer zurückkommen könne: »Denn von der Größe und Schönheit der
Geschöpfe läßt sich auf ihren Schöpfer schließen« (Weish 13, 5). Es
wird also eine erste Stufe der göttlichen Offenbarung anerkannt, die aus
dem wunderbaren »Buch der Natur« besteht; liest der Mensch dieses Buch mit
den seiner Vernunft eigenen Mitteln, kann er zur Erkenntnis des Schöpfers
gelangen. Wenn der Mensch mit seinem Verstand Gott, den Schöpfer von
allem, nicht zu erkennen vermag, dann liegt das nicht so sehr am Fehlen
eines geeigneten Mittels als vielmehr an dem Hindernis, das ihm von seinem
freien Willen und seiner Sünde in den Weg gelegt wurde.
20. Die Vernunft wird in dieser Sicht gewürdigt, aber nicht
überbewertet. Denn alles, was sie erreicht, kann zwar wahr sein, erlangt
aber volle Bedeutung erst, wenn sein Inhalt in den weiteren Horizont des
Glaubens gestellt wird: »Der Herr lenkt die Schritte eines jeden. Wie
könnte der Mensch seinen Weg verstehen?« (Spr 20, 24). Nach dem
Alten Testament befreit also der Glaube die Vernunft, da er ihr
ermöglicht, ihren Erkenntnisgegenstand konsequent zu erreichen und ihn in
jene höchste Ordnung zu stellen, in der alles seine Sinnhaftigkeit
erlangt. Mit einem Wort, der Mensch gelangt durch die Vernunft zur
Wahrheit, weil er zugleich mit dem Glauben den tiefen Sinn von allem und
insbesondere den Sinn seines eigenen Daseins entdeckt. Mit Recht setzt
daher der Verfasser als den Anfang der wahren Erkenntnis die Gottesfurcht
voraus: »Gottesfurcht ist Anfang der Erkenntnis« (Spr 1, 7; vgl.
Sir 1, 14).
»Erwirb dir Weisheit, erwirb
dir Einsicht« (Spr 4, 5) [21-23]
21. Die Erkenntnis beruht nach dem Alten Testament nicht nur auf einer
sorgfältigen Beobachtung des Menschen, der Welt und der Geschichte,
sondern setzt auch eine unerläßliche Beziehung zum Glauben und zu den
Inhalten der Offenbarung voraus. Hier liegen auch die Herausforderungen,
denen sich das auserwählte Volk stellen mußte und auf die es geantwortet
hat. Beim Nachdenken über diese seine Lage hat der biblische Mensch
entdeckt, daß er sich nur begreifen kann, insofern er »in Beziehung
steht«: in Beziehung zu sich selbst, zum Volk, zur Welt und zu Gott. Diese
Öffnung für das Geheimnis, die ihm von der Offenbarung zukam, war
schließlich für ihn die Quelle einer wahren Erkenntnis, die seiner
Vernunft das Eintauchen in die Räume des Unendlichen erlaubte, wodurch er
bis dahin unverhoffte Verständnismöglichkeiten erhielt.
Die Anstrengung des Forschens war für den Verfasser nicht frei von der
Mühseligkeit, die von der Auseinandersetzung mit den Grenzen der Vernunft
herrührt. Das läßt sich zum Beispiel den Worten entnehmen, mit denen das
Buch der Sprichwörter den Zustand der Erschöpfung offenlegt, der sich bei
dem Versuch, die geheimnisvollen Pläne Gottes zu begreifen, einstellte
(vgl. Spr 30, 1-6). Der Glaubende gibt sich jedoch trotz der
Beschwerlichkeit nicht geschlagen. Die Kraft, um seinen Weg zur Wahrheit
fortzusetzen, erhält er aus der Gewißheit, daß Gott ihn als »Forscher«
erschaffen hat (vgl. Koh 1, 13), der den Auftrag hat, trotz der
ständigen Erpressung durch den Zweifel nichts unversucht zu lassen.
Dadurch, daß er sich auf Gott stützt, bleibt er immer und überall auf das
Schöne, Gute und Wahre ausgerichtet.
22. Der hl. Paulus hilft uns im ersten Kapitel seines Briefes an die
Römer, die Überlegung der Weisheitsbücher in ihrer Eindringlichkeit besser
zu würdigen. Mit seiner Darlegung einer philosophischen Argumentation in
der Sprache des Volkes bringt der Apostel eine tiefe Wahrheit zum
Ausdruck: Durch die Schöpfung können die »Augen des Verstandes« zur
Erkenntnis Gottes gelangen. Denn durch die Geschöpfe läßt er die Vernunft
seine »Macht« und seine »Gottheit« erahnen (vgl. Röm 1, 20). Der
Vernunft des Menschen wird also eine Fähigkeit zuerkannt, die gleichsam
ihre natürlichen Grenzen zu übersteigen scheint: nicht nur daß sie von dem
Augenblick an, wo sie kritisch darüber nachdenken kann, nicht mehr in die
sinnliche Erkenntnis verbannt ist, sondern auch durch das Argumentieren
über die Sinneswahrnehmungen kann sie zu dem Grund vordringen, der am
Anfang jeder sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit steht. In philosophischer
Fachsprache könnten wir sagen, daß in dem wichtigen Text die metaphysische
Fähigkeit des Menschen bejaht wird.
Nach Überzeugung des Apostels war im ursprünglichen Schöpfungsplan die
Fähigkeit der Vernunft vorgesehen, die Sinnenwelt mit Leichtigkeit zu
übersteigen, um zum eigentlichen Ursprung von allem zu gelangen: dem
Schöpfer. Infolge des Ungehorsams, durch den sich der Mensch die volle und
absolute Unabhängigkeit gegenüber seinem Schöpfer erwirken wollte, ist
diese Leichtigkeit des Aufstiegs zum Schöpfergott verloren gegangen.
Das Buch Genesis beschreibt auf anschauliche Weise diesen Zustand des
Menschen, wenn es davon erzählt, daß Gott ihn in den Garten Eden setzte,
in dessen Mitte »der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse« stand (Gen
2, 17). Das Symbol ist klar: Der Mensch war nicht in der Lage, von
sich aus zu unterscheiden und zu entscheiden, was gut und was böse war,
sondern mußte sich auf ein höheres Prinzip berufen. Verblendung durch
Überheblichkeit verführte unsere Stammeltern zu der trügerischen
Täuschung, sie wären souverän und unabhängig und könnten auf die von Gott
stammende Erkenntnis verzichten. In ihren Ur-Ungehorsam zogen sie jeden
Mann und jede Frau hinein und fügten der Vernunft Wunden zu, die von da an
den Weg zur vollen Wahrheit behindern sollten. Das menschliche Vermögen,
die Wahrheit zu erkennen, wurde nunmehr von der Auflehnung gegen
denjenigen beeinträchtigt, der Quelle und Ursprung der Wahrheit ist.
Wieder ist es der Apostel der darlegt, wie auf Grund der Sünde die
Gedanken der Menschen »nichtig« geworden sind und sich ihre Überlegungen
als entstellt und falsch orientiert erwiesen haben (vgl. Röm 1,
21-22). Die Augen des Verstandes waren nun nicht mehr in der Lage, klar zu
sehen: die Vernunft wurde zunehmend zur Gefangenen ihrer selbst. Das
Kommen Christi war das Heilsereignis, das die Vernunft aus ihrer
Schwachheit erlöste und sie von den Fesseln, in denen sie sich selbst
gefangen hatte, befreite.
23. Das Verhältnis des Christen zur Philosophie verlangt daher eine
tiefgreifende Unterscheidung. Im Neuen Testament, vor allem in den Briefen
des hl. Paulus, tritt eine Tatsache klar ans Licht: die Gegenüberstellung
zwischen der »Weisheit dieser Welt« und der in Jesus Christus
geoffenbarten Weisheit Gottes. Die Tiefgründigkeit der geoffenbarten
Weisheit sprengt den Zirkel unserer üblichen Denkschemata, die keinesfalls
in der Lage sind, sie adäquat wiederzugeben.
Der Anfang des ersten Briefes an die Korinther wirft dieses Dilemma in
radikaler Weise auf. Der gekreuzigte Sohn Gottes ist das geschichtliche
Ereignis, an dem jeder Versuch des Verstandes scheitert, auf rein
menschlichen Argumenten einen ausreichenden Beleg für den Sinn des Daseins
aufzubauen. Der wahre Knotenpunkt, der die Philosophie herausfordert, ist
der Tod Jesu Christi am Kreuz. Denn hier ist jeder Versuch, den Heilsplan
des Vaters auf reine menschliche Logik zurückzuführen, zum Scheitern
verurteilt. »Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer
in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit
entlarvt?« (1 Kor 1, 20), fragt sich der Apostel emphatisch. Für
das, was Gott verwirklichen will, genügt nicht bloß die Weisheit des
weisen Menschen, vielmehr ist ein entschlossener Übergang zur Annahme von
etwas völlig Neuem gefordert: »Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt,
um die Weisen zuschanden zu machen [...]. Und das Niedrige in der Welt und
das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas
ist, zu vernichten« (1 Kor 1, 27-28). Die Weisheit des Menschen
lehnt es ab, in ihrer Schwachheit die Voraussetzung für ihre Stärke zu
sehen; aber der hl. Paulus zögert nicht zu bekräftigen: »Wenn ich schwach
bin, dann bin ich stark« (2 Kor 12, 10). Der Mensch vermag nicht zu
begreifen, wie der Tod Quelle von Leben und Liebe sein könne, aber Gott
hat gerade das für die Enthüllung des Geheimnisses seines Heilsplanes
erwählt, was die Vernunft als »Torheit« und »Ärgernis« ansieht. Mit Hilfe
der Sprache der Philosophen seiner Zeit erreicht Paulus den Höhepunkt
seiner Lehre und des Paradoxons, das er ausdrücken will: »Gott hat in der
Welt das, was nichts ist, erwählt, um das, was etwas ist, zu vernichten« (1
Kor 1, 28). Der Apostel scheut sich nicht, von der radikalsten
Sprache, welche die Philosophen in ihren Erwägungen über Gott verwendeten,
Gebrauch zu machen, um das Wesen der ungeschuldeten Liebe zum Ausdruck zu
bringen, die sich im Kreuz Jesu Christi geoffenbart hat. Die Vernunft kann
das Geheimnis, das das Kreuz darstellt, nicht der Liebe entleeren; statt
dessen kann das Kreuz der Vernunft die letzte Antwort geben, nach der sie
sucht. Nicht die Weisheit der Worte, sondern das Wort von der Weisheit ist
es, das der hl. Paulus als Kriterium der Wahrheit und damit des Heils
festsetzt.
Die Weisheit des Kreuzes überwindet daher jede kulturelle Grenze, die
man ihr auferlegen will, und verpflichtet dazu, sich der Universalität der
Wahrheit, deren Trägerin sie ist, zu öffnen. Was für eine Herausforderung
stellt sich da unserer Vernunft und welchen Nutzen zieht sie daraus, wenn
sie sich denn geschlagen gibt! Die Philosophie, die schon von sich aus
imstande ist, die unablässige Selbsttranszendierung des Menschen auf die
Wahrheit hin zu erkennen, kann sich mit Hilfe des Glaubens öffnen, um in
der »Torheit« des Kreuzes die echte Kritik an denen aufzugreifen, die sich
der Täuschung hingeben, die Wahrheit zu besitzen, während sie sie in die
Untiefen ihres Systems gefangenhalten. Das Verhältnis von Glaube und
Philosophie trifft in der Verkündigung vom gekreuzigten und auferstandenen
Christus auf die Felsenklippe, an der es Schiffbruch erleiden kann. Doch
jenseits dieser Klippe kann es in das unendliche Meer der Wahrheit
einmünden. Hier zeigt sich deutlich die Grenze zwischen Vernunft und
Glaube, es wird aber auch der Raum klar erkennbar, in dem sich beide
begegnen können.
KAPITEL III - INTELLEGO UT CREDAM
Auf dem Weg der Suche nach der Wahrheit [24-27]
24. Der Evangelist Lukas erzählt in der Apostelgeschichte, daß Paulus
auf seinen Missionsreisen nach Athen kam. Die Stadt der Philosophen war
voll von Statuen, die verschiedene Götzen darstellten. Ein Altar erregte
seine Aufmerksamkeit, und er nahm das sogleich zum Anlaß, darin eine
gemeinsame Grundlage zu entdecken, auf der er mit der Verkündigung des
Kerygmas beginnen konnte. Und so sprach er: »Athener, nach allem, was ich
sehe, seid ihr besonders fromme Menschen. Denn als ich umherging und mir
eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar mit der Aufschrift:
Einem unbekannten Gott. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde
ich euch« (Apg 17, 22-23). Von da ausgehend spricht der hl. Paulus
von Gott als Schöpfer, als dem, der alles übersteigt und alles zum Leben
bringt. Dann setzt er seine Rede so fort: »Er hat aus einem einzigen
Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde
bewohne. Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitze
festgelegt. Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden
könnten; denn keinem von uns ist er fern« (Apg 17, 26-27).
Der Apostel legt eine Wahrheit vor, die sich die Kirche stets zunutze
gemacht hat: Das Streben und die Sehnsucht nach Gott ist tief in das
Menschenherz eingesät. Daran erinnert auch ausdrücklich die
Karfreitagsliturgie, wenn sie uns im Gebet für alle Nichtglaubenden
sprechen läßt: »Allmächtiger, ewiger Gott, du hast eine so tiefe Sehnsucht
nach dir ins Herz des Menschen gesenkt, daß sie erst Frieden haben, wenn
sie dich finden«.22
Es gibt also einen Weg, den der Mensch, wenn er will, gehen kann; er
beginnt mit der Fähigkeit der Vernunft, sich über das Zufällige zu
erheben, um auf das Unendliche zuzutreiben.
Der Mensch hat auf verschiedene Weise und zu verschiedenen Zeiten
bewiesen, daß er imstande ist, dieser seiner tiefsten Sehnsucht Ausdruck
zu verleihen. Literatur, Musik, Malerei, Bildhauerei, Architektur und
jedes andere Erzeugnis seines schöpferischen Verstandes sind zu Kanälen
geworden, durch die er sein sehnsüchtiges Suchen ausdrückt. In besonderer
Weise hat die Philosophie diesen Antrieb in sich aufgenommen und mit ihren
Mitteln sowie ihren wissenschaftlichen Möglichkeiten gemäß diesem
universalen Streben des Menschen Ausdruck verliehen.
25. »Alle Menschen streben nach Wissen«;23
Gegenstand dieses Strebens ist die Wahrheit. Selbst das Alltagsleben
zeigt, wie sehr ein jeder daran interessiert ist herauszufinden, wie über
das bloß gehörte Wort hinaus die Dinge in Wahrheit sind. Der Mensch ist
das einzige Wesen in der ganzen sichtbaren Schöpfung, das nicht nur zu
wissen fähig ist, sondern auch um dieses Wissen weiß; darum interessiert
er sich für die tatsächliche Wahrheit dessen, was für ihn sichtbar ist.
Ehrlicherweise darf niemandem die Wahrheit seines Wissens gleichgültig
sein. Wenn er entdeckt, daß es falsch ist, verwirft er es; wenn er es
hingegen als wahr feststellen kann, ist er zufrieden. Das ist die Lehre
des hl. Augustinus, wenn er schreibt: »Ich habe manchen gefunden, der
andere täuschen wollte, aber keinen, der getäuscht sein wollte«.24
Mit Recht gilt ein Mensch dann als erwachsen, wenn er mit eigenen Mitteln
zwischen wahr und falsch unterscheiden kann, indem er sich über die
objektive Wirklichkeit der Dinge sein Urteil bildet. Hier liegt der Grund
zu vielen Forschungen, besonders auf dem Gebiet der Naturwissenschaften,
die in den letzten Jahrhunderten so bedeutsame Ergebnisse erbracht und
damit einen echten Fortschritt der gesamten Menschheit gefördert haben.
Nicht weniger wichtig als die Forschung auf theoretischem Gebiet ist
jene im praktischen Bereich. Denn durch sein sittliches Handeln schlägt
die menschliche Person, wenn sie ihrem freien und rechten Willen gemäß
handelt, den Weg der Glückseligkeit ein und strebt nach Vollkommenheit.
Auch in diesem Fall geht es um die Wahrheit. Diese Überzeugung habe ich in
der Enzyklika Veritatis splendor unterstrichen: »Moral ohne
Freiheit gibt es nicht... Wenn für den Menschen das Recht besteht, auf
seinem Weg der Wahrheitssuche respektiert zu werden, so besteht noch
vorher die für jeden schwerwiegende moralische Verpflichtung, die Wahrheit
zu suchen und an der anerkannten Wahrheit festzuhalten«.25
Es ist also notwendig, daß die angenommenen und durch das eigene Leben
verfolgten Werte wahr sind, weil nur wahre Werte die menschliche Person
durch Verwirklichung ihrer Natur vollenden können. Diese Wahrheit der
Werte findet der Mensch nicht dadurch, daß er sich in sich verschließt,
sondern indem er sich öffnet, um sie auch in den über ihn hinausgehenden
Dimensionen anzunehmen. Das ist eine unerläßliche Voraussetzung, damit ein
jeder er selbst werden und als erwachsene, reife Person wachsen kann.
26. Die Wahrheit stellt sich beim Menschen anfangs in Frageform vor:
Hat das Leben einen Sinn? Wohin führt es? Auf den ersten Blick könnte
das Dasein des Menschen als Person gänzlich sinnlos erscheinen. Man
braucht nicht Philosophen, die die Absurdität vertreten, oder die
provokatorischen Fragen im Buch Ijob heranzuziehen, um am Sinn des Lebens
zu zweifeln. Die tägliche Erfahrung von eigenem und fremdem Leid, der
Anblick so vieler Tatsachen, die im Lichte der Wahrheit unerklärlich
erscheinen, genügen, daß wir unausweichlich eine so dramatische Frage wie
jene nach dem Sinn stellen.26
Hinzukommt, daß die erste absolut sichere Wahrheit unserer Existenz außer
der Tatsache, daß wir überhaupt da sind, die Unvermeidbarkeit unseres
Todes ist. Angesichts dieses bestürzenden Umstandes stellt sich die Suche
nach einer erschöpfenden Antwort. Jeder will — und soll — die Wahrheit
über sein Ende kennen. Er will wissen, ob der Tod das endgültige Ende
seines Daseins ist oder ob es noch etwas gibt, das über den Tod
hinausreicht; ob er auf ein Weiterleben hoffen darf oder nicht. Nicht von
ungefähr hat das philosophische Denken seine entscheidende Orientierung
vom Tod des Sokrates her erhalten und ist seit über zweitausend Jahren
davon geprägt geblieben. Es ist also durchaus kein Zufall, daß angesichts
der Tatsache des Todes die Philosophen sich dieses Problems, zusammen mit
der Frage nach dem Sinn des Lebens und der Unsterblichkeit, immer von
neuem angenommen haben.
27. Niemand, weder der Philosoph noch der gewöhnliche Mensch, kann
diesen Fragen aus dem Weg gehen. Von der Antwort darauf hängt eine
entscheidende Etappe der Suche ab: Ob es möglich ist, zu einer universalen
und absoluten Wahrheit zu gelangen oder nicht. An und für sich erscheint
jede Wahrheit, auch Teilwahrheit, wenn sie wirklich Wahrheit ist, als
universal. Was wahr ist, muß für alle und für immer wahr sein. Außer
dieser Universalität sucht der Mensch jedoch nach einem Absoluten, das in
der Lage sein soll, seinem ganzen Suchen und Forschen Antwort und Sinn zu
geben: etwas Letztes, das sich als Grund jeder Sache herausstellt. Mit
anderen Worten, er sucht nach einer endgültigen Erklärung, nach einem
höchsten Wert, über den hinaus es weitere Fragen oder Verweise weder gibt
noch geben kann. Hypothesen können den Menschen faszinieren, aber sie
befriedigen ihn nicht. Es kommt für alle der Zeitpunkt, wo sie, ob sie es
zugeben oder nicht, das Bedürfnis haben, ihre Existenz in einer als
endgültig anerkannten Wahrheit zu verankern, welche eine Gewißheit
vermittelt, die nicht mehr dem Zweifel unterworfen ist.
Die Philosophen haben im Laufe der Jahrhunderte versucht, eine solche
Wahrheit zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen, indem sie Denksysteme
und -schulen ins Leben riefen. Über die philosophischen Systeme hinaus
gibt es jedoch noch andere Ausdrucksformen, in denen der Mensch seiner
»Philosophie« Gestalt zu geben versucht: dabei handelt es sich um
persönliche Überzeugungen oder Erfahrungen, um familiäre oder kulturelle
Traditionen oder um Lebensprogramme, wo man sich der Autorität eines
Meisters anvertraut. Aus jeder dieser Erscheinungen spricht stets der
lebhafte Wunsch, zur Gewißheit der Wahrheit und ihres absoluten Wertes zu
gelangen.
Die verschiedenen Gesichter
der Wahrheit des Menschen [28-35]
28. Die Wahrheitssuche stellt sich zugegebenermaßen nicht immer mit
solcher Transparenz und Folgerichtigkeit dar. Die angeborene Begrenztheit
der Vernunft und die Unbeständigkeit des Herzens trüben oft die
persönliche Suche und lenken sie ab. Verschiedenartige andere Interessen
können die Wahrheit unterdrücken. Es kommt vor, daß der Mensch, kaum daß
er die Wahrheit flüchtig erblickt, geradewegs vor ihr flieht, weil er sich
vor ihren Ansprüchen fürchtet. Trotzdem beeinflußt die Wahrheit, auch wenn
er sie meidet, immer sein Dasein. Denn niemals könnte er sein Leben auf
Zweifel, Ungewißheit oder Lüge gründen; eine solche Existenz wäre ständig
von Angst und Furcht bedroht. Man kann also den Menschen als den
definieren, der nach der Wahrheit sucht.
29. Es ist undenkbar, daß eine so tief in der menschlichen Natur
verwurzelte Suche völlig nutzlos und vergeblich sein könnte. Die
Fähigkeit, nach der Wahrheit zu suchen und Fragen zu stellen, schließt
nämlich bereits eine erste Antwort ein. Der Mensch würde gar nicht
anfangen, etwas zu suchen, von dem er überhaupt nichts wüßte oder das er
für absolut unerreichbar hielte. Erst die Aussicht, zu einer Antwort
gelangen zu können, kann ihn veranlassen, den ersten Schritt zu tun.
Tatsächlich geschieht genau das normalerweise in der wissenschaftlichen
Forschung. Wenn ein Wissenschaftler, seiner Intuition folgend, sich der
Suche nach der logischen und nachweisbaren Erklärung eines bestimmten
Phänomens widmet, vertraut er von Anfang an darauf, eine Antwort zu
finden, und kapituliert nicht angesichts der Mißerfolge. Er hält seine
ursprüngliche Eingebung nicht für nutzlos, nur weil er das Ziel nicht
erreicht hat; er wird vielmehr zu Recht sagen, er habe noch nicht die
adäquate Antwort gefunden.
Dasselbe muß auch für die Wahrheitssuche im Bereich der letzten Fragen
gelten. Die Sehnsucht nach der Wahrheit wurzelt so tief im Herzen des
Menschen, daß das Abstandnehmen davon die Existenz gefährden würde. Es
genügt schließlich die Beobachtung des Alltagslebens um festzustellen, daß
jeder von uns die quälende Last einiger wesentlicher Fragen in sich trägt
und zugleich in seinem Herzen zumindest den Entwurf der dazugehörigen
Antworten hütet. Es sind Antworten, von deren Wahrheit man auch deshalb
überzeugt ist, weil man die Erfahrung macht, daß sie sich im wesentlichen
nicht von den Antworten unterscheiden, zu denen viele andere gelangt sind.
Sicherlich besitzt nicht jede Wahrheit, die erworben wird, denselben Wert.
Von der Gesamtheit der erreichten Ergebnisse wird jedoch die Fähigkeit des
Menschen bestätigt, grundsätzlich zur Wahrheit zu gelangen.
30. Es mag nützlich sein, diese verschiedenen Formen der Wahrheit im
folgenden kurz zu erwähnen. Am zahlreichsten sind jene Formen, die auf
unmittelbarer Einsichtigkeit beruhen oder durch Erprobung Bestätigung
finden. Es handelt sich dabei um die Wahrheitsordnung des Alltagslebens
und der wissenschaftlichen Forschung. Auf einer anderen Ebene sind die
Wahrheiten philosophischen Charakters anzusiedeln, zu denen der Mensch
durch die spekulative Kraft seines Verstandes gelangt. Schließlich gibt es
die religiösen Wahrheiten, die in gewissem Maße auch in der Philosophie
verwurzelt sind. Enthalten sind sie in den Antworten, welche die
verschiedenen Religionen in ihren Traditionen auf die letzten Fragen
geben.27
Was die philosophischen Wahrheiten betrifft, gilt es klarzustellen, daß
sie sich nicht allein auf die mitunter kurzlebigen Wahrheiten der
Berufsphilosophen beschränken. Wie ich schon gesagt habe, ist jeder Mensch
auf eine gewisse Art ein Philosoph und besitzt seine philosophischen
Auffassungen, nach denen er sein Leben ausrichtet. Er bildet sich auf die
eine oder andere Weise eine Gesamtanschauung und eine Antwort auf die
Frage nach dem Sinn seines Daseins: in diesem Licht deutet er sein
persönliches Schicksal und regelt sein Verhalten. Hier müßte er sich die
Frage nach dem Verhältnis der philosophisch-religiösen Wahrheiten zu der
in Jesus Christus geoffenbarten Wahrheit stellen. Bevor wir diese Frage
beantworten, müssen wir noch eine weitere Gegebenheit der Philosophie
bedenken.
31. Der Mensch ist nicht geschaffen, um allein zu leben. Er wird
geboren und wächst in einer Familie auf, um sich später mit seiner Arbeit
in die Gesellschaft einzugliedern. Er findet sich also von Geburt an in
verschiedene Traditionen eingebunden, von denen er nicht nur die Sprache
und die kulturelle Bildung, sondern auch vielfältige Wahrheiten empfängt,
denen er gleichsam instinktiv glaubt. Persönliches Wachstum und Reifung
bringen es jedoch mit sich, daß diese Wahrheiten durch den besonderen
Einsatz des kritischen Denkens in Zweifel gezogen und überprüft werden
können. Das hindert nicht, daß nach dieser Übergangsphase dieselben
Wahrheiten aufgrund der mit ihnen gemachten Erfahrung oder kraft
nachfolgender Überlegungen »wiedergewonnen« werden. Trotzdem sind im Leben
eines Menschen die einfachhin geglaubten Wahrheiten viel zahlreicher als
jene, die er durch persönliche Überprüfung erwirbt. Wer wäre denn
imstande, die unzähligen wissenschaftlichen Ergebnisse, auf die sich das
moderne Leben stützt, kritisch zu prüfen? Wer vermöchte für sich allein
den Strom der Informationen zu kontrollieren, die Tag für Tag aus allen
Teilen der Welt eintreffen und die immerhin als grundsätzlich wahr
angenommen werden? Wer könnte schließlich die Erfahrungs und Denkwege
wiederholen, auf denen sich die Schätze der Menschheit an Weisheit und
Religiosität angesammelt haben? Der Mensch, ein Wesen, das nach der
Wahrheit sucht, ist also auch derjenige, der vom Glauben lebt.
32. Im Glauben vertraut sich ein jeder den von anderen Personen
erworbenen Erkenntnissen an. Darin ist eine bedeutungsvolle Spannung
erkennbar: einerseits erscheint die Erkenntnis durch Glauben als eine
unvollkommene Erkenntnisform, die sich nach und nach durch die persönlich
gewonnene Einsicht vervollkommnen soll; andererseits erweist sich der
Glaube oft als menschlich reicher im Vergleich zur bloßen Einsichtigkeit,
weil er eine Beziehung zwischen Personen einschließt und nicht nur die
persönlichen Erkenntnisfähigkeiten, sondern auch die tiefergehende
Fähigkeit ins Spiel bringt, sich anderen Personen anzuvertrauen, indem man
eine festere und innige Verbindung mit ihnen eingeht.
Es sei unterstrichen, daß die in dieser zwischenmenschlichen Beziehung
gesuchten Wahrheiten nicht in erster Linie in die faktische oder in die
philosophische Ordnung gehören. Gesucht wird vielmehr nach der
eigentlichen Wahrheit der Person: was sie ist und was sie von ihrem
Innersten sichtbar werden läßt. Die Vollkommenheit des Menschen besteht
nämlich nicht allein in der Aneignung der abstrakten Erkenntnis der
Wahrheit, sondern auch in einer lebendigen Beziehung der Hingabe und Treue
gegenüber dem anderen. In dieser Treue, die sich hinzugeben vermag, findet
der Mensch volle Gewißheit und Sicherheit. Gleichzeitig ist die Erkenntnis
durch Glauben, die sich auf das zwischenmenschliche Vertrauen stützt,
jedoch nicht ohne Bezug zur Wahrheit: der gläubige Mensch vertraut sich
der Wahrheit an, die der andere ihm kundtut.
Wie viele Beispiele ließen sich zur Erläuterung dieser Tatsache
anführen! Meine Gedanken wenden sich jedoch geradewegs dem Zeugnis der
Märtyrer zu. Der Märtyrer ist in der Tat der zuverlässigste Zeuge der
Wahrheit über das Dasein. Er weiß, daß er in der Begegnung mit Jesus
Christus die Wahrheit über sein Leben gefunden hat; nichts und niemand
wird ihm jemals diese Gewißheit zu entreißen vermögen. Weder das Leiden
noch der gewaltsame Tod werden ihn dazu bringen können, die Zustimmung zu
der Wahrheit zu widerrufen, die er in der Begegnung mit Christus entdeckt
hat. Deshalb fasziniert uns bis heute das Zeugnis der Märtyrer, es weckt
Zustimmung, stößt auf Gehör und findet Nachahmung. Das ist der Grund,
warum man auf ihr Wort vertraut: Man entdeckt in ihnen ganz offensichtlich
eine Liebe, die keiner langen Argumentationen bedarf, um zu überzeugen, da
sie zu jedem von dem spricht, was er im Innersten bereits als wahr
vernimmt und seit langem gesucht hat. Schließlich ruft der Märtyrer ein
tiefes Vertrauen in uns hervor, weil er sagt, was wir bereits empfinden,
und offenkundig macht, was auch wir, wenn wir denn die Kraft dazu fänden,
gern ausdrücken würden.
33. So kann man sehen, daß die Linien des Problems fortschreitend
ergänzt werden. Der Mensch sucht von Natur aus nach der Wahrheit. Diese
Suche ist nicht allein zur Aneignung von partiellen, faktischen oder
wissenschaftlichen Wahrheiten bestimmt; der Mensch sucht nicht nur für
jede seiner Entscheidungen das wahre Gute. Seine Suche strebt nach einer
jenseitigen Wahrheit, die in der Lage sein soll, den Sinn des Lebens zu
erklären; es handelt sich daher um eine Suche, die nur im Absoluten
Antwort finden kann.28
Dank der dem Denken innewohnenden Fähigkeiten ist der Mensch imstande,
einer solchen Wahrheit zu begegnen und sie zu erkennen. Diese
lebenswichtige und für seine Existenz wesentliche Wahrheit wird nicht nur
auf rationalem Weg erreicht, sondern auch dadurch, daß sich der Mensch
vertrauensvoll auf andere Personen verläßt, welche die Sicherheit und
Authentizität der Wahrheit garantieren können. Die Fähigkeit und
Entscheidung, sich selbst und sein Leben einem anderen Menschen
anzuvertrauen, stellen gewiß einen der anthropologisch gewichtigsten und
ausdrucksstärksten Akte dar.
Man möge nicht vergessen, daß auch die Vernunft bei ihrer Suche auf die
Unterstützung durch vertrauensvollen Dialog und aufrichtige Freundschaft
angewiesen ist. Ein Klima aus Verdacht und Mißtrauen, wie es die
spekulative Forschung mitunter umgibt, vernachlässigt die Lehre der
antiken Philosophen, welche die Freundschaft als eine der für das richtige
Philosophieren geeignetsten Rahmenbedingungen herausstellten.
Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß sich der Mensch auf einer nach
menschlichem Ermessen endlosen Suche befindet: der Suche nach Wahrheit und
der Suche nach einer Person, der er sich anvertrauen kann. Der christliche
Glaube kommt ihm dadurch entgegen, daß er ihm die konkrete Möglichkeit
bietet, das Ziel dieser Suche verwirklicht zu sehen. Indem er beim
Menschen das Stadium des gewöhnlichen Glaubens überwindet, führt er ihn in
jene Gnadenordnung ein, die ihm die Teilhabe an dem Geheimnis Christi
erlaubt, in dem ihm die wahre und angemessene Erkenntnis des dreieinigen
Gottes geschenkt wird. In Jesus Christus, der die Wahrheit ist, anerkennt
somit der Glaube den letzten Aufruf, der an die Menschheit gerichtet wird,
damit sie das, was sie als Streben und Sehnsucht erfährt, zur Erfüllung
bringen kann.
34. Diese »Wahrheit«, die uns Gott in Jesus Christus offenbart, steht
nicht im Widerspruch zu den Wahrheiten, zu denen man durch das
Philosophieren gelangt. Die beiden Erkenntnisordnungen führen ja erst zur
Wahrheit in ihrer Fülle. Die Einheit der Wahrheit ist bereits ein
grundlegendes Postulat der menschlichen Vernunft, das im
Non-Kontradiktionsprinzip ausgedrückt ist. Die Offenbarung bietet die
Sicherheit für diese Einheit, indem sie zeigt, daß der Schöpfergott auch
der Gott der Heilsgeschichte ist. Ein und derselbe Gott, der die
Verstehbarkeit und Vernünftigkeit der natürlichen Ordnung der Dinge, auf
die sich die Wissenschaftler vertrauensvoll stützen,29
begründet und gewährleistet, ist identisch mit dem Gott, der sich als
Vater unseres Herrn Jesus Christus offenbart. Diese Einheit von
natürlicher und geoffenbarter Wahrheit findet ihre lebendige und personale
Identifikation in Christus, worauf der Apostel anspielt: »Die Wahrheit ist
in Christus« (vgl. Eph 4, 21; Kol 1, 15-20). Er ist das
ewige Wort, in dem alles erschaffen worden ist, und zugleich ist er
das fleischgewordene Wort, das in seiner ganzen Person den Vater
offenbart (vgl. Joh 1, 14.18).30
Das, was die menschliche Vernunft sucht, »ohne es zu kennen« (Apg
17, 23), kann nur durch Christus gefunden werden: denn in ihm offenbart
sich die »volle Wahrheit« (vgl. Joh 1, 14-16) jedes Wesens, das in
ihm und durch ihn erschaffen worden ist und daher in ihm seine Vollendung
findet (vgl. Kol 1, 17).
35. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Betrachtungen gilt es nun,
eine unmittelbarere Untersuchung des Verhältnisses zwischen geoffenbarter
Wahrheit und Philosophie vorzunehmen. Dieses Verhältnis nötigt uns zu
einer doppelten Überlegung, da die Wahrheit, die aus der Offenbarung
stammt, gleichzeitig eine Wahrheit ist, die im Lichte der Vernunft
verstanden werden muß. Erst in dieser zweifachen Bedeutung ist es nämlich
möglich, das richtige Verhältnis zum philosophischen Wissen genau zu
bestimmen. Wir betrachten deshalb zunächst die Beziehungen zwischen Glaube
und Philosophie im Laufe der Geschichte. Von daher werden sich einige
Grundsätze feststellen lassen, an die man sich als Bezugspunkte halten
muß, um das richtige Verhältnis zwischen den beiden Erkenntnisordnungen
festzulegen.
KAPITEL IV - DAS VERHÄLTNIS VON GLAUBE UND VERNUNFT
Bedeutsame Schritte der Begegnung zwischen Glaube und Vernunft
[36-42]
36. Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte sah sich die christliche
Verkündigung von Anfang an mit den zeitgenössischen philosophischen
Strömungen konfrontiert. So berichtet das Buch darüber, daß der hl. Paulus
in Athen mit »einigen epikureischen und stoischen Philosophen« diskutierte
(17, 18). Die exegetische Analyse jener Rede, die der Apostel im Areopag
gehalten hatte, hob die wiederholten Anspielungen auf populäre
Überzeugungen zumeist stoischer Herkunft hervor. Das war sicher kein
Zufall. Um von den Heiden verstanden zu werden, konnten es die ersten
Christen in ihren Reden nicht beim Hinweis »auf Mose und die Propheten«
bewenden lassen; sie mußten sich auch auf die natürliche Gotteserkenntnis
und auf die Stimme des moralischen Gewissens jedes Menschen stützen (vgl.
Röm 1, 19-21; 2, 14-15; Apg 14, 14-16). Da diese natürliche
Erkenntnis jedoch in der heidnischen Religion zum Götzendienst verkommen
war (vgl. Röm 1, 21-32), hielt es der Apostel für klüger, seine
Rede mit dem Denken der Philosophen zu verknüpfen, die von Anfang an den
Mythen und Mysterienkulten Gedanken entgegengesetzt hatten, die der
göttlichen Transzendenz größere Achtung entgegenbrachten.
Die Gottesvorstellung der Menschen von mythologischen Formen zu
reinigen, war in der Tat eine der größten Anstrengungen, die die
Philosophen des klassischen Denkens unternommen haben. Wie wir wissen, war
auch die griechische Religion, nicht anders als die meisten kosmischen
Religionen, polytheistisch. Dabei ging sie so weit, daß sie Dinge und
Naturphänomene vergöttlichte. Die Versuche des Menschen, den Ursprung der
Götter und in ihnen des Universums zu begreifen, fanden ihren ersten
Ausdruck in der Dichtkunst. Die Theogonien sind bis heute das erste
Zeugnis dieser Suche des Menschen. Aufgabe der Väter der Philosophie war
es, den Zusammenhang zwischen Vernunft und Religion sichtbar zu machen. Da
sie den Blick auf allgemeine Prinzipien hin ausweiteten, gaben sie sich
nicht mehr mit alten Mythen zufrieden, sondern wollten ihrem Glauben an
die Gottheit eine rationale Grundlage geben. So wurde ein Weg
eingeschlagen, der, ausgehend von den einzelnen alten Überlieferungen, in
eine Entwicklung einmündete, die den Anforderungen der allgemeinen
Vernunft entsprach. Das Ziel, das diese Entwicklung anstrebte, war das
kritische Bewußtsein dessen, woran man glaubte. Dieser Weg schlug sich
positiv zunächst in der Gottesvorstellung nieder. Formen von Aberglauben
wurden als solche erkannt, und die Religion wurde durch die Kraft der
rationalen Analyse wenigstens zum Teil geläutert. Auf dieser Grundlage
begannen die Kirchenväter einen fruchtbaren Dialog mit den antiken
Philosophen und bahnten so der Verkündigung und dem Verständnis des Gottes
Jesu Christi den Weg.
37. Wenn man auf diese Annäherungsbewegung der Christen an die
Philosophie hinweist, muß man freilich auch die vorsichtige Haltung
erwähnen, die andere Elemente der heidnischen Kulturwelt, wie zum Beispiel
die Gnosis, bei ihnen hervorriefen. Als praktische Weisheit und
Lebensschule konnte die Philosophie leicht mit einer Erkenntnis höherer,
esoterischer Art, die nur wenigen Vollkommenen vorbehalten war,
verwechselt werden. Zweifellos denkt der hl. Paulus an diese Weise
esoterischer Spekulationen, wenn er die Kolosser warnt: »Gebt acht, daß
euch niemand mit seiner Philosophie und falschen Lehre verführt, die sich
nur auf menschliche Überlieferung stützen und sich auf die Elementarmächte
der Welt, nicht auf Christus berufen« (2, 8). Die Worte des Apostels
erscheinen äußerst aktuell, wenn wir sie auf die verschiedenen Formen der
Esoterik beziehen, die heutzutage auch bei manchen Gläubigen, denen es am
erforderlichen kritischen Sinn mangelt, um sich greifen. Dem Beispiel des
hl. Paulus folgend erhoben andere Schriftsteller der ersten Jahrhunderte,
im besonderen der hl. Irenäus und Tertullian, ihrerseits Vorbehalte gegen
eine kulturelle Konzeption, die forderte, die Wahrheit der Offenbarung der
Interpretation der Philosophen unterzuordnen.
38. Die Begegnung des Christentums mit der Philosophie erfolgte also
weder spontan noch war sie einfach. Die Tätigkeit der Philosophen und der
Besuch ihrer Schulen erschien den ersten Christen eher als Störung denn
als Chance. Für sie war die erste, dringende Aufgabe die Verkündigung des
auferstandenen Christus in einer persönlichen Begegnung, die den
Gesprächspartner zur inneren Umkehr und zur Bitte um die Taufe führen
sollte. Das heißt freilich nicht, daß sie die Aufgabe, das Verständnis des
Glaubens und seiner Begründungen zu vertiefen, unbeachtet gelassen hätten.
Im Gegenteil: Die Kritik des Kelsos, der die Christen bezichtigt,
»ungebildete und grobschlächtige« Leute31
zu sein, stellt sich daher als ungerecht und als Vorwand heraus. Die
Erklärung für ihre anfängliche Gleichgültigkeit muß anderswo gesucht
werden. In Wirklichkeit bot die Begegnung mit dem Evangelium eine derart
befriedigende Antwort auf die bis dahin ungelöste Frage nach dem Sinn des
Lebens, daß ihnen der Umgang mit den Philosophen wie eine ferne und in
gewisser Hinsicht überholte Angelegenheit vorkam.
Das erscheint heute noch klarer, wenn man an jenen Beitrag des
Christentums denkt, der in der Bestätigung des Rechtes aller auf Zugang
zur Wahrheit besteht. Das Christentum hatte nach dem Niederreißen der
durch Rasse, sozialen Stand und Geschlecht bedingten Schranken von Anfang
an die Gleichheit aller Menschen vor Gott verkündet. Die erste Konsequenz
dieser Auffassung wandte man auf das Thema Wahrheit an. Der elitäre
Charakter, den die Wahrheitssuche bei den Alten hatte, wurde mit
Entschlossenheit überwunden: Da der Zugang zur Wahrheit ein Gut ist, das
es ermöglicht, zu Gott zu gelangen, müssen alle in der Lage sein, diesen
Weg gehen zu können. Die Wege, um die Wahrheit zu erreichen, sind
vielfältig; dennoch kann, da die christliche Wahrheit Heilswert besitzt,
jeder dieser Wege nur dann eingeschlagen werden, wenn er zum letzten Ziel,
das heißt zur Offenbarung Jesu Christi, führt.
Als Pionier einer positiven Begegnung mit dem philosophischen Denken,
wenn auch unter dem Vorzeichen vorsichtiger Unterscheidung, muß der hl.
Justin genannt werden: Obwohl er sich seine große Wertschätzung für die
griechische Philosophie auch nach seiner Bekehrung bewahrt hatte,
beteuerte er klar und entschieden, im Christentum »die einzige sichere und
nutzbringende Philosophie« gefunden zu haben.32
Ähnlich nannte Clemens Alexandrinus das Evangelium »die wahre Philosophie«33
und interpretierte die Philosophie in Analogie zum mosaischen Gesetz als
eine Vorunterweisung für den christlichen Glauben34
und eine Vorbereitung auf das Evangelium.35
Denn »nach dieser Weisheit trägt die Philosophie Verlangen; diese ist ein
Streben der Seele sowohl nach der Fähigkeit richtigen Denkens als auch
nach der Reinheit des Lebens; sie ist gegen die Weisheit freundschaftlich
und liebevoll gesinnt und tut alles, um ihrer teilhaftig zu werden.
Philosophen aber heißen bei uns diejenigen, die nach der Weisheit, die
alle Dinge geschaffen hat und alles lehrt, Verlangen tragen, das heißt
nach der Erkenntnis des Sohnes Gottes«.36
Hauptzweck der griechischen Philosophie ist für den Alexandriner nicht die
Ergänzung oder Stärkung der christlichen Wahrheit; ihre Aufgabe ist
vielmehr die Verteidigung des Glaubens: »In sich vollendet und keiner
Ergänzung bedürftig ist die Lehre im Sinne des Erlösers, da sie göttliche
Kraft und Weisheit ist. Wenn aber die griechische Weisheit hinzukommt, so
macht sie die Wahrheit zwar nicht wirksamer, aber weil sie die
sophistischen Angriffe entkräftet und die listigen Angriffe gegen die
Wahrheit abwehrt, ist sie mit Recht Zaun und Mauer des Weinbergs genannt
worden«.37
39. In der Geschichte dieser Entwicklung läßt sich jedenfalls die
kritische Übernahme des philosophischen Denkens seitens der christlichen
Denker feststellen. Unter den ersten Beispielen, denen man begegnen kann,
ist Origenes sicher von maßgebender Bedeutung. Um auf die vom Philosophen
Kelsos erhobenen Angriffe zu antworten und ihnen zu entgegnen, übernimmt
Origenes die platonische Philosophie. Unter Einbeziehung zahlreicher
Elemente des platonischen Denkens geht er daran, zum ersten Mal so etwas
wie eine christliche Theologie zu erarbeiten. Der Name Theologie ebenso
wie die Vorstellung von ihr als vernünftiges Reden über Gott war nämlich
bis dahin noch an ihren griechischen Ursprung gebunden. In der
aristotelischen Philosophie zum Beispiel bezeichnete der Ausdruck den
vornehmsten Teil und eigentlichen Höhepunkt der philosophischen
Erörterung. Was vorher auf eine allgemeine Lehre über die Götter
hindeutete, bekam hingegen im Lichte der christlichen Offenbarung eine
ganz neue Bedeutung, weil Theologie nunmehr das Nachdenken bezeichnete,
das der Glaubende vollzog, um die wahre Lehre über Gott zu
formulieren. Dieses in ständiger Weiterentwicklung begriffene neue
christliche Denken bediente sich der Philosophie, war aber gleichzeitig
auf klare Unterscheidung von ihr bedacht. Die Geschichte zeigt, daß das in
die Theologie übernommene platonische Denken selbst tiefgreifende
Veränderungen erfahren hat, besonders was Begriffe wie Unsterblichkeit der
Seele, Vergöttlichung des Menschen und Ursprung des Bösen betrifft.
40. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Christianisierungswerk des
platonischen und neuplatonischen Denkens die Kappadokier, Dionysios
Areopagita und vor allem der hl. Augustinus. Der große abendländische
Gelehrte war mit verschiedenen philosophischen Schulen in Kontakt
gekommen, doch hatten ihn alle enttäuscht. Als dann die Wahrheit des
christlichen Glaubens in sein Blickfeld trat, besaß er die Kraft, jene
radikale Bekehrung zu vollziehen, zu welcher ihn die von ihm vorher
wiederholt aufgesuchten Philosophen nicht bringen konnten. Den Grund dafür
erzählt er selbst: »Von jetzt an aber gab ich immerhin der katholischen
Lehre den Vorzug; empfand ich doch, um wieviel bescheidener und ohne die
geringste betrügerische Absicht hier befohlen wird zu glauben, was nicht
bewiesen wird, gleichviel ob es zu beweisen wäre, aber nicht für jeden,
oder überhaupt nicht bewiesen werden kann; während bei den anderen das
Wissen in vermessener Weise versprochen und über die Glaubwilligkeit
gelacht wird und nachher befohlen wird, daß man nur Erdichtetes, ja
Abwegigstes glauben soll, das nie bewiesen werden kann«.38
Denselben Platonikern, auf die man sich vorwiegend bezog, warf Augustinus
vor, daß sie zwar das anzustrebende Ziel kannten, jedoch nichts von dem
Weg wissen wollten, der dorthin führt: dem fleischgewordenen Wort.39
Dem Bischof von Hippo gelang es, die erste große Synthese des
philosophischen und theologischen Denkens zu erstellen, in die Strömungen
des griechischen und lateinischen Denkens einflossen. Auch bei ihm wurde
die große Einheit des Wissens, deren Ausgangspunkt und Grundlage das
biblische Denken war, von der Gründlichkeit des spekulativen Denkens
bestätigt und getragen. Die vom hl. Augustinus vollzogene Synthese sollte
Jahrhunderte lang die höchste Form philosophischen und theologischen
Denkens bleiben, die das Abendland gekannt hat. Gefestigt durch seine
persönliche Lebensgeschichte und gestützt auf ein wunderbar heiligmäßiges
Leben, war er auch in der Lage, in seine Werke vielfältige Gegebenheiten
einzubringen, die durch den Rückgriff auf die Erfahrung künftige
Entwicklungen mancher philosophischer Denkrichtungen anzeigten.
41. Die Kirchenväter des Ostens und des Abendlandes haben also in
verschiedenen Formen Verbindung mit den philosophischen Schulen
aufgenommen. Das heißt nicht, daß sie den Inhalt ihrer Botschaft mit den
Systemen, auf die sie Bezug nahmen, identifiziert hätten. Die Frage
Tertullians: »Was haben Athen und Jerusalem gemein? Was die Akademie und
die Kirche?«40
ist ein klares Anzeichen für das kritische Bewußtsein, mit dem sich die
christlichen Denker von Anfang an mit dem Problem des Verhältnisses von
Glaube und Philosophie auseinandersetzten; sie sahen es umfassend, in
seinen positiven Aspekten ebenso wie in seinen Grenzen. Sie waren keine
naiven Denker. Gerade weil sie den Inhalt des Glaubens intensiv lebten,
vermochten sie zu den tiefgründigsten Formen spekulativen Denkens zu
gelangen. Es ist daher ungerecht und oberflächlich, ihr Werk auf die bloße
Umsetzung der Glaubensinhalte in philosophische Kategorien einzuengen. Sie
haben weit mehr geleistet. Es gelang ihnen nämlich, das voll sichtbar
werden zu lassen, was sich noch unausgesprochen und propädeutisch im
Denken der großen antiken Philosophen andeutete.41
Sie hatten, wie gesagt, die Aufgabe zu zeigen, wie die von den äußeren
Fesseln befreite Vernunft aus der Sackgasse der Mythen herausfinden
könnte, um sich der Transzendenz auf angemessenere Weise zu öffnen. Eine
geläuterte und aufrichtige Vernunft war also imstande, sich auf die
höchsten Ebenen der Reflexion zu erheben, und schuf damit eine solide
Grundlage für die Wahrnehmung des Seins, der Transzendenz und des
Absoluten.
Genau hierin liegt das von den Kirchenvätern vollbrachte Neue. Sie
anerkannten voll die für das Absolute offene Vernunft und pflanzten ihr
den aus der Offenbarung stammenden Reichtum ein. Zur Begegnung kam es
nicht nur auf der Ebene von Kulturen, von denen die eine vielleicht dem
Zauber der anderen verfallen war; sie geschah in den Herzen und war
Begegnung zwischen dem Geschöpf und seinem Schöpfer. Die Vernunft konnte
dadurch, daß sie über das Ziel, dem sie kraft ihrer Natur unbewußt
zustrebte, hinausging, in der Person des fleischgewordenen Wortes zum
höchsten Gut und zur höchsten Wahrheit gelangen. Die Kirchenväter scheuten
sich jedoch nicht, gegenüber den Philosophien sowohl die gemeinsamen
Elemente als auch die Verschiedenheiten anzuerkennen, die diese bezüglich
der Offenbarung aufwiesen. Das Bewußtsein von den Übereinstimmungen trübte
in ihnen nicht das Erkennen der Unterschiede.
42. In der scholastischen Theologie wird unter dem Anstoß der
Interpretation des intellectus fidei durch Anselm von Canterbury
die Rolle der philosophisch geschulten Vernunft noch gewichtiger. Für den
heiligen Erzbischof von Canterbury steht der Vorrang des Glaubens nicht im
Wettbewerb mit der Suche, wie sie der Vernunft eigen ist. Diese ist
nämlich nicht dazu berufen, ein Urteil über die Glaubensinhalte zu
formulieren; sie wäre, weil dafür ungeeignet, dazu auch gar nicht fähig.
Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, einen Sinn zu finden, Gründe zu
entdecken, die es allen erlauben, zu einem gewissen Verständnis der
Glaubensinhalte zu gelangen. Der hl. Anselm unterstreicht die Tatsache,
daß sich der Verstand auf die Suche nach dem begeben muß, was er liebt: je
mehr er liebt, um so mehr sehnt er sich nach Erkenntnis. Wer für die
Wahrheit lebt, strebt nach einer Erkenntnisform, die immer mehr von Liebe
zu dem entbrennt, was er erkennt, auch wenn er einräumen muß, noch nicht
alles getan zu haben, was in seinem Verlangen gelegen wäre: »Ad te
videndum factus sum; et nondum feci propter quod factus sum«.42
Das Streben nach Wahrheit drängt also die Vernunft, immer weiterzugehen;
ja, sie wird gleichsam überwältigt von der Feststellung, daß ihre
Fähigkeit immer größer ist als das, was sie tatsächlich erreicht. An
diesem Punkt jedoch vermag die Vernunft zu entdecken, wo die Vollendung
ihres Weges liegt: »Denn ich meine, daß einer, der etwas Unbegreifliches
erforscht, sich zufriedengeben sollte, mit Hilfe der vernünftigen
Auseinandersetzung mit sehr hoher Gewißheit die Wirklichkeit zu erkennen,
auch wenn er nicht imstande ist, mit dem Verstand bis zu ihrer Seinsweise
durchzudringen [...]. Denn gibt es etwas so Unbegreifliches und
Unaussprechbares wie das, was oberhalb von allem ist? Wenn also das, was
man bislang über das höchste Wesen diskutiert hat, auf Grund notwendiger
Argumente festgelegt worden ist, obwohl man mit dem Verstand nicht derart
bis zu ihm durchzudringen vermag, daß man es auch mit Worten erklären
könnte, gerät deshalb das Fundament seiner Gewißheit nicht im geringsten
ins Wanken. Denn wenn eine vorgängige Überlegung vernunftgemäß begriffen
hat, daß die Art, wie die oberste Weisheit weiß, was sie geschaffen hat
[...] unbegreiflich ist (rationabiliter comprehendit incomprensibile
esse), wer wird dann erklären können, wie sie selbst sich erkennt und
sich nennt — sie, über die der Mensch nichts oder fast nichts wissen
kann?«.43
Der grundlegende Einklang von philosophischer Erkenntnis und Erkenntnis
des Glaubens wird noch einmal bekräftigt: der Glaube verlangt, daß sein
Gegenstand mit Hilfe der Vernunft verstanden wird; die Vernunft gibt auf
dem Höhepunkt ihrer Suche das, was der Glaube vorlegt, als notwendig zu.
Die bleibende Neuheit des
Denkens des hl. Thomas von Aquin [43-44]
43. Ein ganz besonderer Platz auf diesem langen Weg gebührt dem hl.
Thomas nicht nur wegen des Inhalts seiner Lehre, sondern auch wegen der
Beziehung, die er im Dialog mit dem arabischen und jüdischen Denken seiner
Zeit herstellen konnte. In einer Epoche, in der die christlichen Denker
die Schätze der antiken, genauer der aristotelischen Philosophie
wiederentdeckten, kam ihm das große Verdienst zu, daß er die Harmonie, die
zwischen Vernunft und Glaube besteht, in den Vordergrund gerückt hat. Das
Licht der Vernunft und das Licht des Glaubens kommen beide von Gott,
lautete sein Argument; sie können daher einander nicht widersprechen.44
Noch grundlegender anerkennt Thomas, daß die Natur, die Gegenstand der
Philosophie ist, zum Verstehen der göttlichen Offenbarung beitragen kann.
Der Glaube fürchtet demnach die Vernunft nicht, sondern sucht sie und
vertraut auf sie. Wie die Gnade die Natur voraussetzt und vollendet,45
so setzt der Glaube die Vernunft voraus und vollendet sie. Vom Glauben
erleuchtet, wird diese von der Gebrechlichkeit und den aus dem Ungehorsam
der Sünde herrührenden Grenzen befreit und findet die nötige Kraft, um
sich zur Erkenntnis des Geheimnisses vom dreieinigen Gott zu erheben. Der
Doctor Angelicus hat, so nachdrücklich er auch den übernatürlichen
Charakter des Glaubens unterstrich, den Wert seiner Vernunftgemäßheit
nicht vergessen; ja, er vermochte in die Tiefe zu gehen und den Sinn
dieser Vernunftgemäßheit näher zu erklären. Denn der Glaube ist eine Art
»Denkübung«; die Vernunft nimmt sich durch ihre Zustimmung zu den
Glaubensinhalten weder zurück noch erniedrigt sie sich; zu den
Glaubensinhalten gelangt man in jedem Fall durch freie Entscheidung und
das eigene Gewissen.46
Aus diesem Grund ist der hl. Thomas zu Recht von der Kirche immer als
Lehrmeister des Denkens und Vorbild dafür hingestellt worden, wie
Theologie richtig betrieben werden soll. Ich möchte in diesem Zusammenhang
anführen, was mein Vorgänger, der Diener Gottes Papst Paul VI., anläßlich
des siebenhundertsten Todestages des hl. Thomas geschrieben hat: »Thomas
besaß zweifellos in höchstem Maße den Mut zur Wahrheit, die Freiheit des
Geistes, wenn er an die neuen Probleme heranging, die intellektuelle
Redlichkeit dessen, der die Verschmelzung des Christentums mit der
weltlichen Philosophie ebenso wenig gelten läßt wie deren apriorische
Ablehnung. Er ging deshalb in die Geschichte des christlichen Denkens als
ein Pionier auf dem neuen Weg der Philosophie und der universalen Kultur
ein. Der zentrale, ja gleichsam Kernpunkt der Lösung, die er mit seinem
genialen prophetischen Scharfsinn für das Problem der neuen
Gegenüberstellung von Vernunft und Glaube fand, war die Versöhnung
zwischen der säkularen Diesseitigkeit der Welt und der Radikalität des
Evangeliums; damit entzog er sich der widernatürlichen Tendenz zur
Leugnung der Welt und ihrer Werte, ohne allerdings die höchsten und
unbeugsamen Ansprüche der übernatürlichen Ordnung zu vernachlässigen«.47
44. Zu den großen Einsichten des hl. Thomas gehört auch jene bezüglich
der Rolle, die der Heilige Geist dabei spielt, menschliches Wissen zu
Weisheit reifen zu lassen. Bereits auf den ersten Seiten seiner Summa
Theologiae48
zeigte der Aquinat den Vorrang jener Weisheit auf, die Gabe des Heiligen
Geistes ist und in die Erkenntnis der göttlichen Wirklichkeiten einführt.
Seine Theologie ermöglicht es, die Eigenart der Weisheit in ihrer engen
Beziehung zum Glauben und zur Gotteserkenntnis zu begreifen. Die Weisheit
erkennt auf Grund ihrer natürlichen Verwandtschaft (Konnaturalität), sie
setzt den Glauben voraus und formuliert schließlich ihr richtiges Urteil
von der Wahrheit des Glaubens her: »Die Weisheit, die zu den Gaben des
Heiligen Geistes zählt, unterscheidet sich von jener (Klugheit), die zu
den Tugenden des Verstandes gehört. Diese letztere nämlich erwirbt man
sich durch das Studium: jene hingegen “kommt von oben”, wie es der hl.
Jakobus ausdrückt. So ist sie auch verschieden vom Glauben. Denn der
Glaube nimmt die göttliche Wahrheit so an, wie sie ist: Eigenart der Gabe
der Weisheit ist es hingegen, gemäß der göttlichen Wahrheit zu urteilen«.49
Der Vorrang, den er dieser Weisheit zuerkennt, läßt den Doctor
Angelicus freilich nicht das Vorhandensein zweier anderer ergänzender
Weisheitsformen vergessen: die philosophische, die sich auf das
Vermögen des Verstandes stützt, innerhalb der ihm angeborenen Grenzen die
Wirklichkeit zu erforschen; und die theologische, die auf der
Offenbarung beruht und die Glaubensinhalte prüft, wodurch sie zum
Geheimnis Gottes selbst vorstößt.
Zutiefst davon überzeugt, daß »omne verum a quocumque dicatur a
Spiritu Sancto est«,50
liebte der hl. Thomas in uneigennütziger Weise die Wahrheit. Er suchte sie
überall, wo sie sich zeigen könnte, und machte ihre Universalität höchst
einsichtig. Das Lehramt der Kirche hat in ihm die Leidenschaft für die
Wahrheit erkannt und gewürdigt; sein Denken erreichte, eben weil es immer
im Horizont der universalen, objektiven und transzendenten Wahrheit blieb,
»Gipfel, wie sie die menschliche Intelligenz niemals zu denken vermocht
hätte«.51
Er darf also mit Recht »Apostel der Wahrheit«52
genannt werden. Weil er die Wahrheit vorbehaltlos anstrebte, konnte er in
seinem Realismus deren Objektivität anerkennen. Seine Philosophie ist
wahrhaftig die Philosophie des Seins und nicht des bloßen Scheins.
Das Drama der Trennung
zwischen Glaube und Vernunft [45-48]
45. Mit der Errichtung der ersten Universitäten sah sich die Theologie
mit anderen Formen des Forschens und des wissenschaftlichen Wissens
unmittelbarer konfrontiert. Der hl. Albertus Magnus und der hl. Thomas
waren die ersten, die, obwohl sie an einer organischen Verbindung zwischen
Theologie und Philosophie festhielten, der Philosophie und den
Wissenschaften die nötige Autonomie zuerkannten, die diese brauchen, um
sich den jeweiligen Forschungsgebieten erfolgreich widmen zu können. Vom
späten Mittelalter an verwandelte sich jedoch die legitime Unterscheidung
zwischen den beiden Wissensformen nach und nach in eine unselige Trennung.
Infolge des Vorherrschens eines übertriebenen rationalistischen Geistes
bei einigen Denkern wurden die Denkpositionen radikaler, bis man
tatsächlich bei einer getrennten und gegenüber den Glaubensinhalten
absolut autonomen Philosophie anlangte. Zu den Folgen dieser Trennung
gehörte unter anderen auch ein wachsender Argwohn gegenüber der Vernunft.
Einige begannen, sich zu einem allgemeinen, skeptischen und agnostischen
Mißtrauen zu bekennen, entweder um dem Glauben mehr Raum vorzubehalten
oder aber um jede nur mögliche seiner Beziehungen zur Vernunft in
Mißkredit zu bringen.
Was das patristische und mittelalterliche Denken als tiefe Einheit, die
eine zu den höchsten Formen spekulativen Denkens befähigende Erkenntnis
hervorbrachte, ersonnen und verwirklicht hatte, wurde letztendlich von
jenen Systemen zerstört, die für eine vom Glauben getrennte und zu ihm
alternative Vernunfterkenntnis eintraten.
46. Die auffälligsten Radikalisierungen sind bekannt und vor allem in
der Geschichte des Abendlandes deutlich sichtbar. Das moderne
philosophische Denken hat sich, so kann man ohne Übertreibung sagen, zu
einem gehörigen Teil in seiner allmählichen Abwendung von der christlichen
Offenbarung entwickelt, bis es schließlich zu klaren Gegenpositionen
gelangte. Im vorigen Jahrhundert hat diese Bewegung ihren Höhepunkt
erreicht. Einige Vertreter des Idealismus haben auf verschiedenste Weise
versucht, den Glauben und seine Inhalte, ja sogar das Geheimnis vom Tod
und Auferstehung Jesu Christi, in rational faßbare dialektische Strukturen
umzuwandeln. Diesem Denken stellten sich verschiedene, philosophisch
aufbereitete Formen eines atheistischen Humanismus entgegen, die den
Glauben als für die Entwicklung der vollen Vernünftigkeit schädlich und
entfremdend darstellten. Sie scheuten sich nicht, sich als neue Religionen
zu präsentieren; damit war die Ausgangsbasis für Zielsetzungen geschaffen,
die sich auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene zu totalitären
Systemen und damit zu einem Trauma für die Menschheit auswuchsen.
Im Bereich der wissenschaftlichen Forschung setzte sich eine
positivistische Denkweise durch, die sich nicht nur von jedem Bezug zur
christlichen Weltanschauung entfernt, sondern auch und vor allem jeden
Hinweis auf die metaphysische und moralische Sicht fallen gelassen hatte.
Die Folge davon ist, daß bestimmte Wissenschaftler, die keinen sittlichen
Anhaltspunkt haben, Gefahr laufen, daß nicht mehr der Mensch und die
Ganzheit seines Lebens im Mittelpunkt ihres Interesses steht. Mehr noch:
einige von ihnen scheinen in Kenntnis der dem technologischen Fortschritt
innewohnenden Möglichkeiten außer der Logik des Marktes der Versuchung zu
einer demiurgischen Macht über die Natur und über den Menschen selbst
nachzugeben.
Als Folge der Krise des Rationalismus hat sich schließlich der
Nihilismus herausgebildet. Er schafft es, als Philosophie vom Nichts
auf unsere Zeitgenossen seinen Zauber auszuüben. Seine Anhänger stellen
Theorien darüber auf, daß die Suche in sich selbst ihr Ende hat, ohne
irgendeine Hoffnung oder Möglichkeit, das Ziel der Wahrheit je zu
erreichen. Nach nihilistischer Auslegung ist das Dasein nur eine
Gelegenheit für Eindrücke und Erfahrungen, in denen das Flüchtige den
Vorrang hat. Der Nihilismus steht am Anfang jener verbreiteten
Geisteshaltung, wonach man keine endgültige Verpflichtung mehr übernehmen
muß, weil ohnehin alles vergänglich und vorläufig ist.
47. Andererseits darf man nicht vergessen, daß sich in der modernen
Kultur die Rolle der Philosophie selbst verändert hat. Von Weisheit und
universalem Wissen ist sie allmählich auf eines unter vielen Gebieten
menschlichen Wissens zusammengeschrumpft; sie ist sogar in gewisser
Hinsicht in eine völlige Nebenrolle abgedrängt worden. Inzwischen haben
sich andere Formen von Vernünftigkeit mit immer größerem Gewicht
durchgesetzt und dabei die Nebensächlichkeit des philosophischen Wissens
hervorgehoben. Statt auf die Anschauung der Wahrheit und die Suche nach
dem letzten Ziel und dem Sinn des Lebens sind diese Formen der
Vernünftigkeit als »instrumentale Vernunft« darauf ausgerichtet,
utilitaristischen Zielen, dem Genuß oder der Macht zu dienen. Zumindest
können diese Formen darauf ausgerichtet werden.
Wie gefährlich es ist, diesen Weg zu verabsolutieren, darauf habe ich
bereits in meiner ersten Enzyklika hingewiesen, wo ich schrieb: »Der
Mensch von heute scheint immer wieder von dem bedroht zu sein, was er
selbst produziert, das heißt vom Ergebnis der Arbeit seines Verstandes und
seiner Willensentscheidung. Die Früchte dieser vielgestaltigen Aktivität
des Menschen sind nicht nur Gegenstand von 'Entfremdung', weil sie
demjenigen, der sie hervorgebracht hat, einfachhin genommen werden; allzu
oft und nicht selten unvorhersehbar wenden sich diese Früchte, wenigstens
teilweise, in einer konsequenten Folge von Wirkungen indirekt gegen den
Menschen selbst. So sind sie tatsächlich gegen ihn gerichtet oder können
es jederzeit sein. Hieraus scheint das wichtigste Kapitel des Dramas der
heutigen menschlichen Existenz in seiner breitesten und universellen
Dimension zu bestehen. Der Mensch lebt darum immer mehr in Angst. Er
befürchtet, daß seine Produkte, natürlich nicht alle und auch nicht die
Mehrzahl, aber doch einige und gerade jene, die ein beträchtliches Maß an
Genialität und schöpferischer Kraft enthalten, sich in radikaler Weise
gegen ihn selbst kehren könnten«.53
Im Gefolge dieser kulturellen Veränderungen haben es einige Philosophen
aufgegeben, die Wahrheit um ihrer selbst willen zu suchen, und als ihr
einziges Ziel die Erreichung der subjektiven Gewißheit oder der
praktischen Nützlichkeit übernommen. Als Konsequenz davon kam es zur
Trübung der wahren Würde der Vernunft, der nicht mehr die Möglichkeit
gegeben wurde, das Wahre zu erkennen und nach dem Absoluten zu forschen.
48. Aus diesem letzten Abschnitt der Philosophiegeschichte ergibt sich
also die Feststellung einer fortschreitenden Trennung zwischen Glaube und
philosophischer Vernunft. Es stimmt zwar, daß sich bei aufmerksamer
Beobachtung auch in der philosophischen Reflexion derer, die zur
Vergrößerung des Abstandes zwischen Glaube und Vernunft beigetragen haben,
mitunter wertvolle Denkansätze erkennen lassen, die, wenn sie mit
redlichem Geist und Herzen vertieft und entwickelt werden, helfen können,
den Weg der Wahrheit zu entdecken. Zu finden sind diese Denkansätze zum
Beispiel in den gründlichen Analysen über Wahrnehmung und Erfahrung, über
die Imagination und das Unbewußte, über Persönlichkeit und
Intersubjektivität, über Freiheit und Werte, über Zeit und Geschichte;
auch das Thema Tod kann für jeden Denker eine ernste Aufforderung sein, in
sich den echten Sinn seines Daseins zu suchen. Das hindert jedoch nicht,
daß das derzeitige Verhältnis von Glaube und Vernunft ein sorgfältiges
Bemühen um Unterscheidung erfordert, weil sowohl die Vernunft als auch der
Glaube verarmt und beide gegenüber dem je anderen schwach geworden sind.
Nachdem die Vernunft ohne den Beitrag der Offenbarung geblieben war, hat
sie Seitenwege eingeschlagen, die die Gefahr mit sich bringen, daß sie ihr
letztes Ziel aus dem Blick verliert. Der Glaube, dem die Vernunft fehlt,
hat Empfindung und Erfahrung betont und steht damit in Gefahr, kein
universales Angebot mehr zu sein. Es ist illusorisch zu meinen, angesichts
einer schwachen Vernunft besitze der Glaube größere Überzeugungskraft; im
Gegenteil, er gerät in die ernsthafte Gefahr, auf Mythos bzw. Aberglauben
verkürzt zu werden. In demselben Maß wird sich eine Vernunft, die keinen
reifen Glauben vor sich hat, niemals veranlaßt sehen, den Blick auf die
Neuheit und Radikalität des Seins zu richten.
Nicht unangebracht mag deshalb mein entschlossener und eindringlicher
Aufruf erscheinen, daß Glaube und Philosophie die tiefe Einheit
wiedererlangen sollen, die sie dazu befähigt, unter gegenseitiger Achtung
der Autonomie des anderen ihrem eigenen Wesen treu zu sein. Der
parresia (Freimütigkeit) des Glaubens muß die Kühnheit der Vernunft
entsprechen.
KAPITEL V - DIE
WORTMELDUNGEN DES LEHRAMTES IM PHILOSOPHISCHEN BEREICH
Das Urteilsvermögen des Lehramtes als Dienst an der Wahrheit
[49-56]
49. Die Kirche legt weder eine eigene Philosophie vor noch gibt sie
irgendeiner besonderen Philosophie auf Kosten der anderen den Vorzug.54
Der tiefere Grund für diese Zurückhaltung liegt darin, daß die Philosophie
auch dann, wenn sie mit der Theologie in Beziehung tritt, nach ihren
eigenen Regeln und Methoden vorgehen muß; andernfalls gäbe es keine Gewähr
dafür, daß sie auf die Wahrheit ausgerichtet bleibt und mit einem von der
Vernunft her überprüfbaren Prozeß nach ihr strebt. Eine Philosophie, die
nicht im Lichte der Vernunft nach eigenen Prinzipien und den für sie
spezifischen Methoden vorginge, wäre wenig hilfreich. Im Grunde genommen
ist der Ursprung der Autonomie, deren sich die Philosophie erfreut, daran
zu erkennen, daß die Vernunft ihrem Wesen nach auf die Wahrheit hin
orientiert und zudem in sich selbst mit den für deren Erreichung
notwendigen Mitteln ausgestattet ist. Eine Philosophie, die sich dieser
ihrer »Verfassung« bewußt ist, muß auch die Forderungen und Einsichten der
geoffenbarten Wahrheit respektieren.
Die Geschichte hat jedoch gezeigt, auf welche Abwege und in welche
Verirrungen vor allem das moderne philosophische Denken nicht selten
geraten ist. Es ist weder Aufgabe noch Zuständigkeit des Lehramtes
einzugreifen, um die Lücke eines fehlenden philosophischen Diskurses
auszufüllen. Seine Pflicht ist es hingegen, klar und entschieden zu
reagieren, wenn fragwürdige philosophische Auffassungen das richtige
Verständnis des Geoffenbarten bedrohen und wenn falsche und parteiische
Theorien verbreitet werden, die dadurch, daß sie die Schlichtheit und
Reinheit des Glaubens des Gottesvolkes verwirren, schwerwiegende Irrtümer
hervorrufen.
50. Das kirchliche Lehramt kann und soll daher im Lichte des Glaubens
autoritativ seine kritische Unterscheidungskraft gegenüber den
Philosophien und Auffassungen ausüben, die nicht mit der christlichen
Lehre übereinstimmen.55
Aufgabe des Lehramtes ist es vor allem anzugeben, welche philosophischen
Voraussetzungen und Schlußfolgerungen mit der geoffenbarten Wahrheit
unvereinbar wären, und zugleich die Forderungen zu formulieren, die der
Philosophie unter dem Gesichtspunkt des Glaubens auferlegt werden. Im
Laufe der Entwicklung des philosophischen Wissens sind zudem verschiedene
Denkschulen entstanden. Auch dieser Pluralismus stellt das Lehramt vor die
Verantwortung, sein Urteil über die Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit der
Grundgedanken, auf die sich diese Schulen stützen, mit den Ansprüchen des
Wortes Gottes und der theologischen Reflexion auszusprechen.
Die Kirche hat die Pflicht anzuzeigen, was sich in einem
philosophischen System als unvereinbar mit ihrem Glauben herausstellen
kann. Denn viele philosophische Inhalte, wie die Themen Gott, Mensch,
seine Freiheit und sein sittliches Handeln, rufen die Kirche unmittelbar
auf den Plan, weil sie an die von ihr gehütete geoffenbarte Wahrheit
rühren. Wir Bischöfe haben, wenn wir diese Unterscheidung anwenden, die
Aufgabe, »Zeugen der Wahrheit« zu sein bei der Ausübung eines demütigen,
aber unermüdlichen Dienstes, den jeder Philosoph anerkennen sollte, zum
Vorteil der recta ratio, das heißt der Vernunft, die über das Wahre
in rechter Weise nachdenkt.
51. Diese Unterscheidung darf allerdings nicht in erster Linie negativ
verstanden werden, so als läge es in der Absicht des Lehramtes, jede
mögliche Vermittlung auszuschließen oder einzuschränken. Im Gegenteil,
seine Interventionen wollen vor allem bezwecken, das philosophische Denken
anzuregen, zu fördern und ihm Mut zu machen. Die Philosophen verstehen im
übrigen als erste die Forderung nach Selbstkritik, nach Korrektur
eventueller Irrtümer und die Notwendigkeit, die allzu engen Grenzen zu
überschreiten, innerhalb der sich ihr Denken vollzieht. In besonderer
Weise gilt es zu beachten, daß die Wahrheit nur eine ist, obwohl
ihre Äußerungen den Stempel der Geschichte tragen und zudem das Werk einer
von der Sünde verletzten und geschwächten menschlichen Vernunft sind.
Daraus ergibt sich, daß keine historische Form der Philosophie legitim
beanspruchen kann, die Gesamtwahrheit zu umfassen; dies gilt auch für die
vollständige Erklärung des Menschen, der Welt und der Beziehung des
Menschen zu Gott.
In der heutigen Zeit ist angesichts der Vermehrung der oft äußerst
detailliert konzipierten philosophischen Systeme, Methoden, Begriffe und
Argumente eine kritische Unterscheidung im Lichte des Glaubens mit um so
größerer Dringlichkeit angesagt: eine keineswegs einfache Unterscheidung,
denn wenn schon das Erkennen der angeborenen und unveräußerlichen
Fähigkeiten der Vernunft mit ihren konstitutiven, historischen Grenzen
mühsam ist, so kann es sich manchmal als noch problematischer erweisen, in
den einzelnen philosophischen Vorgaben das, was sie vom Glaubensstandpunkt
aus an Gültigem und Fruchtbarem bieten, von dem zu unterscheiden, was sich
bei ihnen als irrig oder gefährlich herausstellt. Die Kirche weiß
freilich, daß die »Schätze der Weisheit und Erkenntnis« in Christus
verborgen sind (vgl. Kol 2, 3); deshalb greift sie ein und spornt
die philosophische Reflexion an, sich nicht den Weg zu versperren, der zum
Erkennen des Geheimnisses führt.
52. Das Lehramt der Kirche hat nicht erst in jüngster Zeit
eingegriffen, um seine Ansicht gegenüber bestimmten philosophischen Lehren
zu bekunden. Als Beispiele im Laufe der Jahrhunderte seien hier erwähnt:
die Lehräußerungen gegen die Theorien, welche die Präexistenz der Seelen
vertraten,56
sowie gegen verschiedene Formen von Götzendienst und abergläubischer
Esoterik, die in astrologischen Auffassungen enthalten sind;57
nicht zu vergessen die systematischeren Texte gegen einige, mit dem
christlichen Glauben unvereinbare Auffassungen des lateinischen
Averroismus.58
Wenn sich das Lehramt seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts
häufiger zu Wort gemeldet hat, so deshalb, weil in jener Zeit nicht wenige
Katholiken es als ihre Aufgabe ansahen, den verschiedenen Strömungen des
modernen Denkens ihre eigene Philosophie entgegenzusetzen. Hier wurde es
für das Lehramt der Kirche zur Verpflichtung, darüber zu wachen, daß diese
Philosophien nicht ihrerseits in irrige und negative Formen abglitten. So
ergingen gleichermaßen Zensuren: einerseits gegen den Fideismus59
und den radikalen Traditionalismus60
wegen ihres Mißtrauens gegenüber den natürlichen Fähigkeiten der Vernunft;
andererseits gegen den Rationalismus61
und den Ontologismus,62
weil sie der natürlichen Vernunft etwas zuschrieben, was nur im Lichte des
Glaubens erkennbar ist. Die positiven Inhalte dieser Debatte wurden in der
dogmatischen Konstitution Dei Filius formalisiert, mit der zum
ersten Mal ein ökumenisches Konzil, nämlich das I. Vatikanum, zu den
Beziehungen zwischen Vernunft und Glaube in feierlicher Form eingriff. Die
in jenem Text enthaltene Lehre charakterisierte einprägsam und auf
positive Art und Weise die philosophische Forschung vieler Gläubiger und
stellt noch heute einen normativen Bezugspunkt für eine einwandfreie und
konsequente christliche Reflexion in diesem besonderen Bereich dar.
53. Mehr als mit einzelnen philosophischen Auffassungen haben sich die
Urteile des Lehramtes mit der Notwendigkeit der Vernunfterkenntnis und
daher letzten Endes der philosophischen Erkenntnis für die
Glaubenseinsicht befaßt. Das I. Vatikanische Konzil, das die Lehren, die
das ordentliche Lehramt ständig für die Gläubigen aufgestellt hatte, in
feierlicher Form zusammenfaßte und neu bestätigte, hob hervor, wie
untrennbar und zugleich voneinander unabhängig natürliche Gotteserkenntnis
und Offenbarung, Vernunft und Glaube seien. Das Konzil ging von der durch
die Offenbarung selbst vorausgesetzten Grundforderung nach der natürlichen
Erkennbarkeit der Existenz Gottes, dem Ursprung und Ziel aller Dinge,63
aus und schloß mit der bereits zitierten feierlichen Beteuerung: »Es gibt
zwei Erkenntnisordnungen, die nicht nur im Prinzip, sondern auch im
Gegenstand verschieden sind«.64
Es mußte also gegenüber jeder Art von Rationalismus der Unterschied der
Glaubensgeheimnisse von den philosophischen Entdeckungen und die
Transzendenz und Priorität jener gegenüber diesen bekräftigt werden;
andererseits war es notwendig, den fideistischen Versuchungen gegenüber
die Einheit der Wahrheit und somit auch den positiven Beitrag zu betonen,
den die Vernunfterkenntnis für die Glaubenserkenntnis leisten kann und
soll: »Aber auch wenn der Glaube über der Vernunft steht, so kann es
dennoch niemals eine wahre Unstimmigkeit zwischen Glaube und Vernunft
geben: denn derselbe Gott, der die Geheimnisse offenbart und den Glauben
mitteilt, hat in den menschlichen Geist das Licht der Vernunft gelegt;
Gott aber kann sich nicht selbst verleugnen, noch (kann) jemals Wahres
Wahrem widersprechen«.65
54. Auch in unserem Jahrhundert ist das Lehramt wiederholt auf das
Thema zurückgekommen und hat vor der rationalistischen Versuchung gewarnt.
In dieses Szenarium sind die Interventionen Papst Pius' X. einzuordnen,
der feststellte, daß dem Modernismus philosophische Anschauungen
phänomenalistischer, agnostischer und immanentistischer Tendenz zugrunde
lagen.66
Auch die Bedeutung, die der katholischen Ablehnung der marxistischen
Philosophie und des atheistischen Kommunismus zukam, darf nicht vergessen
werden.67
Sodann erhob Papst Pius XII. seine Stimme, als er in der Enzyklika
Humani generis vor irrigen Erklärungen im Zusammenhang mit den
Auffassungen von Evolutionismus, Existentialismus und Historizismus
warnte. Er stellte klar, daß diese Auffassungen nicht von Theologen
erarbeitet und vorgelegt worden sind, haben sie doch ihren Ursprung
»außerhalb des Schafstalls Christi«;68
er fügte allerdings hinzu, daß derartige Abirrungen nicht einfach
verworfen, sondern kritisch untersucht werden sollten: »Nun sollen aber
die katholischen Theologen und Philosophen, denen die schwere Aufgabe
obliegt, die göttliche und menschliche Wahrheit zu schützen und sie den
Herzen der Menschen einzupflanzen, diese mehr oder weniger vom rechten Weg
abirrenden Auffassungen weder ignorieren noch unbeachtet lassen. Ja, sie
sollen diese Auffassungen sogar gründlich kennen, sowohl weil Krankheiten
nicht angemessen geheilt werden können, wenn sie nicht vorher richtig
erkannt wurden, als auch, weil manchmal selbst in falschen Ansichten ein
Körnchen Wahrheit verborgen liegt, als auch schließlich, weil diese den
Geist herausfordern, bestimmte Wahrheiten, sowohl philosophische als auch
theologische, genauer zu durchforschen und zu untersuchen«.69
Schließlich mußte auch die Kongregation für die Glaubenslehre in
Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe im Dienst des universalen Lehramtes des
Papstes70
eingreifen, um nachdrücklich auf die Gefahr hinzuweisen, die eine
unkritische Übernahme der aus dem Marxismus stammenden Auffassungen und
Methoden durch einige Befreiungstheologen mit sich bringt.71
Das Lehramt hat also in der Vergangenheit wiederholt und unter
verschiedenen Bedingungen die kritische Unterscheidung in bezug auf das
Gebiet der Philosophie vorgenommen. Alles, was meine ehrwürdigen Vorgänger
dazu geleistet haben, stellt einen wertvollen Beitrag dar, der nicht in
Vergessenheit geraten darf.
55. Wenn wir uns die heutige Situation anschauen, sehen wir, daß die
Probleme von einst wiederkehren, wobei sie aber neue Eigenheiten
aufweisen. Es handelt sich nicht mehr nur um Fragen, die einzelne Personen
oder Gruppen betreffen, sondern um Überzeugungen, die in der Gesellschaft
so verbreitet sind, daß sie gewissermaßen zu einer gemeinsamen Denkweise
werden. Das gilt zum Beispiel für das radikale Mißtrauen gegen die
Vernunft, das die jüngsten Entwicklungen vieler philosophischer Studien an
den Tag legen. Von mehreren Seiten war diesbezüglich vom »Ende der
Metaphysik« zu hören: man will, daß sich die Philosophie mit
bescheideneren Aufgaben begnügt, sich also nur der Erklärung des
Tatsächlichen oder der Erforschung nur bestimmter Gebiete des menschlichen
Wissens oder seiner Strukturen widmet.
In der Theologie selbst tauchen wieder die Versuchungen von einst auf.
In einigen zeitgenössischen Theologien bahnt sich zum Beispiel neuerdings
ein gewisser Rationalismus seinen Weg, vor allem wenn angeblich
philosophisch begründete Aussagen als normativ für die theologische
Forschung übernommen werden. Das geschieht vor allem dann, wenn sich der
Theologe aus Mangel an philosophischer Fachkenntnis auf unkritische Weise
von Aussagen beeinflussen läßt, die zwar in die gängige Sprache und Kultur
Eingang gefunden haben, aber ohne ausreichende rationale Grundlage sind.72
Es fehlt auch nicht an gefährlichen Rückfällen in den Fideismus,
der die Bedeutung der Vernunfterkenntnis und der philosophischen Debatte
für die Glaubenseinsicht, ja für die Möglichkeit, überhaupt an Gott zu
glauben, nicht anerkennt. Ein heutzutage verbreiteter Ausdruck dieser
fideistischen Tendenz ist der »Biblizismus«, dessen Bestreben dahin geht,
aus der Lesung der Heiligen Schrift bzw. ihrer Auslegung den einzigen
glaubhaften Bezugspunkt zu machen. So kommt es, daß man das Wort Gottes
einzig und allein mit der Heiligen Schrift identifiziert und auf diese
Weise die Lehre der Kirche untergräbt, die das II. Vatikanische Konzil
ausdrücklich bestätigt hat. Nachdem die Konstitution Dei Verbum
darauf hingewiesen hat, daß das Wort Gottes sowohl in den heiligen Texten
als auch in der Überlieferung gegenwärtig ist,73
führt sie mit Nachdruck aus: »Die Heilige Überlieferung und die Heilige
Schrift bilden den einen der Kirche überlassenen heiligen Schatz des
Wortes Gottes. Voller Anhänglichkeit an ihn verharrt das ganze heilige
Volk, mit seinen Hirten vereint, ständig in der Lehre der Apostel«.74
Die Heilige Schrift ist daher nicht der einzige Anhaltspunkt für die
Kirche. Denn die »höchste Richtschnur ihres Glaubens«75
kommt ihr aus der Einheit zwischen der Heiligen Überlieferung, der
Heiligen Schrift und dem Lehramt der Kirche zu, die der Heilige Geist so
geknüpft hat, daß keine der drei ohne die anderen bestehen kann.76
Nicht unterschätzt werden darf zudem die Gefahr, die der Absicht
innewohnt, die Wahrheit der Heiligen Schrift von der Anwendung einer
einzigen Methode abzuleiten, und dabei die Notwendigkeit einer Exegese im
weiteren Sinn außer acht läßt, die es erlaubt, zusammen mit der ganzen
Kirche zum vollen Sinn der Texte zu gelangen. Alle, die sich dem Studium
der Heiligen Schriften widmen, müssen stets berücksichtigen, daß auch den
verschiedenen hermeneutischen Methoden eine philosophische Auffassung
zugrunde liegt: sie gilt es vor ihrer Anwendung auf die heiligen Texte
eingehend zu prüfen.
Weitere Formen eines latenten Fideismus sind an dem geringen Ansehen,
das der spekulativen Theologie entgegengebracht wird, ebenso erkennbar wie
auch an der Geringschätzung für die klassische Philosophie, aus deren
Begriffspotential sowohl das Glaubensverständnis als auch die dogmatischen
Formulierungen ihre Begriffe geschöpft haben. Papst Pius XII. seligen
Andenkens hat vor solcher Vernachlässigung der philosophischen Tradition
und vor dem Aufgeben der überlieferten Terminologien gewarnt.77
56. Schließlich beobachtet man ein verbreitetes Mißtrauen gegen die
umfassenden und absoluten Aussagen, vor allem von seiten derer, die
meinen, die Wahrheit sei das Ergebnis des Konsenses und nicht der
Anpassung des Verstandes an die objektive Wirklichkeit. Es ist sicherlich
verständlich, daß es in einer in viele Fachbereiche unterteilten Welt
schwierig wird, jenen vollständigen und letzten Sinn des Lebens zu
erkennen, nach dem die Philosophie traditionell gesucht hat. Ich kann
dennoch nicht umhin, im Lichte des Glaubens, der in Jesus Christus diesen
letzten Sinn erkennt, die christlichen wie auch nichtchristlichen
Philosophen zu ermutigen, in die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft zu
vertrauen und sich bei ihrem Philosophieren nicht zu bescheidene Ziele zu
setzen. Die Lehre der Geschichte dieses nunmehr zu Ende gehenden
Jahrtausends zeugt davon, daß das der Weg ist, der eingeschlagen werden
soll: Die Leidenschaft für die letzte Wahrheit und der Wunsch, sie zu
suchen, verbunden mit dem Mut zur Entdeckung neuer Wege, dürfen nicht
verloren gehen! Es ist der Glaube, der die Vernunft dazu herausfordert,
aus jedweder Isolation herauszutreten und für alles, was schön, gut und
wahr ist, etwas zu riskieren. So wird der Glaube zum überzeugten und
überzeugenden Anwalt der Vernunft.
Das Interesse der Kirche für
die Philosophie [57-63]
57. Das Lehramt hat sich freilich nicht darauf beschränkt, nur die
Irrtümer und Abweichungen der philosophischen Lehren aufzudecken. Mit
derselben Aufmerksamkeit hat es die Grundprinzipien für eine echte
Erneuerung des philosophischen Denkens unterstrichen und auch konkret
einzuschlagende Wege aufgezeigt. In diesem Sinn vollzog Papst Leo XIII.
mit seiner Enzyklika Æterni Patris einen Schritt von wahrhaft
historischer Tragweite für das Leben der Kirche. Jener Text war bis zum
heutigen Tag das einzige päpstliche Dokument auf solcher Ebene, das
ausschließlich der Philosophie gewidmet war. Der große Papst griff die
Lehre des I. Vatikanischen Konzils über das Verhältnis von Glaube und
Vernunft auf und entwickelte sie weiter, indem er zeigte, daß das
philosophische Denken ein grundlegender Beitrag zum Glauben und zur
theologischen Wissenschaft ist.78
Nach über einem Jahrhundert haben viele in jenem Text enthaltene Hinweise
sowohl unter praktischem wie unter pädagogischem Gesichtspunkt nichts von
ihrer Bedeutung eingebüßt; das gilt zuallererst für die Bedeutung in bezug
auf den unvergleichlichen Wert der Philosophie des hl. Thomas. Das Denken
des Doctor Angelicus neu vorzulegen, erschien Papst Leo XIII. als der
beste Weg, mit der Philosophie wieder so umzugehen, daß sie mit den
Ansprüchen des Glaubens übereinstimmt. Der Papst schrieb: »Im selben
Augenblick, in dem er (der hl. Thomas), wie es sich gehört, den Glauben
vollkommen von der Vernunft unterscheidet, vereint er die beiden durch
Bande wechselseitiger Freundschaft: er sichert jeder von ihnen ihre Rechte
zu und schützt ihre Würde«.79
58. Die glücklichen Folgen, die jene päpstliche Aufforderung nach sich
zog, sind bekannt. Die Forschungen über das Denken des hl. Thomas und
anderer scholastischer Autoren erfuhren einen neuen Aufschwung. Starken
Auftrieb erhielt die historische Forschung mit der Wiederentdeckung der
bis dahin weithin unbekannten Schätze des mittelalterlichen Denkens zur
Folge; außerdem entstanden neue thomistische Schulen. Durch die Anwendung
der historischen Methode machte die Kenntnis des Werkes des hl. Thomas
große Fortschritte; zahlreiche Gelehrte brachten mutig die thomistische
Überlieferung in die Diskussionen über die damaligen philosophischen und
theologischen Probleme ein. Die einflußreichsten katholischen Theologen
dieses Jahrhunderts, deren Denken und Forschen das II. Vatikanische Konzil
viel zu verdanken hat, sind Kinder dieser Erneuerung der thomistischen
Philosophie. So stand der Kirche im Laufe des 20. Jahrhunderts eine starke
Gruppe von Denkern zur Verfügung, die in der Schule des Doctor Angelicus
herangebildet worden waren.
59. Die thomistische und neothomistische Erneuerung war allerdings
nicht das einzige Zeichen einer Wiederaufnahme des philosophischen Denkens
in die christlich geprägte Kultur. Schon vor der Aufforderung Papst Leos
und parallel zu ihr waren zahlreiche katholische Philosophen aufgetreten,
die an jüngere Denkströmungen angeknüpft und dabei nach ihrer eigenen
Methode philosophische Werke von großem Einfluß und bleibendem Wert
hervorgebracht hatten. Darunter befanden sich einige, die Synthesen von
solchem Profil entwickelten, daß sie den großen Systemen des Idealismus in
nichts nachstanden; wieder andere legten die erkenntnistheoretischen
Grundlagen für eine neue Behandlung des Glaubens im Lichte eines
erneuerten Verständnisses des moralischen Gewissens; noch andere schufen
eine Philosophie, die, ausgehend von der Analyse des Innerweltlichen, den
Weg zum Transzendenten eröffnete; und schließlich gab es auch jene, welche
die Forderungen des Glaubens im Horizont der phänomenologischen Methode
anzuwenden versuchten. Von verschiedenen Perspektiven her hat man also
fortwährend Formen philosophischer Spekulation hervorgebracht, die die
großartige Tradition christlichen Denkens in der Einheit von Glaube und
Vernunft lebendig erhalten wollten.
60. Das II. Vatikanische Konzil legt seinerseits eine sehr reiche und
fruchtbare Lehre in bezug auf die Philosophie vor. Ich kann besonders im
Rahmen dieser Enzyklika nicht vergessen, daß ein ganzes Kapitel der
Konstitution Gaudium et spes gleichsam eine Zusammenfassung
biblischer Anthropologie und damit auch Inspirationsquelle für die
Philosophie darstellt. Auf jenen Seiten geht es um den Wert der nach dem
Bild Gottes geschaffenen menschlichen Person, es werden ihre Würde und
Überlegenheit über die übrige Schöpfung begründet und die transzendente
Fähigkeit ihrer Vernunft aufgezeigt.80
Auch das Problem des Atheismus kommt in Gaudium et spes in den
Blick; dabei werden die Irrtümer jener philosophischen Anschauung, vor
allem gegenüber der unveräußerlichen Würde der Person und ihrer Freiheit,
genau begründet.81
Tiefe philosophische Bedeutung besitzt gewiß auch die Formulierung, die
den Höhepunkt jenes Abschnittes bildet. Ich habe sie in meiner Enzyklika
Redemptor hominis aufgegriffen; sie gehört zu den festen
Bezugspunkten meines Lehrens: »Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des
fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. Denn
Adam, der erste Mensch, war das Vorausbild des zukünftigen, nämlich
Christi des Herrn. Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung
des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen
selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung«.82
Das Konzil hat sich auch mit dem Studium der Philosophie befaßt, dem
sich die Priesteramtskandidaten widmen sollen; es handelt sich um
Empfehlungen, die sich allgemeiner auf das christliche Lehren in seiner
Gesamtheit ausdehnen lassen. Das Konzil lehrt: »Die philosophischen
Disziplinen sollen so dargeboten werden, daß die Alumnen vor allem zu
einem gründlichen und zusammenhängenden Wissen über Mensch, Welt und Gott
hingeführt werden. Sie sollen sich dabei auf das stets gültige
philosophische Erbe stützen. Es sollen aber auch die philosophischen
Forschungen der neueren Zeit berücksichtigt werden«.83
Diese Weisungen sind wiederholt in anderen lehramtlichen Dokumenten
bekräftigt und genauerhin erläutert worden, um vor allem für jene, die
sich auf das Theologiestudium vorbereiten, eine solide philosophische
Bildung zu gewährleisten. Ich habe meinerseits mehrmals die Bedeutung
dieser philosophischen Bildung für alle betont, die sich eines Tages in
der Seelsorge mit den Forderungen der modernen Welt auseinandersetzen und
die Ursachen mancher Haltungen werden begreifen müssen, um umgehend darauf
antworten zu können.84
61. Wenn sich unter verschiedenen Umständen eine Intervention zu diesem
Thema — wobei man auch den Wert der Einsichten des Doctor Angelicus
bekräftigte und auf der Aneignung seines Denkens bestand — als notwendig
erwies, so hatte das seinen Grund darin, daß die Weisungen des Lehramtes
nicht immer mit der erwünschten Bereitschaft befolgt worden sind. In
vielen katholischen Schulen war in den Jahren unmittelbar nach dem II.
Vatikanischen Konzil diesbezüglich ein gewisser Verfall zu beobachten, der
einer geringeren Wertschätzung nicht nur der scholastischen Philosophie,
sondern allgemeiner des Studiums der Philosophie überhaupt zuzuschreiben
ist. Mit Verwunderung und Bedauern muß ich feststellen, daß nicht wenige
Theologen diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Studium der Philosophie
teilen.
Es sind verschiedene Gründe, die dieser Abneigung zugrunde liegen. An
erster Stelle ist das Mißtrauen gegen die Vernunft festzuhalten, das ein
Großteil der zeitgenössischen Philosophie dadurch bekundet, daß auf die
metaphysische Erforschung der letzten Fragen des Menschen weitgehend
verzichtet wird, um die Aufmerksamkeit auf Teil- und Gebietsprobleme,
mitunter auch reine Formprobleme zu konzentrieren. Außerdem kommt das
Mißverständnis hinzu, das vor allem in bezug auf die »Humanwissenschaften«
entstanden ist. Das II. Vatikanische Konzil hat mehrmals auf den positiven
Wert der wissenschaftlichen Forschung für eine tiefere Erkenntnis des
Geheimnisses des Menschen hingewiesen.85
Die Aufforderung an die Theologen, sich diese Wissenschaften anzueignen
und sie, wenn nötig, in ihrer Forschung korrekt anzuwenden, darf jedoch
nicht als unausgesprochene Ermächtigung dazu interpretiert werden, die
Philosophie in der Pastoralausbildung und in der praeparatio fidei
nur am Rande zu behandeln oder gar zu ersetzen. Endlich darf man das
wiederentdeckte Interesse für die Inkulturation des Glaubens nicht
vergessen. Besonders das Leben der jungen Kirchen bot Gelegenheit, neben
gehobenen Denkformen das Vorhandensein vielfältiger Ausdrucksformen der
Volksweisheit zu entdecken, die ein wirkliches Erbe an Kulturen und
Traditionen darstellen. Die Untersuchung dieser überlieferten Bräuche muß
jedoch im Gleichschritt mit der philosophischen Forschung einhergehen.
Diese erst wird es ermöglichen, die positiven Züge der Volksweisheit
hervortreten zu lassen, indem die notwendige Verbindung mit der
Verkündigung des Evangeliums hergestellt wird.86
62. Ich möchte nachdrücklich betonen, daß das Studium der Philosophie
ein grundlegendes und untilgbares Wesensmerkmal im Aufbau des
Theologiestudiums und in der Ausbildung der Priesteramtskandidaten
darstellt. Es ist kein Zufall, daß dem Curriculum der Theologie
eine Periode vorausgeht, in der eine besondere Beschäftigung mit dem
Studium der Philosophie vorgesehen ist. Diese vom V. Laterankonzil
bestätigte Entscheidung87
hat ihre Wurzeln in der während des Mittelalters gereiften Erfahrung, als
die Bedeutung einer konstruktiven Harmonie zwischen philosophischem und
theologischem Wissen herausgestellt wurde. Diese Studienordnung hat, wenn
auch auf indirekte Weise, zu einem guten Teil die Entwicklung der modernen
Philosophie beeinflußt, erleichtert und gefördert. Ein bezeichnendes
Beispiel dafür ist der von den Disputationes metaphysicae von
Francisco Suárez ausgeübte Einfluß: sie fanden sogar in den deutschen
lutherischen Universitäten Eingang. Der Verlust dieser Methode war
hingegen Ursache schwerwiegender Mängel sowohl in der Priesterausbildung
als auch in der theologischen Forschung. Man denke an die Gleichgültigkeit
dem modernen Denken und der modernen Kultur gegenüber, die dazu geführt
hat, sich jeder Form von Dialog zu verschließen oder aber jede Philosophie
unterschiedslos anzunehmen.
Ich vertraue sehr darauf, daß diese Schwierigkeiten durch eine
sinnvolle philosophische und theologische Ausbildung überwunden werden,
die in der Kirche niemals verloren gehen darf.
63. Wegen der genannten Gründe schien es mir dringend geboten, mit
dieser Enzyklika das starke Interesse zu betonen, das die Kirche der
Philosophie entgegenbringt; ja, es geht um die engen Bande, welche die
theologische Arbeit mit der philosophischen Suche nach der Wahrheit
verbinden. Daraus erwächst für das Lehramt die Verpflichtung, genau zu
unterscheiden und ein philosophisches Denken anzuregen, das sich nicht in
Unstimmigkeit mit dem Glauben befindet. Meine Aufgabe ist es, einige
Grundsätze und Bezugspunkte vorzulegen, die ich als notwendig erachte, um
wieder eine harmonische und wirksame Beziehung zwischen Philosophie und
Theologie aufbauen zu können. Im Lichte dieser Grundsätze wird es möglich
sein, mit größerer Klarheit zu prüfen, ob und welches Verhältnis die
Theologie zu den verschiedenen philosophischen Systemen oder Auffassungen,
die die heutige Welt aufweist, unterhalten solle.
KAPITEL VI - DIE WECHSELWIRKUNG ZWISCHEN THEOLOGIE
UND PHILOSOPHIE
Die Glaubenswissenschaft und die Erfordernisse der
philosophischen Vernunft [64-74]
64. Das Wort Gottes richtet sich an jeden Menschen, zu jeder Zeit und
an jedem Ort der Erde; und der Mensch ist von Natur aus Philosoph. Die
Theologie, als durchdachte wissenschaftliche Erarbeitung des
Verständnisses dieses Wortes im Lichte des Glaubens, kann sowohl für
manche ihrer Verfahrensweisen wie auch für die Erfüllung bestimmter
Aufgaben nicht darauf verzichten, mit den Philosophien in Beziehung zu
treten, die im Laufe der Geschichte tatsächlich ausgearbeitet worden sind.
Ohne den Theologen besondere Methoden empfehlen zu wollen, was dem Lehramt
auch gar nicht zusteht, möchte ich vielmehr einige Aufgaben der Theologie
ins Gedächtnis rufen, bei denen aufgrund des Wesens des geoffenbarten
Wortes der Rückgriff auf das philosophische Denken geboten ist.
65. Die Theologie konstituiert sich als Glaubenswissenschaft im Lichte
eines methodischen Doppelprinzips: dem auditus fidei und dem
intellectus fidei. Durch das erste gelangt sie in den Besitz der
Offenbarungsinhalte, so wie sie in der Heiligen Überlieferung, in der
Heiligen Schrift und im lebendigen Lehramt der Kirche fortschreitend
ausgefaltet worden sind.88
Mit dem zweiten Prinzip will die Theologie den Anforderungen des Denkens
durch die spekulative Reflexion entsprechen.
Was die Vorbereitung auf einen korrekten auditus fidei betrifft,
so leistet die Philosophie der Theologie ihren eigentlichen Beitrag dann,
wenn sie die Struktur der Erkenntnis und der persönlichen Mitteilung sowie
besonders die vielfältigen Formen und Funktionen der Sprache betrachtet
und bedenkt. Ebenso wichtig ist der Beitrag der Philosophie für ein
zusammenhängendes Verständnis der kirchlichen Überlieferung, der
Erklärungen des Lehramtes und der Sätze der großen Lehrer der Theologie:
diese drücken sich nämlich häufig in Begriffen und Denkformen aus, die
einer bestimmten philosophischen Tradition entlehnt sind. In diesem Fall
wird vom Theologen verlangt, daß er nicht nur die Begriffe und
Formulierungen erklärt, mit denen die Kirche über ihre Lehre nachdenkt und
sie erarbeitet; er muß auch die philosophischen Systeme, die
möglicherweise Begriffe und Terminologie beeinflußt haben, gründlich
kennen, um zu korrekten und kohärenten Interpretationen zu gelangen.
66. Was den intellectus fidei betrifft, so ist vor allem zu
beachten, daß die göttliche Wahrheit, »die uns in den von der Lehre der
Kirche richtig ausgelegten Heiligen Schriften vorgelegt wird«,89
eine eigene, in ihrer Logik so konsequente Verständlichkeit besitzt, daß
sie sich als ein echtes Wissen darstellt. Der intellectus fidei
legt diese Wahrheit aus, indem er nicht nur die logischen und
begrifflichen Strukturen der Aussagen aufnimmt, in denen sich die Lehre
der Kirche artikuliert, sondern auch und vorrangig die Heilsbedeutung
sichtbar werden läßt, die diese Aussagen für den einzelnen und für die
Menschheit enthalten. Von der Gesamtheit dieser Aussagen gelangt der
Glaubende zur Kenntnis der Heilsgeschichte, die in der Person Jesu Christi
und in seinem Ostergeheimnis ihren Höhepunkt hat. Durch seine Zustimmung
aus dem Glauben hat er an diesem Geheimnis teil.
Die dogmatische Theologie muß ihrerseits imstande sein, den
universalen Sinn des Geheimnisses des dreieinigen Gottes und des
Heilsplanes sowohl in erzählerischer Weise als auch vor allem in Form der
Argumentation darzulegen. Das muß sie mit Hilfe von Ausdrücken und
Begriffen tun, die aus der Urteilskraft heraus formuliert und allgemein
mitteilbar sind. Denn ohne den Beitrag der Philosophie ließen sich
theologische Inhalte, wie zum Beispiel das Sprechen über Gott, die
Personbeziehungen innerhalb der Trinität, das schöpferische Wirken Gottes
in der Welt, die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, die Identität
Christi, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist, nicht veranschaulichen.
Dasselbe gilt für verschiedene Themen der Moraltheologie, wo ganz
offenkundig Begriffe, wie z.B. Sittengesetz, Gewissen, Freiheit,
persönliche Verantwortung, Schuld usw. zur Anwendung kommen, die im Rahmen
der philosophischen Ethik definiert werden.
Daher muß die Vernunft des Gläubigen eine natürliche, wahre und
stimmige Kenntnis der geschaffenen Dinge, der Welt und des Menschen
besitzen, die auch Gegenstand der göttlichen Offenbarung sind; mehr noch:
die Vernunft des Gläubigen muß in der Lage sein, diese Kenntnis
begrifflich und in der Form der Argumentation darzulegen. Die spekulative
dogmatische Theologie setzt daher implizit eine auf die objektive Wahrheit
gegründete Philosophie vom Menschen, von der Welt und, radikaler, vom Sein
voraus.
67. Die Fundamentaltheologie wird sich wegen des Charakters
dieser theologischen Disziplin, deren Aufgabe die Rechenschaft über den
Glauben ist (vgl. 1 Petr 3, 15), darum kümmern müssen, die
Beziehung zwischen dem Glauben und dem philosophischen Denken zu
rechtfertigen und zu erklären. Schon das I. Vatikanische Konzil hatte die
paulinische Lehre (vgl. Röm 1, 19-20) neu eingebracht und die
Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß es Wahrheiten gibt, die auf natürlichem
Weg erkennbar sind. Daher sind sie es auch auf philosophischem Weg. Ihr
Erkennen stellt eine notwendige Voraussetzung für die Annahme der
Offenbarung Gottes dar. Beim Erforschen der Offenbarung und ihrer
Glaubwürdigkeit, begleitet von dem entsprechenden Glaubensakt, wird die
Fundamentaltheologie zeigen müssen, daß im Lichte der Erkenntnis durch den
Glauben einige Wahrheiten ans Licht kommen, welche die Vernunft bereits
auf ihrem selbständigen Weg der Suche erreicht. Die Offenbarung verleiht
diesen Wahrheiten dadurch Sinnfülle, daß sie sie auf den Reichtum des
geoffenbarten Geheimnisses hinlenkt, in dem sie ihr letztes Ziel finden.
Man denke zum Beispiel an die natürliche Gotteserkenntnis, an die
Möglichkeit der Unterscheidung der göttlichen Offenbarung von anderen
Phänomenen oder an die Anerkennung ihrer Glaubwürdigkeit, an die Fähigkeit
der menschlichen Sprache, ausdrücklich und wahrhaftig auch von dem zu
sprechen, was jede menschliche Erfahrung übersteigt. Von allen diesen
Wahrheiten wird der Geist dazu gebracht, das Vorhandensein eines wirklich
auf den Glauben vorbereitenden Weges anzuerkennen, der in die Annahme der
Offenbarung einmünden kann, ohne die eigenen Prinzipien und ihre Autonomie
im geringsten zu verletzen.90
In demselben Maß wird die Fundamentaltheologie aufzeigen müssen, daß
eine innere Vereinbarkeit zwischen dem Glauben und seinem wesentlichen
Anspruch besteht, sich durch eine Vernunft darzustellen, die in der Lage
ist, in voller Freiheit ihre Zustimmung zu geben. So wird der Glaube
»einer Vernunft, die aufrichtig nach der Wahrheit sucht, voll den Weg
weisen können. Auf diese Weise kann der Glaube als Geschenk Gottes, auch
wenn er sich nicht auf die Vernunft stützt, sicher nicht auf sie
verzichten; gleichzeitig erscheint es für die Vernunft notwendig, vom
Glauben Gebrauch zu machen, um die Horizonte zu entdecken, die sie allein
nicht zu erreichen vermöchte«.91
68. Die Moraltheologie hat vielleicht in noch höherem Maße den
Beitrag der Philosophie nötig. Denn im Neuen Bund ist das menschliche
Leben viel weniger durch Vorschriften geregelt als im Alten Bund. Das
Leben im Heiligen Geist führt die Glaubenden zu einer Freiheit und
Verantwortlichkeit, die über das Gesetz selbst hinausgehen. Immerhin
stellen das Evangelium und die apostolischen Schriften sowohl allgemeine
Prinzipien christlicher Lebensführung als auch gewissenhafte Lehren und
Gebote auf. Um sie auf die besonderen Verhältnisse des Lebens des
einzelnen und der Gesellschaft anzuwenden, muß der Christ imstande sein,
sein Gewissen und seine Denkkraft bis zum Äußersten einzusetzen. Das heißt
mit anderen Worten, die Moraltheologie muß sich einer richtigen
philosophischen Sicht sowohl von der menschlichen Natur und Gesellschaft
wie von den allgemeinen Prinzipien einer sittlichen Entscheidung bedienen.
69. Man mag vielleicht einwenden, daß sich der Theologe in der
gegenwärtigen Situation weniger der Philosophie als vielmehr der Hilfe
anderer Formen des menschlichen Wissens bedienen sollte, wie der
Geschichte und vor allem der Naturwissenschaften, deren jüngste
außergewöhnliche Entwicklungen alle bewundern. Andere dagegen vertreten
infolge einer gesteigerten Sensibilität für die Beziehung zwischen Glaube
und Kultur die Ansicht, die Theologie sollte sich statt einer Philosophie
griechischen und eurozentrischen Ursprungs lieber den traditionellen
Weisheitsformen zuwenden. Wieder andere leugnen, von einer falschen
Vorstellung des Pluralismus der Kulturen ausgehend, schlechthin den
universalen Wert des von der Kirche empfangenen philosophischen Erbes.
Diese hier angeführten Ansichten, die uns unter anderem bereits in der
Lehre des Konzils begegnen,92
sind teilweise wahr. Die Bezugnahme auf die Naturwissenschaften ist in
vielen Fällen nützlich, weil sie eine vollständigere Kenntnis des
Forschungsobjektes ermöglicht; sie darf jedoch nicht die notwendige
Vermittlung einer typisch philosophischen, kritischen und
Allgemeingültigkeit anstrebenden Reflexion in Vergessenheit geraten
lassen, die im übrigen von einem fruchtbaren Austausch zwischen den
Kulturen gefordert wird. Was ich dringend unterstreichen möchte, ist die
Verpflichtung, nicht beim konkreten Einzelfall stehenzubleiben und damit
die vorrangige Aufgabe zu vernachlässigen, die darin besteht, den
universalen Charakter des Glaubensinhaltes aufzuzeigen. Zudem darf man
nicht vergessen, daß es der besondere Beitrag des philosophischen Denkens
erlaubt, sowohl in den verschiedenen Lebensauffassungen wie in den
Kulturen zu erkennen, »nicht was die Menschen denken, sondern welches die
objektive Wahrheit ist«.93
Nicht die verschiedenen menschlichen Meinungen, sondern allein die
Wahrheit kann für die Theologie hilfreich sein.
70. Das Thema der Beziehung zu den Kulturen verdient eine spezielle,
wenn auch notgedrungen nicht erschöpfende Überlegung wegen der von dort
herrührenden Implikationen sowohl im philosophischen wie im theologischen
Bereich. Der Prozeß der Begegnung und Auseinandersetzung mit den Kulturen
ist eine Erfahrung, welche die Kirche von den Anfängen der Verkündigung
des Evangeliums an erlebt hat. Das Gebot Christi an die Jünger, überall
hinzugehen, »bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1, 8), um die von
ihm geoffenbarte Wahrheit weiterzugeben, hat die Christengemeinde in die
Lage versetzt, schon sehr bald die Allgemeingültigkeit der Verkündigung
und die aus der Verschiedenheit der Kulturen entstehenden Hindernisse
festzustellen. Ein Abschnitt aus dem Brief des hl. Paulus an die Christen
von Ephesus bietet eine gute Hilfe, um zu verstehen, wie die Urgemeinde an
dieses Problem herangegangen ist. Der Apostel schreibt: »Jetzt aber seid
ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch
sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er vereinigte
die beiden Teile (Juden und Heiden) und riß durch sein Sterben die
trennende Wand der Feindschaft nieder« (2, 13-14).
Im Lichte dieses Textes dehnt sich unsere Überlegung auf den Wandel
aus, der sich in den Heiden ereignet hat, die einst zum Glauben gelangt
sind. Angesichts der Fülle des von Christus vollbrachten Heils fallen die
trennenden Wände zwischen den verschiedenen Kulturen. Die Verheißung
Gottes wird nun in Christus zu einem Angebot für alle: sie ist nicht mehr
auf die Eigenart eines Volkes, seiner Sprache und seiner Bräuche
beschränkt, sondern wird als Schatz, aus dem jeder frei schöpfen kann, auf
alle ausgedehnt. Von verschiedenen Orten und Traditionen sind alle in
Christus dazu berufen, an der Einheit der Familie der Kinder Gottes
teilzuhaben. Christus erlaubt den beiden Völkern »eins« zu werden. Jene,
die »in der Ferne« waren, sind dank des vom Ostergeheimnis gewirkten Neuen
»in die Nähe gekommen«. Jesus reißt die trennenden Wände nieder und
vollzieht auf einzigartige und erhabene Weise die Vereinigung durch die
Teilhabe an seinem Geheimnis. Diese Einheit ist so tief, daß die Kirche
mit dem hl. Paulus sagen kann: »Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne
Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes« (Eph
2, 19).
In einem so einfachen Satz wird eine großartige Wahrheit beschrieben:
Die Begegnung des Glaubens mit den verschiedenen Kulturen hat tatsächlich
eine neue Wirklichkeit ins Leben gerufen. Wenn die Kulturen tief im
Humanen verwurzelt sind, tragen sie das Zeugnis der typischen Öffnung des
Menschen für das Universale und für die Transzendenz in sich. Deshalb
stehen sie als verschiedene Annäherungen an die Wahrheit da; diese stellen
sich als zweifellos nützlich für den Menschen heraus, den sie auf Werte
hinweisen, die sein Dasein immer menschlicher machen können.94
Insofern sich dann die Kulturen auf die Werte der antiken Überlieferungen
berufen, enthalten sie — zwar unausgesprochen, deshalb aber nicht weniger
real — den Bezug auf das Sich-Offenbaren Gottes in der Natur, wie wir
vorher bei der Besprechung der Weisheitstexte und der Lehre des hl. Paulus
gesehen haben.
71. Da die Kulturen in enger Beziehung zu den Menschen und ihrer
Geschichte stehen, teilen sie dieselben dynamischen Kräfte, mit denen sich
die menschliche Zeit Ausdruck verschafft. Demzufolge sind Veränderungen
und Fortschritte zu verzeichnen, die auf den Begegnungen der Menschen
miteinander und auf ihrem gegenseitigen Austausch über ihre Lebensmodelle
beruhen. Die Kulturen nähren sich aus der Mitteilung von Werten, und ihre
Lebenskraft und ihr Bestand rührt von der Fähigkeit her, offen zu bleiben
für die Aufnahme des Neuen. Welche Erklärung gibt es für diese dynamischen
Kräfte? Jeder Mensch ist in eine Kultur verflochten, hängt von ihr ab und
beeinflußt sie. Er ist zugleich Kind und Vater der Kultur, in der er
eingebunden ist. In jeder seiner Lebensäußerungen trägt er etwas mit sich,
was ihn aus der Schöpfung heraushebt: seine ständige Offenheit für das
Geheimnis und sein unerschöpfliches Verlangen nach Erkenntnis.
Infolgedessen trägt jede Kultur das Prägemal der auf eine Vollendung hin
gerichtete Spannung an sich und läßt sie durchscheinen. Man kann daher
sagen, die Kultur hat die Möglichkeit in sich, die göttliche Offenbarung
anzunehmen.
Die Art und Weise, wie die Christen den Glauben leben, ist auch
durchdrungen von der Kultur ihrer Umgebung und trägt ihrerseits dazu bei,
fortlaufend deren Wesensmerkmale zu gestalten. Die Christen bringen in
jede Kultur die von Gott in der Geschichte und in der Kultur eines Volkes
geoffenbarte, unwandelbare Wahrheit von Gott ein. So pflanzt sich im Laufe
der Jahrhunderte das Ereignis immer weiter fort, dessen Zeugen die am
Pfingsttag in Jerusalem anwesenden Pilger waren. Als sie den Aposteln
zuhörten, fragten sie sich: »Sind das nicht alles Galiläer, die hier
reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören:
Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und
Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und
Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die
Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber,
wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden« (Apg
2, 7-11). Die Verkündigung des Evangeliums in den verschiedenen
Kulturen verlangt von den einzelnen Empfängern das Festhalten am Glauben;
sie hindert die Empfänger aber nicht daran, ihre kulturelle Identität zu
bewahren. Das erzeugt keine Spaltung, weil sich das Volk der Getauften
durch eine Universalität auszeichnet, die jede Kultur aufnehmen kann,
wodurch die Weiterentwicklung des in ihr implizit Vorhandenen hin zu
seiner vollen Entfaltung in der Wahrheit begünstigt wird.
Die Schlußfolgerung daraus ist, daß eine Kultur niemals zum
Urteilskriterium und noch weniger zum letzten Wahrheitskriterium gegenüber
der Offenbarung Gottes werden kann. Das Evangelium steht nicht im
Gegensatz zu dieser oder jener Kultur, als wollte es ihr bei der Begegnung
mit ihr das aberkennen, was zu ihr gehört, und sie zur Annahme äußerer
Formen nötigen, die nicht zu ihr passen. Im Gegenteil, die Verkündigung,
die der Gläubige in die Welt und in die Kulturen trägt, ist eine wirkliche
Form der Befreiung von jeder durch die Sünde eingeführten Unordnung und
zugleich Aufruf zur vollen Wahrheit. Bei dieser Begegnung wird den
Kulturen nichts aberkannt; sie werden sogar ermuntert, sich dem Neuen zu
öffnen, das die Wahrheit des Evangeliums enthält, um daraus Ansporn zu
weiteren Entwicklungen zu gewinnen.
72. Der Umstand, daß die Evangelisierung auf ihrem Weg zunächst der
griechischen Philosophie begegnete, ist keineswegs ein Hinweis darauf, daß
andere Wege der Annäherung ausgeschlossen wären. In unserer heutigen Zeit,
in der das Evangelium nach und nach mit Kulturräumen in Berührung kommt,
die sich bisher außerhalb des Verbreitungsbereiches des Christentums
befunden hatten, eröffnen sich für die Inkulturation neue Aufgaben.
Unserer Generation stellen sich ähnliche Probleme, wie sie die Kirche in
den ersten Jahrhunderten zu bewältigen hatte.
Meine Gedanken gehen spontan zu den Ländern des Orients, die so reich
an sehr alten religiösen und philosophischen Überlieferungen sind. Unter
ihnen nimmt Indien einen besonderen Platz ein. Ein großartiger geistiger
Aufschwung führt das indische Denken zur Suche nach einer Erfahrung, die
dadurch, daß sie den Geist von den durch Zeit und Raum gegebenen
Bedingtheiten befreit, Absolutheitswert hat. Im Dynamismus dieser Suche
nach Befreiung finden sich große metaphysische Systeme.
Den Christen von heute, vor allem jenen in Indien, fällt die Aufgabe
zu, aus diesem reichen Erbe die Elemente zu entnehmen, die mit ihrem
Glauben vereinbar sind, so daß es zu einer Bereicherung des christlichen
Denkens kommt. Für diese Unterscheidungsarbeit, zu der die
Konzilserklärung Nostra aetate Anregung bietet, sollen sie eine
Reihe von Kriterien berücksichtigen. Das erste ist die Universalität des
menschlichen Geistes, dessen Grundbedürfnisse in den verschiedenen
Kulturen identisch sind. Das zweite Kriterium, das sich aus dem ersten
ergibt, besteht in Folgendem: Wenn die Kirche mit großen Kulturen in
Kontakt tritt, mit denen sie vorher noch nicht in Berührung gekommen war,
darf sie sich nicht von dem trennen, was sie sich durch die Inkulturation
ins griechisch-lateinische Denken angeeignet hat. Der Verzicht auf ein
solches Erbe würde dem Vorsehungsplan Gottes zuwiderlaufen, der seine
Kirche die Straßen der Zeit und der Geschichte entlangführt. Dieses
Kriterium gilt übrigens für die Kirche jeder Epoche, auch für die Kirche
von morgen, die sich durch die in der heutigen Annäherung an die
orientalischen Kulturen gewonnenen Errungenschaften bereichert fühlen
wird. Sie wird in diesem Erbe neue Hinweise finden, um in einen
fruchtbaren Dialog mit jenen Kulturen einzutreten, welche die Menschheit
auf ihrem Weg in die Zukunft zum Erblühen bringen können. Drittens soll
man sich davor hüten, den legitimen Anspruch des indischen Denkens auf
Besonderheit und Originalität mit der Vorstellung zu verwechseln, eine
kulturelle Tradition müsse sich in ihr Verschiedensein einkapseln und sich
in ihrer Gegensätzlichkeit zu den anderen Traditionen behaupten; dies
würde dem Wesen des menschlichen Geistes widersprechen.
Was hier für Indien gesagt wird, gilt auch für das Erbe, das die großen
Kulturen Chinas, Japans und der anderen Länder Asiens sowie der Reichtum
der vor allem mündlich überlieferten traditionellen Kulturen Afrikas
enthalten.
73. Im Lichte dieser Überlegungen wird die Beziehung, die sich zwischen
Theologie und Philosophie anbahnen soll, in Form einer Kreisbewegung
erfolgen. Für die Theologie wird das in der Geschichte geoffenbarte Wort
Gottes stets Ausgangspunkt und Quelle sein, während das letzte Ziel nur
das in der Aufeinanderfolge der Generationen nach und nach vertiefte
Verständnis des Gotteswortes sein kann. Da andererseits das Wort Gottes
Wahrheit ist (vgl. Joh 17, 17), muß zu seinem besseren Verständnis
die menschliche Suche nach der Wahrheit, das heißt das unter Respektierung
der ihm eigenen Gesetze entwickelte Philosophieren, nutzbar gemacht
werden. Dabei handelt es sich nicht einfach darum, in der theologischen
Argumentation den einen oder anderen Begriff oder Bruchstücke eines
philosophischen Gefüges zu verwenden; entscheidend ist, daß bei der Suche
nach dem Wahren innerhalb einer Bewegung, die sich, ausgehend vom Wort
Gottes, um dessen besseres Verständnis bemüht, die Vernunft des Glaubenden
ihre Denkfähigkeiten einsetzt. Im übrigen ist klar, daß die Vernunft, wenn
sie sich innerhalb dieser beiden Pole — Wort Gottes und sein besseres
Verständnis — bewegt, gleichsam darauf hingewiesen, ja in gewisser Weise
dazu angehalten wird, Wege zu meiden, die sie außerhalb der geoffenbarten
Wahrheit und letzten Endes außerhalb der reinen, einfachen Wahrheit führen
würden; sie wird sogar angespornt, Wege zu erforschen, von denen sie von
sich aus nicht einmal vermutet hätte, sie je einschlagen zu können. Aus
diesem Verhältnis zum Wort Gottes in Form der Kreisbewegung geht die
Philosophie bereichert hervor, weil die Vernunft neue und unerwartete
Horizonte entdeckt.
74. Den Beweis für die Fruchtbarkeit einer solchen Beziehung liefert
die persönliche Geschichte großer christlicher Theologen, die sich auch
als große Philosophen auszeichneten und Schriften von so hohem
spekulativen Wert hinterließen, daß sie mit Recht neben die Meister der
antiken Philosophie gestellt werden können. Das gilt sowohl für die
Kirchenväter, von denen wenigstens die Namen des hl. Gregor von Nazianz
und des hl. Augustinus genannt seien, als auch für die mittelalterlichen
Gelehrten mit dem großen Dreigestirn hl. Anselm, hl. Bonaventura und hl.
Thomas von Aquin. Die fruchtbare Beziehung zwischen der Philosophie und
dem Wort Gottes schlägt sich auch in der mutigen Forschung nieder, die von
einigen jüngeren Denkern geleistet wurde. Unter ihnen möchte ich für den
westlichen Bereich Persönlichkeiten nennen wie John Henry Newman, Antonio
Rosmini, Jacques Maritain, Étienne Gilson und Edith Stein. Aus dem
östlichen Bereich sind Gelehrte wie Vladimir S. Solov'ev, Pavel A.
Florenskij, Petr J. Tschaadaev und Vladimir N. Lossky zu erwähnen. Wenn
ich mich auf diese Autoren berufe, neben denen noch andere Namen stehen
könnten, möchte ich natürlich nicht alle Gesichtspunkte ihres Denkens
bestätigen, sondern lediglich sprechende Beispiele eines philosophischen
Forschungsweges vorstellen, der aus der Auseinandersetzung mit den
Vorgaben des Glaubens beachtenswerte Vorteile gezogen hat. Eines ist
sicher: Die Beachtung des geistlichen Weges dieser Lehrmeister muß dem
Fortschritt in der Suche nach Wahrheit und in der Nutzbarmachung der
erzielten Ergebnisse zum Wohl der Menschen dienen. Es bleibt zu hoffen,
daß diese große philosophisch-theologische Tradition heute und in Zukunft
zum Wohl der Kirche und der Menschheit ihre Fortsetzer und Verehrer finden
möge.
Verschiedene Standorte der
Philosophie [75-79]
75. Wie sich aus der oben kurz angedeuteten Geschichte der Beziehungen
von Glaube und Philosophie ergibt, lassen sich verschiedene Standorte der
Philosophie in bezug auf den christlichen Glauben unterscheiden. Da ist
zuerst der Status der von der Offenbarung des Evangeliums völlig
unabhängigen Philosophie: Gemeint ist die Philosophie, wie sie
geschichtlich in den der Geburt des Erlösers vorausgehenden Epochen und
danach in den vom Evangelium noch nicht erreichten Regionen Gestalt
angenommen hat. In dieser Situation bekundet die Philosophie das legitime
Bestreben, eine Unternehmung zu sein, die autonom ist; das heißt:
sie geht nach ihren eigenen Gesetzen vor und bedient sich auschließlich
der Kräfte der Vernunft. Dieses Bestreben muß man unterstützen und
stärken, auch wenn man sich der schwerwiegenden, durch die angeborene
Schwäche der menschlichen Vernunft bedingten Grenzen bewußt ist. Denn das
philosophische Engagement als Suche nach der Wahrheit im natürlichen
Bereich bleibt zumindest implizit offen für das Übernatürliche.
Mehr noch: Auch dann, wenn sich die theologische Argumentation
philosophischer Begriffe und Argumente bedient, muß der Anspruch auf die
rechte Autonomie des Denkens respektiert werden. Denn die nach strengen
Vernunftkriterien entwickelte Argumentation ist Gewähr für das Erreichen
allgemeingültiger Ergebnisse. Auch hier erfüllt sich das Prinzip, wonach
die Gnade die Natur nicht zerstört, sondern vervollkommnet: Die
Glaubenszustimmung, die den Verstand und den Willen verpflichtet, zerstört
nicht die Willensfreiheit eines jeden Glaubenden, der das Geoffenbarte in
sich aufnimmt, sondern vervollkommnet sie.
Von diesem korrekten Anspruch weicht ganz klar die Theorie von der
sogenannten »getrennten« Philosophie ab, wie sie von einigen modernen
Philosophen vertreten wird. Über die Bejahung der berechtigten Autonomie
hinaus fordert sie eine Unabhängigkeit des Denkens, die sich klar als
unzulässig erweist: Die aus der göttlichen Offenbarung kommenden Beiträge
zur Wahrheit abzulehnen, bedeutet nämlich, sich zum Schaden der
Philosophie den Zugang zu einer tieferen Wahrheitserkenntnis zu
versperren.
76. Ein zweiter Standort der Philosophie ist jener, den viele mit dem
Ausdruck christliche Philosophie bezeichnen. Die Bezeichnung ist an
und für sich zulässig, darf aber nicht mißverstanden werden: Es wird damit
nicht beabsichtigt, auf eine offizielle Philosophie der Kirche
anzuspielen, da ja der Glaube an sich keine Philosophie ist. Vielmehr soll
mit dieser Bezeichnung auf ein christliches Philosophieren, auf eine in
lebendiger Verbundenheit mit dem Glauben konzipierte philosophische
Spekulation hingewiesen werden. Man bezieht sich dabei also nicht einfach
auf eine Philosophie, die von christlichen Philosophen erarbeitet wurde,
die in ihrer Forschung dem Glauben nicht widersprochen haben. Wenn von
christlicher Philosophie die Rede ist, will man damit alle jene
bedeutenden Entwicklungen des philosophischen Denkens erfassen, die sich
ohne den direkten oder indirekten Beitrag des christlichen Glaubens nicht
hätten verwirklichen lassen.
Es gibt daher zwei Aspekte der christlichen Philosophie: einen
subjektiven, der in der Läuterung der Vernunft durch den Glauben besteht.
Als göttliche Tugend befreit er die Vernunft von der typischen Versuchung
zur Anmaßung, der die Philosophen leicht erliegen. Schon der hl. Paulus,
die Kirchenväter und Philosophen wie Pascal und Kierkegaard, die uns
zeitlich näher sind, haben sie gebrandmarkt. Mit der Demut gewinnt der
Philosoph auch den Mut, sich mit manchen Problemen auseinanderzusetzen,
die er ohne Berücksichtigung der von der Offenbarung empfangenen
Erkenntnisse kaum lösen könnte. Man denke zum Beispiel an die Probleme des
Bösen und des Leides, an die Identität eines persönlichen Gottes und an
die Frage nach dem Sinn des Lebens oder, direkter, an die radikale
metaphysische Frage: »Warum gibt es etwas?«.
Daneben steht der objektive Aspekt, der die Inhalte betrifft: die
Offenbarung legt klar und deutlich einige Wahrheiten vor, die von der
Vernunft, obwohl sie ihr natürlich nicht unzugänglich sind, vielleicht
niemals entdeckt worden wären, wenn sie sich selbst überlassen geblieben
wäre. In diesem Blickfeld liegen Fragen wie der Begriff eines freien und
schöpferischen persönlichen Gottes, der für die Entwicklung des
philosophischen Denkens und insbesondere für die Philosophie des Seins so
große Bedeutung gehabt hat. In diesen Bereich gehört auch die Realität der
Sünde, wie sie im Lichte des Glaubens erscheint, der hilft, das Problem
des Bösen in geeigneter Weise philosophisch anzugehen. Auch die Auffassung
von der Person als geistiges Wesen ist eine besondere Eigenart des
Glaubens: Die christliche Botschaft von der Würde, der Gleichheit und der
Freiheit der Menschen hat sicher das philosophische Denken beeinflußt, das
die Modernen vollzogen haben. Als Beispiel, das unserer Zeit näher ist,
kann man die Entdeckung der Bedeutung des geschichtlichen Ereignisses für
die Philosophie erwähnen, das die Mitte der christlichen Offenbarung
bildet. Nicht zufällig ist es zur Grundlage einer Geschichtsphilosophie
geworden, das sich als ein neues Kapitel der menschlichen Suche nach der
Wahrheit darstellt.
Zu den objektiven Elementen der christlichen Philosophie gehört auch
die Notwendigkeit, die Vernünftigkeit mancher von der Heiligen Schrift
ausgesprochenen Wahrheiten zu erforschen, wie die Möglichkeit einer
übernatürlichen Berufung des Menschen und eben auch die Erbsünde. Das sind
Aufgaben, welche die Vernunft veranlassen anzuerkennen, daß es Wahres und
Vernünftiges außerhalb der engen Grenzen gibt, in die sich einzuschließen
sie geneigt wäre. Diese Themen erweitern tatsächlich den Bereich des
Vernünftigen.
Im Nachdenken über diese Inhalte sind die Philosophen nicht Theologen
geworden; denn sie haben nicht versucht, die Glaubenswahrheiten von der
Offenbarung her zu verstehen und zu deuten. Sie setzten die Arbeit auf
ihrem eigenen Gebiet und mit ihrer rein rationalen Methode fort, dehnten
aber ihre Untersuchung auf neue Bereiche des Wahren aus. Man kann sagen,
daß es ohne diesen stimulierenden Einfluß des Wortes Gottes einen
beachtlichen Teil der modernen und zeitgenössischen Philosophie gar nicht
gäbe. Der Befund bewahrt seine ganze Bedeutung auch angesichts der
enttäuschenden Feststellung, daß nicht wenige Denker dieser letzten
Jahrhunderte die christliche Rechtgläubigkeit aufgegeben haben.
77. Ein weiterer bedeutsamer Standort der Philosophie ergibt sich, wenn
die Theologie selbst die Philosophie hineinzieht. In Wirklichkeit
hat die Theologie immer den philosophischen Beitrag gebraucht. Sie braucht
ihn auch weiterhin. Da die theologische Arbeit ein Werk der kritischen
Vernunft im Lichte des Glaubens ist, ist für sie bei ihrem ganzen Forschen
eine in begrifflicher und argumentativer Hinsicht erzogene und
ausgebildete Vernunft Voraussetzung und Forderung. Darüber hinaus braucht
die Theologie die Philosophie als Gesprächspartnerin, um die
Verständlichkeit und allgemeingültige Wahrheit ihrer Aussagen
festzustellen. Nicht zufällig wurden von den Kirchenvätern und von den
mittelalterlichen Theologen nichtchristliche Philosophien für diese
Erklärungsfunktion übernommen. Diese historische Tatsache weist auf den
Wert der Autonomie hin, den die Philosophie auch in diesem dritten
Standort bewahrt, zeigt aber zugleich die notwendigen und tiefgreifenden
Veränderungen auf, die sie auf sich nehmen muß.
Ganz im Sinne eines unerläßlichen und vortrefflichen Beitrags wurde die
Philosophie seit der Väterzeit ancilla theologiae genannt. Der
Beiname wurde nicht verwendet, um eine sklavische Unterwerfung oder eine
rein funktionale Rolle der Philosophie gegenüber der Theologie zu
bezeichnen. Er wurde vielmehr in dem Sinne gebraucht, in dem Aristoteles
von den Erfahrungswissenschaften als »Mägden« der »ersten Philosophie«
sprach. Der Ausdruck, der heute wegen der oben angeführten
Autonomieprinzipien schwer anwendbar ist, diente im Laufe der Geschichte
dazu, auf die Notwendigkeit der Beziehung zwischen den beiden
Wissenschaften und auf die Unmöglichkeit ihrer Trennung hinzuweisen.
Würde sich der Theologe weigern, von der Philosophie Gebrauch zu
machen, liefe er Gefahr, ohne sein Wissen Philosophie zu treiben und sich
in Denkstrukturen einzuschließen, die dem Glaubensverständnis wenig
angemessen sind. Der Philosoph wiederum würde sich, wenn er jeden Kontakt
mit der Theologie ausschlösse, verpflichtet fühlen, sich eigenständig der
Inhalte des christlichen Glaubens zu bemächtigen, wie das bei einigen
modernen Philosophen der Fall war. Im einen wie im anderen Fall würde sich
die Gefahr der Zerstörung der Grundprinzipien der Autonomie ergeben, deren
Garantie jede Wissenschaft mit Recht für sich fordert.
Der hier besprochene Status der Philosophie steht wegen der
Implikationen, die er im Verständnis der Offenbarung mit sich bringt,
zusammen mit der Theologie unmittelbarer unter der Autorität des Lehramtes
und seiner Prüfung; dies habe ich vorher dargelegt. Denn aus der
Glaubenswahrheit ergeben sich bestimmte Forderungen, welche die
Philosophie in dem Augenblick respektieren muß, wo sie mit der Theologie
in Verbindung tritt.
78. Im Lichte dieser Überlegungen wird es wohl verständlich, warum das
Lehramt wiederholt die Verdienste des Denkens des hl. Thomas gelobt und
ihn als führenden Lehrmeister und Vorbild für das Theologiestudium
herausgestellt hat. Es war dem Lehramt weder daran gelegen, zu eigentlich
philosophischen Fragen Stellung zu nehmen noch die Zustimmung zu
besonderen Auffassungen aufzuerlegen. Die Absicht des Lehramtes war und
ist es weiterhin zu zeigen, daß der hl. Thomas ein authentisches Vorbild
für alle ist, die nach der Wahrheit suchen. Denn in seinem Denken haben
der Anspruch der Vernunft und die Kraft des Glaubens zur höchsten
Zusammenschau gefunden, zu der das Denken je gelangt ist. Er hat es
verstanden, das radikal Neue, das die Offenbarung gebracht hat, zu
verteidigen, ohne je den typischen Weg der Vernunft zu demütigen.
79. Mit einer weiteren ausführlichen Darlegung der Inhalte des
bisherigen Lehramtes möchte ich in diesem letzten Teil einige Forderungen
aufzeigen, die heute die Theologie — und zuvor noch das Wort Gottes — an
das philosophische Denken und die modernen Philosophien stellt. Wie ich
bereits hervorgehoben habe, muß der Philosoph nach eigenen Regeln vorgehen
und sich auf seine eigenen Prinzipien stützen; die Wahrheit kann jedoch
nur eine sein. Die Offenbarung mit ihren Inhalten wird niemals die
Vernunft bei ihren Entdeckungen und in ihrer legitimen Autonomie
unterdrücken können; umgekehrt wird jedoch die Vernunft in dem Bewußtsein,
sich nicht zu absoluter und ausschließlicher Gültigkeit erheben zu können,
nie ihre Fähigkeit verlieren dürfen, sich fragen zu lassen und zu fragen.
Indem die geoffenbarte Wahrheit von dem Glanz her, der von dem
subsistenten Sein selbst ausgeht, volle Erhellung über das Sein gewährt,
wird sie den Weg der philosophischen Reflexion erleuchten. Die christliche
Offenbarung wird somit zum eigentlichen Ansatz- und Vergleichspunkt
zwischen philosophischem und theologischem Denken, die zueinander in einer
Wechselbeziehung stehen. Daher ist es wünschenswert, daß sich Theologen
und Philosophen von der einzigen Autorität der Wahrheit leiten lassen und
eine Philosophie erarbeiten, die im Einklang mit dem Wort Gottes steht.
Diese Philosophie wird der Boden für die Begegnung zwischen den Kulturen
und dem christlichen Glauben sein, der Ort der Verständigung zwischen
Glaubenden und Nichtglaubenden. Sie wird hilfreich sein, damit sich die
Gläubigen aus nächster Nähe davon überzeugen, daß die Tiefe und
Unverfälschtheit des Glaubens gefördert wird, wenn er sich mit dem Denken
verbindet und nicht darauf verzichtet. Und wieder ist es die Lehre der
Kirchenväter, die uns zu dieser Überzeugung führt: »Dasselbe glauben ist
nichts anderes als zustimmend denken [...]. Jeder, der glaubt, denkt; wenn
er glaubt, denkt er, und wenn er denkt, glaubt er [...]. Wenn der Glaube
nicht gedacht wird, ist er nichts«.95
Und an anderer Stelle heißt es: »Wenn einer die Zustimmung aufgibt, gibt
er den Glauben auf, denn ohne Zustimmung glaubt man überhaupt nicht«.96
KAPITEL VII - AKTUELLE FORDERUNGEN UND AUFGABEN
Die unverzichtbaren Forderungen des Wortes Gottes [80-91]
80. Die Heilige Schrift enthält sowohl in expliziter wie impliziter
Form eine Reihe von Elementen, die uns zu einem Menschenbild und einer
Weltsicht von beträchtlicher philosophischer Stärke gelangen lassen. Die
Christen wurden sich allmählich des in heiligen Büchern enthaltenen
Reichtums bewußt. Aus jenen Seiten ergibt sich, daß die Wirklichkeit, die
wir erfahren, nicht das Absolute ist: sie ist weder ungeschaffen noch ist
sie sich selbst geschaffen. Nur Gott ist das Absolute. Aus den Seiten der
Bibel geht außerdem eine Sicht vom Menschen als imago Dei, Abbild
Gottes, hervor, die genaue Hinweise auf sein Sein, seine Freiheit und die
Unsterblichkeit seiner Seele enthält. Da die geschaffene Welt sich nicht
selbst genügt, führt jede Illusion von Autonomie, welche die wesentliche
Abhängigkeit übersieht, in der jedes Geschöpf — einschließlich der Mensch
— vor Gott steht, zu Konflikten, welche die rationale Suche nach der
Harmonie und dem Sinn des menschlichen Daseins zunichte machen.
Auch das Problem des sittlich Bösen — die tragischste Form des Bösen —
wird in der Bibel aufgegriffen, die uns sagt, daß es nicht auf irgendeinen
durch die Materie bedingten Mangel zurückzuführen ist, sondern auf eine
Wunde, die von einem ungeordneten Sich-Äußern der menschlichen Freiheit
herrührt. Schließlich zeigt das Wort Gottes das Problem auf, welchen Sinn
das Dasein hat, und enthüllt seine Antwort, indem es den Menschen auf
Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, hinweist, der das menschliche
Dasein im Vollsinn verwirklicht. Weitere Aspekte ließen sich aus der
Lektüre des heiligen Textes verdeutlichen; jedenfalls ergibt sich daraus
die Zurückweisung jeder Form von Relativismus, Materialismus und
Pantheismus.
Die Grundüberzeugung dieser in der Bibel enthaltenen »Philosophie«
besteht darin, daß das menschliche Leben und die Welt einen Sinn haben und
auf ihre Vollendung hin ausgerichtet sind, die sich in Jesus Christus
erfüllt. Das Geheimnis der Menschwerdung wird immer der Mittelpunkt
bleiben, auf den man sich beziehen muß, um das Rätsel vom menschlichen
Dasein, der geschaffenen Welt und von Gott selber begreifen zu können. In
diesem Geheimnis liegen extreme Herausforderungen für die Philosophie,
weil die Vernunft aufgerufen ist, sich eine Logik zu eigen zu machen,
welche die Schranken niederreißt, hinter denen sie sich zu verschanzen
droht. Erst hier jedoch erreicht der Sinn des Daseins seinen Höhepunkt.
Denn es wird das innerste Wesen Gottes und des Menschen verständlich: Im
Geheimnis des fleischgewordenen Wortes werden göttliche und menschliche
Natur in ihrer je eigenen Autonomie bewahrt, und zugleich offenbart sich
ein einziges Band, das sie unvermischt in gegenseitige Beziehung setzt.97
81. Wir müssen feststellen, daß eines der gewichtigsten Fakten in
unserer derzeitigen Situation in der »Sinnkrise« besteht. Die häufig
wissenschaftlich geprägten Ansichten über Leben und Welt haben eine
derartige Vermehrung erfahren, daß wir wirklich erleben, wie das Phänomen
der Bruchstückhaftigkeit des Wissens um sich greift. Genau das macht die
Suche nach einem Sinn schwierig und oft vergeblich. Noch dramatischer ist
es, daß sich in diesem wirren Geflecht aus Daten und Fakten, zwischen
denen man lebt und die den eigentlichen Gang des Daseins auszumachen
scheinen, nicht wenige fragen, ob es überhaupt noch sinnvoll sei, eine
Sinnfrage zu stellen. Die Mehrzahl der um eine Antwort streitenden
Theorien bzw. die unterschiedlichen Sicht- und Interpretationsweisen in
bezug auf die Welt und das Leben des Menschen verschärfen nur diesen
radikalen Zweifel, der leicht auf einen Zustand des Skeptizismus und der
Gleichgültigkeit oder auf die verschiedenen Äußerungen des Nihilismus
hinausläuft.
Als Folge davon wird der menschliche Geist von einem zweideutigen
Denken vereinnahmt, das ihn veranlaßt, sich noch mehr in sich selbst, in
die Grenzen seiner Immanenz zu verschließen, ohne irgendeinen Bezug zur
Transzendenz zu haben. Eine Philosophie, die nicht mehr die Frage nach dem
Sinn des Daseins stellt, würde ernsthaft Gefahr laufen, die Vernunft zu
rein instrumentalen Funktionen zu degradieren, ohne jegliche echte
Leidenschaft für die Suche nach der Wahrheit.
Um sich in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes zu befinden, muß die
Philosophie vor allem ihre Weisheitsdimension wiederfinden, die in
der Suche nach dem letzten und umfassenden Sinn des Lebens besteht. Wenn
man es recht betrachtet, stellt diese erste Forderung für die Philosophie
einen sehr nützlichen Ansporn dazu dar, ihrem eigentlichen Wesen gerecht
zu werden. Denn wenn sie das tut, wird sie nicht nur die entscheidende
kritische Instanz sein, die die verschiedenen Seiten des
wissenschaftlichen Wissens auf ihre Zuverlässigkeit und ihre Grenzen
hinweist, sondern sie wird sich auch als letzte Instanz für die Einigung
von menschlichem Wissen und Handeln erweisen, indem sie diese dazu
veranläßt, ein endgültiges Ziel und einen letzten Sinn anzustreben. Diese
Weisheitsdimension ist heute um so unerläßlicher, weil die enorme Zunahme
der technischen Macht der Menschheit ein erneuertes und geschärftes
Bewußtsein für die letzten Werte verlangt. Sollten diese technischen
Mittel ohne Hinordnung auf ein Ziel bleiben, das nicht bloß vom
Nützlichkeitsstandpunkt her bestimmt wird, könnten sie sich sehr schnell
als inhuman herausstellen, ja sich in potentielle Zerstörer des
Menschengeschlechts verwandeln.98
Das Wort Gottes offenbart das letzte Ziel des Menschen und verleiht
seinem Handeln in der Welt einen umfassenden Sinn. Deshalb lädt das Wort
Gottes die Philosophie ein, sich für die Suche nach der natürlichen
Grundlage dieses Sinnes einzusetzen; diese Grundlage besteht in der
Religiosität, die jedem Menschen als Person eigen ist. Eine Philosophie,
die die Möglichkeit eines letzten und umfassenden Sinnes leugnen wollte,
wäre nicht nur unangemessen, sondern irrig.
82. Diese der Weisheit verpflichtete Rolle könnte allerdings nicht von
einer Philosophie wahrgenommen werden, die nicht selbst echtes und wahres
Wissen wäre; das heißt eine Philosophie, die nicht nur auf einzelne,
bedingte — ob funktionale, formale oder utilitaristische — Aspekte des
Wirklichen, sondern auf seine vollständige und endgültige Wahrheit, also
auf das Sein des Erkenntnisgegenstandes selbst gerichtet ist. Daher gilt
eine zweite Forderung: Überprüfung der Fähigkeit des Menschen, zur
Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen; eine Erkenntnis übrigens, die zur
objektiven Wahrheit gelangt durch jene adaequatio rei et intellectus,99
auf die sich die Gelehrten der Scholastik beziehen. Diese Forderung, die
dem Glauben eigen ist, wurde vom II. Vatikanischen Konzil ausdrücklich neu
bekräftigt: »Die Vernunft ist nämlich nicht auf die bloßen Phänomene
eingeengt, sondern vermag geistig tiefere Strukturen der Wirklichkeit mit
wahrer Sicherheit zu erreichen, wenn sie auch infolge der Sünde zum Teil
verdunkelt und geschwächt ist«.
100
Eine radikal phänomenalistische oder relativistische Philosophie würde
sich als ungeeignet dafür erweisen, diese Hilfe zu leisten, wenn es um die
Vertiefung der im Wort Gottes enthaltenen Fülle geht. Die Heilige Schrift
setzt nämlich immer voraus, daß der Mensch, auch wenn er der
Doppelzüngigkeit und Lüge schuldig ist, die reine und einfache Wahrheit zu
erkennen und zu begreifen vermag. In den Heiligen Büchern und besonders im
Neuen Testament finden sich Texte und Aussagen von wirklich ontologischer
Tragweite. Die inspirierten Verfasser wollten nämlich wahre Aussagen
formulieren, Aussagen also, welche die objektive Wirklichkeit ausdrücken
sollten. Man kann nicht behaupten, die katholische Überlieferung habe
einen Irrtum begangen, als sie einige Texte des hl. Johannes und des hl.
Paulus als Aussagen über das Sein Christi selbst verstanden hat. Die
Theologie braucht daher, wenn sie sich dem Verstehen und Erklären dieser
Aussagen widmet, den Beitrag einer Philosophie, welche die Möglichkeit
einer objektiv wahren, freilich immer vervollkommnungsfähigen Erkenntnis
nicht leugnet. Das Gesagte gilt auch für die Urteile des sittlichen
Gewissens, von denen die Heilige Schrift annimmt, daß sie objektiv wahr
sein können.
101
83. Die beiden obengenannten Forderungen ziehen eine dritte nach sich:
Erforderlich ist eine Philosophie von wahrhaft metaphysischer
Tragweite; sie muß imstande sein, das empirisch Gegebene zu
transzendieren, um bei ihrer Suche nach der Wahrheit zu etwas Absolutem,
Letztem und Grundlegendem zu gelangen. Das ist eine selbstverständliche
Forderung, die sowohl für die auf Grund der Weisheit wie auch für die auf
analytischem Wege gewonnenen Erkenntnis Geltung hat; es ist im besonderen
eine Forderung an die Erkenntnis des sittlich Guten, dessen letzter Grund
das höchste Gut, Gott selber, ist. Ich spreche hier nicht von der
Metaphysik als einer bestimmten Schule oder einer besonderen
geschichtlichen Strömung. Ich möchte nur bekräftigen, daß die Wirklichkeit
und die Wahrheit das Tatsächliche und Empirische übersteigen. Zudem will
ich die Fähigkeit des Menschen geltend machen, diese transzendente und
metaphysische Dimension wahrhaftig und sicher, wenngleich auf
unvollkommene und analoge Weise, zu erkennen. So verstanden, darf die
Metaphysik nicht als Alternative zur Anthropologie gesehen werden,
gestattet es doch gerade die Metaphysik, dem Begriff von der Würde der
Person, die auf ihrer geistigen Verfaßtheit fußt, eine Grundlage zu geben.
Besonders die Person stellt einen bevorzugten Bereich dar für die
Begegnung mit dem Sein und daher mit dem metaphysischen Denken.
Wo immer der Mensch einen Hinweis auf das Absolute und Transzendente
entdeckt, öffnet sich für ihn ein Spalt zur metaphysischen Dimension des
Wirklichen: in der Wahrheit, in der Schönheit, in den sittlichen Werten,
in der Person des anderen, im Sein selbst, in Gott. Eine große
Herausforderung, die uns am Ende dieses Jahrtausends erwartet, besteht
darin, daß es uns gelingt, den ebenso notwendigen wie dringenden Übergang
vom Phänomen zum Fundament zu vollziehen. Wir können
unmöglich bei der bloßen Erfahrung stehenbleiben; auch wenn diese die
Innerlichkeit des Menschen und seine Spiritualität ausdrückt und
verdeutlicht, muß das spekulative Denken die geistliche Mitte und das sie
tragende Fundament erreichen. Ein philosophisches Denken, das jede
metaphysische Öffnung ablehnte, wäre daher völlig ungeeignet, im
Verständnis der Offenbarung als Vermittlerin wirken zu können.
Das Wort Gottes nimmt ständig auf das Bezug, was die Erfahrung und
sogar das Denken des Menschen übersteigt; aber dieses »Geheimnis« könnte
weder enthüllt werden noch wäre die Theologie imstande, es auf irgendeine
Weise verständlich zu machen,
102 wenn die menschliche Erkenntnis streng auf die Welt
der sinnlichen Erfahrung beschränkt wäre. Die Metaphysik stellt sich
deshalb als bevorzugte Vermittlung in der theologischen Forschung dar.
Einer Theologie ohne metaphysischen Horizont würde es nicht gelingen, über
die Analyse der religiösen Erfahrung hinauszutreten; außerdem würde sie es
dem intellectus fidei unmöglich machen, den universalen und
transzendenten Wert der geoffenbarten Wahrheit auf kohärente Weise zum
Ausdruck zu bringen.
Wenn ich so sehr auf der metaphysischen Komponente bestehe, dann
deshalb, weil ich davon überzeugt bin, daß sie der unumgängliche Weg ist,
um die Krisensituation, die heutzutage große Teile der Philosophie
durchzieht, zu überwinden und auf diese Weise manche in unserer
Gesellschaft verbreiteten abwegigen Verhaltensweisen zu korrigieren.
84. Die Bedeutung des metaphysischen Anspruchs wird noch offenkundiger,
wenn man die heutige Entwicklung der hermeneutischen Wissenschaften und
der verschiedenen Sprachanalysen unter die Lupe nimmt. Die Ergebnisse, zu
welchen diese Forschungen gelangen, können für das Glaubensverständnis
sehr nützlich sein, insofern sie die Struktur unseres Denkens und
Sprechens und den in der Sprache enthaltenen Sinn deutlich machen. Es gibt
jedoch Vertreter dieser Wissenschaften, die dazu neigen, in ihren
Forschungen dabei stehenzubleiben, wie die Wirklichkeit zu verstehen und
zu benennen ist, während sie davon absehen, die Möglichkeiten zu
überprüfen, die der Vernunft eigen sind, um das Wesen der Wirklichkeit zu
entdecken. Muß man in einer solchen Haltung nicht eine Bestätigung der
Vertrauenskrise hinsichtlich der Fähigkeiten der Vernunft sehen, wie sie
unsere Zeit durchmacht? Wenn sich dann auf Grund aprioristischer Annahmen
diese Auffassungen dazu anschicken, die Glaubensinhalte zu verwischen oder
ihre Allgemeingültigkeit zu leugnen, so unterdrücken sie nicht nur die
Vernunft, sondern stellen sich selbst ins Abseits. Denn der Glaube setzt
ganz klar voraus, daß die menschliche Sprache fähig ist, die göttliche und
transzendente Wirklichkeit auf allgemeingültige Weise auszudrücken. Wenn
die Worte auch analog gebraucht werden, so sind sie dennoch nicht weniger
bedeutungsträchtig.
103 Träfe dies nicht zu, würde das Wort Gottes, das immer
göttliches Wort in menschlicher Sprache ist, nicht imstande sein,
irgendetwas über Gott auszusagen. Die Auslegung dieses Wortes darf uns
nicht nur von einer Interpretation auf die andere verweisen, ohne uns je
dahin zu bringen, ihm eine schlichtweg wahre Aussage zu entnehmen;
andernfalls gäbe es Offenbarung Gottes nicht, sondern nur die Formulierung
menschlicher Auffassungen über Ihn und über das, was Er wahrscheinlich von
uns denkt.
85. Ich bin mir wohl bewußt, daß diese vom Wort Gottes an die
Philosophie gestellten Forderungen vielen, die die heutige Situation
philosophischer Forschung erleben, schwierig erscheinen mögen. Ich greife
deshalb auf, was die Päpste seit Generationen unaufhörlich lehren und was
auch das II. Vatikanische Konzil bekräftigt hat, und möchte mit aller
Deutlichkeit der Überzeugung Ausdruck geben, daß der Mensch imstande ist,
zu einer einheitlichen und organischen Wissensschau zu gelangen. Das ist
eine der Aufgaben, deren sich das christliche Denken im Laufe des nächsten
Jahrtausends christlicher Zeitrechnung wird annehmen müssen. Da die
Bruchstückhaftigkeit des Wissens eine fragmentarische Annäherung an die
Wahrheit mit der sich daraus ergebenden Sinnzersplitterung mit sich
bringt, verhindert sie die innere Einheit des heutigen Menschen. Sollte
sich die Kirche etwa nicht darüber Sorgen machen? Diese der Weisheit
geltende Aufgabe erwächst den Bischöfen direkt aus dem Evangelium; sie
können sich der Verpflichtung nicht entziehen, dieser Aufgabe
nachzukommen.
Ich meine, daß alle, die heute als Philosophen den Forderungen
entsprechen wollen, die das Wort Gottes an das menschliche Denken stellt,
ihre Argumentation auf der Grundlage dieser Postulate und in Kontinuität
mit jener großen Tradition erarbeiten sollten, die bei den antiken
Philosophen anfängt und über die Kirchenväter sowie die Meister der
Scholastik führt, um schließlich die grundlegenden Errungenschaften des
modernen und zeitgenössischen Denkens zu erfassen. Wenn der Philosoph aus
dieser Tradition zu schöpfen und sich an ihr zu inspirieren vermag, wird
er es nicht versäumen, sich als getreuer Anhänger des Autonomieanspruchs
des philosophischen Denkens zu erweisen.
In diesem Sinne ist es um so bedeutsamer, daß im Zusammenhang mit
unserer gegenwärtigen Situation einige Philosophen zu Initiatoren der
Wiederentdeckung der entscheidenden Rolle werden, die der Überlieferung
für eine richtige Erkenntnisform zukommt. Der Verweis auf die Tradition
ist nämlich nicht bloß eine Erinnerung an die Vergangenheit; er stellt
vielmehr die Anerkennung eines Kulturerbes dar, das der ganzen Menschheit
gehört. Man könnte sogar sagen, wir gehören zur Tradition und können nicht
einfach über sie verfügen, wie wir wollen. Gerade diese Einwurzelung in
der Überlieferung erlaubt uns heute, ein originelles, neues und in die
Zukunft weisendes Denken zum Ausdruck zu bringen. Dieser Hinweis gilt auch
in hohem Maße für die Theologie — nicht nur, weil sie die lebendige
Überlieferung der Kirche als Urquelle besitzt,
104 sondern auch weil sie dadurch fähig sein soll, sowohl
die tiefe theologische Überlieferung, die die vorangegangenen Epochen
geprägt hat, als auch die ununterbrochene philosophische Tradition
zurückzugewinnen, die durch ihre wirkliche Weisheit die Grenzen von Raum
und Zeit zu überwinden vermocht hat.
86. Das Bestehen auf der Notwendigkeit einer engen kontinuierlichen
Beziehung des heutigen zu dem in der christlichen Tradition erarbeiteten
philosophischen Denkens will der Gefahr zuvorkommen, die sich in manchen,
heute besonders verbreiteten Denkrichtungen verbirgt. Ich halte es für
angebracht, wenigstens kurz auf sie einzugehen, um ihre Irrtümer und die
sich daraus für die philosophische Tätigkeit ergebenden Gefahren
festzustellen.
Die erste dieser Denkrichtungen ist unter dem Namen Eklektizismus
bekannt; ein Begriff, mit dem man die Haltung dessen bezeichnet, der
in Forschung, Lehre und auch theologischer Argumentation einzelne, aus
verschiedenen Philosophien stammende Ideen zu übernehmen pflegt, ohne sich
um deren systematischen Zusammenhang und ihre Einbettung in einen
geschichtlichen Kontext zu kümmern. Auf diese Weise gerät er in die Lage,
den Wahrheitsanteil eines bestimmten Denkens nicht mehr von dem
unterscheiden zu können, was an ihm möglicherweise irrtümlich oder
unangemessen ist. Eine Extremform des Eklektizismus ist auch im
rhetorischen Mißbrauch der philosophischen Begriffe erkennbar, der sich
der eine oder andere Theologe bisweilen hingibt. Eine solche
Instrumentalisierung dient nicht der Wahrheitssuche und erzieht weder die
theologische noch die philosophische Vernunft zu ernsthafter,
wissenschaftlicher Argumentation. Das konsequente und gründliche Studium
der philosophischen Lehren, ihrer besonderen Sprache und des Umfeldes
ihrer Entstehung hilft, die Gefahren des Eklektizismus zu überwinden, und
erlaubt eine angemessene Integration dieser Lehren in die theologische
Argumentation.
87. Der Eklektizismus ist ein methodischer Irrtum, könnte aber auch
Auffassungen in sich bergen, die für den Historizismus typisch
sind. Um eine Lehre aus der Vergangenheit richtig zu verstehen, muß man
sie in ihren geschichtlichen und kulturellen Zusammenhang einordnen. Die
Grundthese des Historizismus besteht hingegen darin, daß die Wahrheit
einer Philosophie auf der Grundlage ihrer Angemessenheit für eine
bestimmte Periode und eine bestimmte historische Aufgabe festgestellt
wird. Auf diese Weise wird, wenigstens implizit, die ewige Gültigkeit des
Wahren geleugnet. Was in einer Epoche wahr gewesen ist, so behauptet der
Historist, braucht es in einer anderen Zeit nicht mehr zu sein. Die
Geschichte des Denkens wird für ihn somit kaum mehr als ein
archäologischer Fund, aus dem man schöpft, um Positionen der Vergangenheit
herauszustellen, die nunmehr großenteils überholt und für die Gegenwart
ohne Bedeutung sind. Dagegen gilt es zu bedenken, daß man in der
Formulierung, auch wenn sie in gewisser Weise an die Zeit und die Kultur
gebunden ist, die in ihr ausgedrückte Wahrheit oder den Irrtum trotz der
räumlichen und zeitlichen Distanz auf jeden Fall erkennen und als solche
bewerten kann.
Im theologischen Denken präsentiert sich der Historizismus meistens in
einer Form des »Modernismus«. Mit der berechtigten Sorge, die theologische
Argumentation zeitgemäß und für den heutigen Menschen annehmbar zu machen,
bedient man sich nur jüngster Aussagen und des gängigen philosophischen
Jargons; dabei werden die kritischen Ansprüche vernachlässigt, die im
Lichte der Überlieferung eventuell erhoben werden müßten. Weil diese Form
des Modernismus Aktualität mit Wahrheit verwechselt, erweist sie sich als
unfähig, die Wahrheitsansprüche zu befriedigen, auf welche die Theologie
Antwort zu geben berufen ist.
88. Eine weitere Gefahr, auf die es zu achten gilt, ist der
Szientismus. Diese philosophische Auffassung weigert sich, neben den
Erkenntnisformen der positiven Wissenschaften andere Weisen der Erkenntnis
als gültig zuzulassen, indem sie sowohl die religiöse und theologische
Erkenntnis als auch das ethische und ästhetische Wissen in den Bereich der
reinen Phantasie verbannt. In der Vergangenheit äußerte sich diese
Vorstellung im Positivismus und Neopositivismus, die Aussagen
metaphysischen Charakters für sinnlos hielten. Die epistemologische Kritik
hat diese Einstellung in Mißkredit gebracht; so ist sie jetzt dabei, im
Gewand des Szientismus wiederzuerstehen. In dieser Sicht werden die Werte
in einfache Produkte des Gefühls verbannt; die Erkenntnis des Seins wird
zurückgestellt, um der reinen Tatsächlichkeit Platz zu machen. Die
Wissenschaft bereitet sich also darauf vor, sämtliche Aspekte des
menschlichen Daseins durch den technologischen Fortschritt zu beherrschen.
Die unbestreitbaren Erfolge der naturwissenschaftlichen Forschung und der
modernen Technologie haben zur Verbreitung der szientistischen Gesinnung
beigetragen. Diese scheint grenzenlos zu sein in Anbetracht dessen, wie
sie in die verschiedenen Kulturen eingedrungen ist und welche radikalen
Umwälzungen sie dort herbeigeführt hat.
Man muß leider feststellen, daß alles, was die Frage nach dem Sinn des
Lebens betrifft, vom Szientismus in den Bereich des Irrationalen oder
Imaginären verwiesen wird. Nicht minder enttäuschend ist die Art, in der
diese Denkströmung an die anderen großen Probleme der Philosophie
herangeht. Sofern sie nicht ignoriert werden, begegnet man ihnen mit
Analysen, die sich auf oberflächliche Analogien stützen, die einer
rationalen Grundlage entbehren. Das führt zur Verarmung des menschlichen
Denkens, dem jene Grundprobleme entzogen werden, die sich das animal
rationale von Anbeginn seines Erdendaseins an ständig gestellt hat.
Nachdem aus dieser Perspektive die aus der sittlichen Bewertung stammende
Kritik zurückgestellt worden war, gelang es der szientistischen Denkart,
viele zur Annahme der Vorstellung zu bringen, wonach das, was technisch
machbar ist, eben dadurch auch moralisch annehmbar wird.
89. Von nicht geringeren Gefahren kündet der Pragmatismus, eine
für diejenigen typische Denkhaltung, die es in ihren
Entscheidungsprozessen ausschließen, auf theoretische Überlegungen
zurückzugreifen oder auf ethischen Prinzipien gestützte Bewertungen
vorzunehmen. Die praktischen Folgen aus dieser Denkrichtung sind
beträchtlich. Insbesondere hat sich ein Demokratieverständnis
durchgesetzt, das den Bezug zu wertorientierten und deshalb unwandelbaren
Grundlagen unberücksichtigt läßt: Die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit
eines bestimmten Verhaltens entscheidet sich auf Grund des Votums der
parlamentarischen Mehrheit.
105 Welche Konsequenzen ein solcher Ansatz hat, liegt auf
der Hand: Die großen moralischen Entscheidungen des Menschen werden in
Wirklichkeit den Beschlüssen untergeordnet, die nach und nach von den
institutionellen Organen an sich gezogen werden. Mehr noch: Die
Anthropologie selbst gerät in massive Abhängigkeit durch das Angebot einer
eindimensionalen Sicht vom Menschen, der die großen sittlichen Nöte und
die existentiellen Analysen über den Sinn von Leiden und Opfer, von Leben
und Tod fern sind.
90. Die bis jetzt untersuchten Anschauungen führen ihrerseits zu einer
allgemeineren Auffassung, die heute für viele Philosophien, die sich vom
Sinn des Seins verabschiedet haben, den gemeinsamen Horizont zu bilden
scheint. Ich meine die nihilistische Deutung, die zugleich die Ablehnung
jeder Grundlage und die Leugnung jeder objektiven Wahrheit ist. Der
Nihilismus ist, ehe er noch im Gegensatz zu den Ansprüchen und
Inhalten des Wortes Gottes steht, Verneinung der Humanität des Menschen
und seiner Identität. Denn man darf nicht übersehen, daß die
Seinsvergessenheit unvermeidlich den Kontaktverlust mit der objektiven
Wahrheit und daher mit dem Grund zur Folge hat, auf dem die Würde des
Menschen fußt. So wird der Möglichkeit Platz geschaffen, vom Angesicht des
Menschen die Züge zu löschen, die seine Gottähnlichkeit offenbaren, um ihn
fortschreitend entweder zu einem zerstörerischen Machtwillen oder in die
Verzweiflung der Einsamkeit zu treiben. Wenn man dem Menschen einmal die
Wahrheit genommen hat, ist die Behauptung, ihn befreien zu wollen, reine
Illusion. Wahrheit und Freiheit verbinden sich entweder miteinander oder
sie gehen gemeinsam elend zugrunde.
106
91. Wenn ich auf die eben erwähnten Denkrichtungen einging, war es
nicht meine Absicht, ein vollständiges Bild von der aktuellen Situation
der Philosophie zu bieten: Sie ließe sich im übrigen schwerlich auf eine
einheitliche Sicht reduzieren. Ich möchte unterstreichen, daß das Erbe an
Wissen und Weisheit tatsächlich auf verschiedenen Gebieten eine
Bereicherung erfahren hat. Es seien genannt: die Logik, die
Sprachphilosophie, die Epistemologie, die Naturphilosophie, die
Anthropologie, die eingehende Analyse der affektiven Erkenntniswege, die
existentielle Annäherung an die Analyse der Freiheit. Andererseits hat die
Bejahung des Immanenzprinzips, die im Mittelpunkt des rationalistischen
Anspruchs steht, seit dem vorigen Jahrhundert Reaktionen ausgelöst, die in
bezug auf Postulate, die für unbestreitbar gehalten wurden, zu einem
radikalen Verlust geführt haben. Auf diese Weise sind irrationale
Strömungen entstanden, während die Kritik die Vergeblichkeit des absoluten
Selbstbegründungsanspruchs der Vernunft hervorhob.
Unsere Zeit ist von einigen Denkern als die Epoche der »Post-Moderne«
eingestuft worden. Dieser Begriff, der nicht selten in voneinander sehr
weit entfernten Zusammenhängen verwendet wird, bezeichnet das Auftauchen
einer Gesamtheit neuer Faktoren, die im Hinblick auf ihre Verbreitung und
Wirksamkeit erkennen ließen, daß sie bedeutsame und dauerhafte
Veränderungen zu verursachen vermögen. So ist der Begriff anfangs auf
ästhetische, soziale und technologische Phänomene angewandt worden. Später
wurde er in den philosophischen Bereich übertragen, wobei er jedoch eine
gewisse Zweideutigkeit aufwies — sowohl deshalb, weil das Urteil über das,
was als »postmodern« eingestuft wird, manchmal positiv und manchmal
negativ ist, als auch daher, weil es kein Einvernehmen über das heikle
Problem der Abgrenzung der verschiedenen Geschichtsepochen gibt. Eines
steht jedoch außer Zweifel: Die Denkrichtungen, die sich auf die
Post-Moderne berufen, verdienen entsprechende Aufmerksamkeit. Denn nach
Ansicht einiger von ihnen wäre die Zeit der Gewißheiten hoffnungslos
vorbei; nunmehr müßte der Mensch lernen, vor einem Horizont völliger
Sinnferne im Zeichen des Vorläufigen und Vergänglichen zu leben. In ihrer
zerstörerischen Kritik an jeder Gewißheit ignorieren zahlreiche Autoren
die notwendigen Unterscheidungen und leugnen auch die Glaubensgewißheiten.
Dieser Nihilismus findet eine Art Bestätigung in der schrecklichen
Erfahrung des Bösen, die unser Zeitalter gezeichnet hat. Der Dramatik
dieser Erfahrung gegenüber vermochte der rationalistische Optimismus, der
in der Geschichte den fortschreitenden Sieg der Vernunft als Quelle von
Glück und Freiheit sah, nicht standzuhalten, so daß eine der ärgsten
Bedrohungen am Ende dieses Jahrhunderts die Versuchung der Verzweiflung
ist.
Es trifft jedoch zu, daß eine bestimmte positivistische Geisteshaltung
weiterhin die Illusion glaubhaft macht, daß dank der
naturwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften der Mensch als
Weltenschöpfer von sich allein aus dahin gelangen könne, sich der völligen
Herrschaft über sein Schicksal zu versichern.
Aktuelle Aufgaben für die
Theologie [92-99]
92. Was das Verständnis der Offenbarung betrifft, so mußte die
Theologie in den unterschiedlichen Geschichtsepochen stets die Ansprüche
der verschiedenen Kulturen aufnehmen, um dann in ihnen mit einer in sich
stimmigen Begrifflichkeit den Glaubensinhalt zu vermitteln. Auch heute hat
sie eine doppelte Aufgabe. Denn sie muß einerseits der Verpflichtung
nachkommen, die ihr das II. Vatikanische Konzil seinerzeit übertragen hat:
Erneuerung ihrer Methoden im Hinblick auf einen wirkungsvolleren Dienst an
der Evangelisierung. Sollte man aus dieser Sicht etwa nicht an die Worte
denken, die von Papst Johannes XXIII. bei der Eröffnung des Konzils
gesprochen worden sind? Er sagte damals: »Es ist notwendig, daß der
lebendigen Erwartung derer, die wahrhaft die christliche, katholische und
apostolische Religion lieben, entsprochen wird und daß diese Lehre in
einer breiteren und tieferen Weise bekannt wird; es ist notwendig, daß die
einzelnen besser gebildet und geformt werden; es ist notwendig, daß diese
sichere und unveränderliche Lehre, die getreu eingehalten werden soll, in
einer Weise vertieft und dargelegt wird, die den Erfordernissen unserer
Zeit entspricht«.
107
Andererseits muß die Theologie die Augen auf die letzte Wahrheit
richten, die ihr mit der Offenbarung anvertraut wird, ohne sich mit einem
Verweilen in Zwischenstadien zufrieden zu geben. Der Theologe tut gut
daran sich zu erinnern, daß seine Arbeit »der Dynamik entspricht, die dem
Glauben selber innewohnt«, und daß das eigentliche Objekt seines Forschens
»die Wahrheit, nämlich der lebendige Gott und sein in Jesus Christus
geoffenbarter Heilsplan« ist.
108 Diese Aufgabe, die in erster Linie die Theologie
angeht, fordert zugleich die Philosophie heraus. Das Ausmaß der Probleme,
die sich heute aufdrängen, erfordert in der Tat eine gemeinsame, wenn auch
mit verschiedenen Methoden durchgeführte Arbeit, damit die Wahrheit wieder
erkannt und zum Ausdruck gebracht wird. Die Wahrheit, die Christus ist,
erscheint nötig als universale Autorität, die sowohl die Theologie als
auch die Philosophie leitet, anregt und wachsen läßt(vgl. Eph 4,
15).
An die Möglichkeit des Erkennens einer allgemeingültigen Wahrheit zu
glauben, ist keineswegs eine Quelle der Intoleranz; im Gegenteil, es ist
die notwendige Voraussetzung für einen ehrlichen und glaubwürdigen Dialog
der Menschen untereinander. Nur unter dieser Voraussetzung ist es möglich,
die trennenden Uneinigkeiten zu überwinden und gemeinsam den Weg zur
ganzen, ungeteilten Wahrheit einzuschlagen, indem wir jenen Pfaden folgen,
die allein der Geist des auferstandenen Herrn kennt.
109
Wie sich die Forderung nach Einheit heute im Hinblick auf die aktuellen
Aufgaben der Theologie konkret gestaltet, möchte ich jetzt aufzeigen.
93. Das Hauptziel, das die Theologie anstrebt, besteht darin, das
Verständnis der Offenbarung und den Glaubensinhalt darzulegen. Der
tatsächliche Mittelpunkt ihrer Reflexion wird darum die Betrachtung des
Geheimnisses vom dreieinigen Gott sein. Zu diesem hat man Zugang, wenn man
über das Mysterium der Inkarnation des Gottessohnes nachdenkt: über seine
Menschwerdung und sein konsequentes Aufsichnehmen von Leiden und Tod, ein
Mysterium, das einmünden wird in seine glorreiche Auferstehung und
Erhöhung zur Rechten des Vaters; von dort wird er den Geist der Wahrheit
aussenden, um seine Kirche zu stiften und zu beseelen. Vorrangige Aufgabe
der Theologie wird vor diesem Horizont das Verständnis der kenosis
Gottes sein, ein wahrhaft großes Geheimnis für den menschlichen Geist, dem
es unhaltbar erscheint, daß Leiden und Tod die Liebe auszudrücken
vermögen, die sich hingibt, ohne etwas dafür einzufordern. Aus dieser
Perspektive ist eine sorgfältige Analyse der Texte grundlegend und
dringend geboten: zuerst der Schrifttexte, dann jener Texte, in denen die
lebendige Überlieferung der Kirche Ausdruck findet. In diesem Zusammenhang
stellen sich heute manche, nur zum Teil neue Probleme, für die man keine
entsprechende Lösung wird finden können, wenn man auf den Beitrag der
Philosophie verzichtet.
94. Ein erster problematischer Aspekt betrifft das Verhältnis von
Bedeutung und Wahrheit. Wie jeder andere Text, so übermitteln auch die
Quellen, die der Theologe auslegt, zunächst eine Bedeutung, die erhoben
und dargelegt werden muß. Nun erscheint diese Bedeutung als die Wahrheit
über Gott, die von Gott selber durch den heiligen Text mitgeteilt wird.
Die Sprache Gottes, der durch den wunderbaren, die Logik der Menschwerdung
widerspiegelnden »Mitabstieg« seine Wahrheit mitteilt, nimmt also in der
menschlichen Sprache Gestalt an.
110 Der Theologe muß sich bei der Auslegung der
Offenbarungsquellen daher fragen, welches die tiefe und unverfälschte
Wahrheit ist, die die Texte, freilich in den Grenzen der Sprache,
mitteilen wollen.
Was die biblischen Texte und besonders die Evangelien betrifft, so
reduziert sich ihre Wahrheit sicher nicht auf die Erzählung einfacher
historischer Geschehnisse oder auf die Enthüllung neutraler Fakten, wie es
der historizistische Positivismus gern hätte.
111 Im Gegenteil, diese Texte berichten von Ereignissen,
deren Wahrheit jenseits des gewöhnlichen geschichtlichen Geschehens liegt:
sie liegt in ihrer Bedeutung in der und für die Heilsgeschichte.
Ihre vollständige Darstellung findet diese Wahrheit in der fortwährenden
Lesung und Deutung, welche die Kirche im Laufe der Jahrhunderte von diesen
Texten vornimmt, wobei sie deren ursprüngliche Bedeutung unverändert
bewahrt. Es ist daher dringend geboten, daß man sich auch philosophisch
nach dem Verhältnis fragt, das zwischen dem Faktum und seiner Bedeutung
besteht; ein Verhältnis, das den besonderen Sinn der Geschichte begründet.
95. Das Wort Gottes wendet sich nicht an ein einziges Volk oder an eine
bestimmte Epoche. In gleicher Weise formulieren die dogmatischen Aussagen,
auch wenn sie bisweilen unter dem Einfluß der Kultur der Zeit stehen, in
der sie definiert werden, eine feststehende und endgültige Wahrheit. Es
erhebt sich also die Frage, wie sich die Absolutheit und Universalität der
Wahrheit mit der unvermeidlichen Abhängigkeit der sie wiedergebenden
Formeln von Geschichte und Kultur versöhnen läßt. Wie ich vorhin sagte,
sind die Ansichten des Historizismus unvertretbar. Hingegen ist die
Anwendung einer Hermeneutik, die für den metaphysischen Anspruch offen
ist, in der Lage zu zeigen, wie sich von den historischen Umständen und
Zufällen her, unter denen die Texte herangereift sind, der Übergang zu der
von ihnen zum Ausdruck gebrachten Wahrheit vollzieht, die diese
Abhängigkeiten hinter sich läßt.
Der Mensch vermag mit Hilfe seiner begrenzten geschichtlichen Sprache
Wahrheiten auszudrücken, die das Sprachereignis transzendieren. Denn die
Wahrheit kann niemals auf die Zeit und die Kultur beschränkt werden; sie
ist in der Geschichte zu erkennen, übersteigt aber diese Geschichte.
96. Diese Überlegung läßt uns die Lösung eines anderen Problems
erahnen: nämlich das Problem der immerwährenden Gültigkeit der in den
Konzilsdefinitionen verwendeten Begriffssprache. Schon mein ehrwürdiger
Vorgänger Pius XII. hat sich in seiner Enzyklika Humani generis mit
dieser Frage auseinandergesetzt.
112
Die Reflexion über dieses Thema fällt nicht leicht, weil man ernsthaft
dem Sinn Rechnung tragen muß, den die Worte in den verschiedenen Kulturen
und in verschiedenen Epochen erhalten. Die Geschichte des Denkens zeigt
allerdings, daß bestimmte Grundbegriffe durch die Entwicklung und die
Vielfalt der Kulturen hindurch ihren universalen Erkenntniswert und somit
die Wahrheit der Sätze, die sie ausdrücken, bewahren.
113 Andernfalls könnten die Philosophie und die
Naturwissenschaften sich nicht untereinander austauschen, noch könnten sie
von Kulturen übernommen werden, die verschieden von jenen sind, in denen
sie erdacht und erarbeitet wurden. Das hermeneutische Problem besteht
also, ist aber lösbar. Der realistische Wert vieler Begriffe schließt im
übrigen nicht aus, daß ihre Bedeutung oft unvollständig ist. Das
philosophische Denken könnte auf diesem Gebiet sehr hilfreich sein. Sein
besonderer Einsatz bei der Vertiefung des Verhältnisses von
Begriffssprache und Wahrheit und beim Angebot geeigneter Wege für ein
richtiges Verständnis dieses Verhältnisses ist daher wünschenswert.
97. Wenngleich die Auslegung der Quellen eine wichtige Aufgabe der
Theologie ist, so gilt ein weiteres, noch schwierigeres und
anspruchsvolleres Bemühen dem Verständnis der geoffenbarten Wahrheit
bzw. dem Prozeß des intellectus fidei. Der intellectus fidei
verlangt, wie ich schon angedeutet habe, den Beitrag einer Philosophie
des Seins, die es vor allem der dogmatischen Theologie erlaubt,
ihre Funktionen auf angemessene Weise auszuüben. Der dogmatische
Pragmatismus vom Anfang dieses Jahrhunderts, wonach die Glaubenswahrheiten
nichts anderes als Verhaltensregeln wären, ist bereits abgelehnt und
zurückgewiesen worden;
114 trotzdem bleibt immer die Versuchung bestehen, diese
Wahrheiten rein funktional zu verstehen. In diesem Fall würde man in ein
unangemessenes und verkürztes Schema verfallen, dem die spekulative
Klarheit fehlt. Eine Christologie zum Beispiel, die einseitig »von unten«
vorginge, wie man heute zu sagen pflegt, oder eine Ekklesiologie, die
ausschließlich nach dem Vorbild bürgerlicher Gesellschaften aufgebaut ist,
könnten die Gefahr einer derartigen Verkürzung kaum vermeiden.
Wenn der intellectus fidei den ganzen Reichtum der theologischen
Überlieferung integrieren soll, muß er sich der Philosophie des Seins
bedienen. Diese Philosophie des Seins wird fähig sein müssen, das Problem
des Seins je nach den Ansprüchen und Beiträgen der ganzen philosophischen
Tradition — auch der aus jüngster Zeit — wieder aufzugreifen; dabei muß
sie aber vermeiden, in blutleere Wiederholungen veralteter Schemata zu
verfallen. Die Philosophie des Seins ist im Rahmen der christlichen
metaphysischen Überlieferung eine dynamische Philosophie, welche die
Wirklichkeit in ihren ontologischen, kausalen und kommunikativen
Strukturen sieht. Sie findet ihre Kraft und Beständigkeit darin, daß sie
sich auf den Seinsakt selber stützt, der die volle und globale Öffnung
gegenüber der ganzen Wirklichkeit gestattet. Dabei überschreitet sie jede
Grenze, bis sie Den erreicht, der allem Vollendung schenkt.
115 In der Theologie, die ihre Prinzipien von der
Offenbarung als neuer Erkenntnisquelle erhält, wird diese Sicht
entsprechend dem engen Verhältnis zwischen Glaube und metaphysischer
Vernünftigkeit bestätigt.
98. Ähnliche Überlegungen lassen sich auch in bezug auf die
Moraltheologie anstellen. Die Wiedergewinnung der Philosophie ist auch
für das Glaubensverständnis, das sich auf das Handeln der Gläubigen
bezieht, dringend nötig. Angesichts der heutigen Herausforderungen auf
sozialem, wirtschaftlichem, politischem und wissenschaftlichem Gebiet ist
das sittliche Gewissen des Menschen desorientiert. In der Enzyklika
Veritatis splendor habe ich hervorgehoben, daß viele der in der
heutigen Welt vorhandenen Probleme einer »Krise um die Wahrheit«
entstammen. »Nachdem die Idee von einer für die menschliche Vernunft
erkennbaren universalen Wahrheit über das Gute verloren gegangen war, hat
sich unvermeidlich auch der Begriff des Gewissens gewandelt; das Gewissen
wird nicht mehr in seiner ursprünglichen Wirklichkeit gesehen, das heißt
als ein Akt der Einsicht der Person, der es obliegt, die allgemeine
Erkenntnis des Guten auf eine bestimmte Situation anzuwenden und so ein
Urteil über das richtige zu wählende Verhalten zu fällen; man stellte sich
darauf ein, dem Gewissen des Einzelnen das Vorrecht zuzugestehen, die
Kriterien für Gut und Böse autonom festzulegen und dementsprechend zu
handeln. Diese Sicht ist nichts anderes als eine individualistische Ethik,
aufgrund welcher sich jeder mit seiner Wahrheit, die von der
Wahrheit der anderen verschieden ist, konfrontiert sieht«.
116
In der gesamten Enzyklika habe ich die fundamentale Rolle, die der
Wahrheit im Bereich der Moral zukommt, klar und deutlich unterstrichen.
Was den Großteil der dringendsten ethischen Probleme betrifft, verlangt
diese Wahrheit von seiten der Moraltheologie ein aufmerksames Nachdenken,
das fähig ist, auf seine Wurzeln im Wort Gottes hinzuweisen. Um diesen
Auftrag erfüllen zu können, muß sich die Moraltheologie einer der Wahrheit
des Guten zugewandten philosophischen Ethik bedienen; einer Ethik also,
die weder subjektivistisch noch utilitaristisch ist. Die erforderliche
Ethik impliziert und setzt eine philosophische Anthropologie und eine
Metaphysik des Guten voraus. Wenn die Moraltheologie diese einheitliche
Auffassung anwendet, die notwendigerweise mit der christlichen Heiligkeit
und mit der Übung der menschlichen und übernatürlichen Tugenden verbunden
ist, wird sie imstande sein, in höchst angemessener und wirksamer Weise
die verschiedenen Probleme anzugehen, für die sie zuständig ist: der
Friede, die soziale Gerechtigkeit, die Familie, die Verteidigung des
Lebens und der Umwelt.
99. Die theologische Arbeit in der Kirche steht zuallererst im Dienst
der Glaubensverkündigung und der Katechese.
117 Die Verkündigung oder das Kerygma ruft zur Umkehr,
indem die Wahrheit Christi dargelegt wird, die im Ostergeheimnis ihren
Höhepunkt erreicht: denn allein in Christus ist es möglich, die Fülle der
rettenden Wahrheit zu erkennen (vgl. Apg 4, 12; 1 Tim 2,
4-6).
In diesem Zusammenhang versteht man gut, warum außer der Theologie auch
dem Bezug zur Katechese eine beträchtliche Bedeutung zukommt: sie
besitzt nämlich philosophische Implikationen, die im Lichte des Glaubens
vertieft werden müssen. Die in der Katechese vermittelte Lehre hat für die
Person eine bildende Wirkung. Die Katechese, die auch sprachliche
Mitteilung ist, muß die Lehre der Kirche in ihrer Vollständigkeit
vorlegen,
118 indem sie deren Ansatzpunkt mit dem Leben der
Gläubigen aufzeigt.
119 So verwirklicht sich eine einzigartige Verbindung
zwischen Lehre und Leben, die andernfalls unmöglich zu erreichen ist. Denn
was in der Katechese mitgeteilt wird, ist nicht eine Sammlung
begrifflicher Wahrheiten, sondern das Geheimnis des lebendigen Gottes.
120
Die philosophische Reflexion kann viel beitragen zur Klärung des
Verhältnisses von Wahrheit und Leben, von Ereignis und lehrmäßiger
Wahrheit. Besonders kann sie zur Klärung der Beziehung zwischen
transzendenter Wahrheit und menschlich verständlicher Sprache beitragen.
121 Die Wechselbeziehung, die zwischen den theologischen
Fächern und den von den verschiedenen philosophischen Strömungen
erreichten Ergebnissen entsteht, vermag also eine wirkliche Fruchtbarkeit
zum Ausdruck zu bringen, was die Vermittlung des Glaubens und sein
tieferes Verständnis anbelangt.
SCHLUSS
100. Mehr als hundert Jahre seit der Veröffentlichung der Enzyklika
Æterni Patris Leos XIII., auf die ich auf diesen Seiten wiederholt
Bezug genommen habe, schien es mir geboten, die Auseinandersetzung mit dem
Thema des Verhältnisses von Glaube und Vernunft auf eher systematische
Weise wiederaufzunehmen. Welche Bedeutung dem philosophischen Denken bei
der Entfaltung der Kulturen und bei der Orientierung des persönlichen und
sozialen Verhaltens zukommt, ist offenkundig. Auch auf die Theologie und
ihre verschiedenen Disziplinen übt das philosophische Denken einen starken
Einfluß aus, auch wenn dieser nicht immer explizit wahrgenommen wird. Ich
habe es aus vielen Gründen für richtig und notwendig gehalten, den Wert
der Philosophie für das Glaubensverständnis ebenso zu unterstreichen wie
die Grenzen, an die sie stößt, wenn sie die Offenbarungswahrheiten vergißt
oder zurückweist. Denn die Kirche hält zutiefst an ihrer Überzeugung fest,
daß sich Glaube und Vernunft »wechselseitig Hilfe leisten können«,
122 indem sie füreinander eine Funktion sowohl
kritisch-reinigender Prüfung als auch im Sinne eines Ansporns ausüben, auf
dem Weg der Suche und Vertiefung voranzuschreiten.
101. Wenn wir unseren Blick auf die Geschichte vor allem des
abendländischen Denkens richten, läßt sich leicht erkennen, welcher
Reichtum für den Fortschritt der Menschheit aus der Begegnung zwischen
Philosophie und Theologie und aus dem Austausch ihrer jeweiligen
Errungenschaften hervorgegangen ist. Die Theologie, die eine Offenheit und
Originalität geschenkt bekommen hat, denen sie ihre Existenzberechtigung
als Wissenschaft vom Glauben verdankt, hat mit Sicherheit die Vernunft
dazu veranlaßt, gegenüber der radikalen Neuheit offen zu bleiben, wie sie
die Offenbarung Gottes darstellt. Das war zweifellos von Vorteil für die
Philosophie, die erlebt hat, daß sich auf diese Weise neue Horizonte über
weitere Bedeutungen erschließen, die zu vertiefen die Vernunft berufen
ist.
Im Lichte dieser Feststellung halte ich es — wie ich die Aufgabe der
Theologie, ihr wahres Verhältnis zur Philosophie wiederherzustellen,
betont habe — für meine Pflicht, die Notwendigkeit zu unterstreichen, daß
um des Wohles und Fortschrittes des Denkens willen auch die Philosophie
ihre Beziehung zur Theologie zurückgewinnen soll. Die Philosophie wird in
der Theologie nicht die Überlegung des einzelnen Individuums finden, die,
so tief und reich sie sein mag, immer auch die dem Denken eines Einzelnen
eigenen perspektivischen Grenzen aufweist, sondern den Reichtum eines
gemeinsamen Nachdenkens. Denn die Theologie stützt sich von ihrem Wesen
her bei der Erforschung der Wahrheit auf das Merkmal der Kirchlichkeit
123 und auf die Tradition des Gottesvolkes mit ihrer
Vielfalt an Wissen und Kulturen in der Einheit des Glaubens.
102. Während die Kirche so immer wieder auf die Bedeutung und die
wahren Dimensionen des philosophischen Denkens zurückkommt, fördert sie
zugleich sowohl die Verteidigung der Menschenwürde wie auch die
Verkündigung der Botschaft, die das Evangelium enthält. Denn die dringend
notwendige Vorbereitung auf diese Aufgaben besteht heute darin, die
Menschen zur Entdeckung ihrer Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis
124 und ihrer Sehnsucht nach einem letzten, endgültigen
Sinn des Daseins zu führen. In der Sicht dieser tiefen, der menschlichen
Natur von Gott eingeschriebenen Bedürfnisse gewinnt auch die Bedeutung des
Wortes Gottes deutlicher sichtbare Konturen: sie ist menschlich und macht
menschlicher. Dank der Vermittlung einer zu echter Weisheit gewordenen
Philosophie wird der heutige Mensch allmählich erkennen können, daß er um
so mehr Mensch sein wird, je mehr er sich, im Vertrauen auf das
Evangelium, Christus öffnet.
103. Zudem ist die Philosophie gleichsam der Spiegel, in dem sich die
Kultur der Völker niederschlägt. Eine Philosophie, die sich unter der
Herausforderung der theologischen Ansprüche in Übereinstimmung mit dem
Glauben entfaltet, gehört zu jener »Evangelisierung der Kultur«, die Paul
VI. zu einem der Hauptziele der Evangelisierung erklärt hat.
125 Während ich nicht müde werde, auf die Dringlichkeit
einer Neuevangelisierung hinzuweisen, rufe ich die Philosophen auf,
die Dimensionen des Wahren, Guten und Schönen, zu denen das Wort Gottes
hinführt, zu vertiefen. Das wird um so dringender, wenn man die
Herausforderungen berücksichtigt, die das neue Jahrtausend mitzubringen
scheint: sie betreffen in besonderer Weise die Regionen und Kulturen alter
christlicher Tradition. Darauf zu achten, darf als ein grundlegender und
origineller Beitrag auf dem Weg der Neuevangelisierung angesehen werden.
104. Das philosophische Denken ist oft das einzige Terrain für
Verständigung und Dialog mit denen, die unseren Glauben nicht teilen. Die
philosophische Bewegung der heutigen Zeit verlangt den aufmerksamen und
kompetenten Einsatz gläubiger Philosophen, die fähig sind, die
Erwartungen, Öffnungen und Problemstellungen dieses geschichtlichen
Augenblicks zu erfassen. Während der christliche Philosoph im Lichte der
Vernunft und nach ihren Regeln argumentiert, sich dabei aber immer von dem
weitergehenden Verständnis leiten läßt, das ihm das Wort Gottes schenkt,
kann er eine Überlegung entwickeln, die auch für den verständlich und
wahrnehmbar sein wird, der die volle Wahrheit, die die göttliche
Offenbarung kundtut, noch nicht begreift. Dieses Terrain von Verständigung
und Dialog ist heute um so wichtiger, da die Probleme, die sich der
Menschheit immer dringender stellen — man denke an die Probleme der
Umwelt, des Friedens oder des Zusammenlebens von Rassen und Kulturen —,
eine mögliche Lösung finden im Licht einer klaren, ehrlichen
Zusammenarbeit der Christen mit den Gläubigen anderer Religionen und mit
allen, denen die Erneuerung der Menschheit am Herzen liegt, selbst wenn
sie keinen religiösen Glauben teilen. Das hat das II. Vatikanische Konzil
ausgesprochen: »Der Wunsch nach einem solchen Dialog, geführt einzig aus
Liebe zur Wahrheit und unter Wahrung angemessener Diskretion, schließt
unsererseits niemanden aus, weder jene, die hohe Güter der Humanität
pflegen, deren Urheber aber noch nicht anerkennen, noch jene, die Gegner
der Kirche sind und sie auf verschiedene Weise verfolgen«.
126 Eine Philosophie, in der etwas von der Wahrheit
Christi, der einzigen endgültigen Antwort auf die Probleme des Menschen,
127 zum Leuchten kommt, wird eine wirksame Stütze für
jene wahre und zugleich weltweite Ethik sein, die die Menschheit heute
braucht.
105. Es drängt mich, diese Enzyklika mit einem letzten Gedanken
abzurunden, mit dem ich mich vor allem an die Theologen wende,
damit sie den philosophischen Implikationen des Wortes Gottes besondere
Aufmerksamkeit schenken und eine Überlegung anstellen, aus der sich die
spekulative und praktische Substanz der theologischen Wissenschaft ergibt.
Ich möchte ihnen für ihren kirchlichen Dienst danken. Die engen Bande
zwischen der theologischen Weisheit und dem philosophischen Wissen ist
einer der ursprünglichsten Schätze christlicher Tradition bei der
Vertiefung der geoffenbarten Wahrheit. Darum fordere ich sie auf, die
metaphysische Dimension der Wahrheit wiederzugewinnen und besser
herauszustellen, um so in einen kritischen und anspruchsvollen Dialog
einzutreten sowohl mit dem philosophischen Denken unserer Zeit wie auch
mit der gesamten philosophischen Tradition, ob sie nun im Einklang mit dem
Wort Gottes oder aber im Gegensatz zu ihm steht. Sie sollen sich stets die
Anleitung eines großen Meisters des Denkens und der Spiritualität vor
Augen halten, des hl. Bonaventura, der den Leser, den er in sein
Itinerarium mentis in Deum einführte, darum bat, sich im klaren zu
sein, daß »Lesung ohne Reue, Erkenntnis ohne Frömmigkeit, Suchen ohne den
Überschwang des Staunens, Klugheit ohne die Fähigkeit zur Hingabe an die
Freude, Tätigkeit losgelöst von der Religiosität, Wissen getrennt von der
Liebe, Intelligenz ohne Demut, Studium ohne den Halt der göttlichen Gnade,
Nachdenken ohne die von Gott inspirierte Weisheit — daß all das nicht
ausreicht«.
128
Mein Gedanke gilt auch allen, denen die Verantwortung für die
Priesterausbildung sowohl in akademischer als auch in pastoraler
Hinsicht obliegt: Sie mögen sich mit besonderer Aufmerksamkeit um die
philosophische Ausbildung derer kümmern, die künftig dem Menschen von
heute das Evangelium verkünden sollen, und noch mehr derer, die sich
später der Forschung und Lehre der Theologie widmen werden. Sie mögen sich
bemühen, ihre Arbeit nach den Vorschriften des II. Vatikanischen Konzils
129 und der nachfolgenden Verfügungen zu vollziehen, aus
denen die unabdingbare und dringende Aufgabe hervorgeht, zu der wir alle
berufen sind: beizutragen zu einer unverfälschten und gründlichen
Vermittlung der Glaubenswahrheit. Nicht zu vergessen ist die hohe
Verantwortung für eine angemessene Vorbereitung des Lehrkörpers, dem der
Philosophieunterricht an den Priesterseminarien und kirchlichen Fakultäten
anvertraut werden soll.
130 Eine solche Lehrtätigkeit setzt natürlich eine
entsprechende wissenschaftliche Ausbildung voraus; sie muß systematisch
erfolgen, wenn sie das große Erbe der christlichen Tradition vorlegt, und
sie muß angesichts der aktuellen Bedürfnisse von Kirche und Welt mit
gebührendem Unterscheidungsvermögen wahrgenommen werden.
106. Mein Appell richtet sich außerdem an die Philosophen und an
alle, die Philosophie lehren: Sie mögen in Anbetracht einer ewig
gültigen philosophischen Tradition den Mut haben, die Dimensionen echter
Weisheit und auch metaphysischer Wahrheit des philosophischen Denkens
zurückzugewinnen. Sie mögen Anfragen, die von aus dem Wort Gottes
entspringenden Forderungen erhoben werden, an sich herankommen lassen und
die Kraft haben, ihre rationale Argumentation in Beantwortung dieser
Anfragen vorzunehmen. Sie mögen sich immer nach der Wahrheit ausstrecken
und auf das Gute achten, das das Wahre enthält. Auf diese Weise werden sie
jene unverfälschte Ethik formulieren können, welche die Menschheit
besonders in der heutigen Zeit so dringend braucht. Die Kirche verfolgt
die Forschungen der Philosophen mit Aufmerksamkeit und Sympathie; sie
können daher sicher sein, daß die Kirche die berechtigte Selbständigkeit
ihrer Wissenschaft stets achten wird. Besonders ermutigen möchte ich die
Gläubigen, die auf dem Gebiet der Philosophie tätig sind: sie sollen die
verschiedenen Bereiche menschlicher Tätigkeit erleuchten, indem sie eine
Vernunft gebrauchen, die, vom Glauben unterstützt, noch sicherer und
scharfsinniger wird.
Schließlich muß ich auch noch ein Wort an die Naturwissenschaftler
richten, die uns durch ihre Forschungen wachsende Kenntnis vermitteln
vom gesamten Universum und von der unglaublich reichen Vielfalt seiner
belebten und unbelebten Bestandteile mit ihren komplexen atomaren und
molekularen Strukturen. Der Weg, den sie zurückgelegt haben, ist besonders
in diesem Jahrhundert an Ziele gestoßen, die uns noch immer in Erstaunen
versetzen. Wenn ich diesen mutigen Pionieren der wissenschaftlichen
Forschung, denen die Menschheit in hohem Maße ihre derzeitige Entwicklung
zu verdanken hat, meine Bewunderung und Ermutigung ausspreche, fühle ich
mich gleichzeitig verpflichtet, sie aufzufordern, in ihren Bemühungen
fortzufahren und dabei stets in jenem Weisheitshorizont zu bleiben,
in dem die naturwissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften
von den philosophischen und sittlichen Werten flankiert sind. Diese Werte
sind der charakteristische und unverzichtbare Ausdruck der menschlichen
Person. Der Wissenschaftler ist sich wohl bewußt, daß »die Suche nach der
Wahrheit, auch wenn sie eine begrenzte Wirklichkeit der Welt oder des
Menschen betrifft, nie ans Ende kommt, sondern immer zu etwas hinführt,
das über dem unmittelbaren Forschungsgegenstand liegt; sie führt zu
Fragen, die den Zugang zum Geheimnis ermöglichen«.
131
107. Alle bitte ich, sich intensiv um den Menschen, den Christus
im Geheimnis seiner Liebe gerettet hat, und um sein ständiges Suchen nach
Wahrheit und Sinn zu kümmern. Verschiedene philosophische Systeme haben
ihn durch Täuschung überzeugt, daß er sein absolut eigener Herr sei, der
autonom über sein Schicksal und seine Zukunft entscheiden könne, wenn er
ausschließlich auf sich selbst und seine Kräfte vertraut. Das wird niemals
die Größe des Menschen ausmachen können. Bestimmend für seine
Verwirklichung wird nur die Entscheidung sein, sich dadurch in die
Wahrheit einzufügen, daß er im Schatten der Weisheit seine Wohnung
errichtet und in ihr wohnen bleibt. Erst in diesem Wahrheitshorizont wird
er begreifen, wie sich seine Freiheit im Vollsinn entfaltet und daß er zur
Liebe und zur Erkenntnis Gottes berufen ist. Darin liegt seine höchste
Selbstverwirklichung.
108. Mein letzter Gedanke gilt derjenigen, die das Gebet der Kirche als
Sitz der Weisheit anruft. Ihr Leben ist ein wahres Gleichnis, daß
den zurückgelegten Weg meiner Überlegung zu erleuchten vermag. Denn es
läßt sich ein tiefer Einklang erahnen zwischen der Berufung der seligen
Jungfrau Maria und der Berufung echter Philosophie. Wie die Jungfrau
berufen wurde, ihr ganzes Sein als Mensch und Frau darzubringen, damit das
Wort Gottes Fleisch und einer von uns werden konnte, so ist die
Philosophie berufen, ihre kritische Vernunftarbeit zu leisten, damit die
Theologie als Verständnis des Glaubens fruchtbar und wirksam sei. Wie
Maria durch ihre Zustimmung zu der von Gabriel verkündeten Botschaft
nichts von ihrem wahren Menschsein und ihrer Freiheit eingebüßt hat, so
verliert das philosophische Denken nichts von seiner Autonomie, wenn es
sich der Anfrage stellt, die von der Wahrheit des Evangeliums kommt. Das
philosophische Denken erlebt vielmehr, daß sein ganzes Forschen zur
höchsten Verwirklichung angespornt wird. Diese Wahrheit haben die heiligen
Mönche des christlichen Altertums sehr gut verstanden, wenn sie Maria
»den geistigen Tisch des Glaubens«
132 nannten. In ihr erblickten sie das stimmige Abbild
der Philosophie und waren überzeugt, sie müßten in Maria philosophieren
[philosophari in Maria].
Möge der Sitz der Weisheit der sichere Hafen für alle sein, die ihr
Leben zur Suche nach der Weisheit machen. Möge der Weg zur Weisheit, dem
letzten und glaubwürdigen Ziel jedes wahren Wissens, von jedem Hindernis
befreit werden. Dafür rufen wir die Fürsprache derjenigen an, die der
ganzen Menschheit für immer die Wahrheit dadurch mitgeteilt hat, daß sie
sie hervorgebracht und in ihrem Herzen bewahrt hat.
Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 14. September, dem Fest
Kreuzerhöhung, des Jahres 1998, dem zwanzigsten meines Pontifikates.
1 Das schrieb ich bereits in
meiner ersten Enzyklika Redemptor hominis: »So sind wir also
Teilhaber an dieser prophetischen Sendung Christi geworden, und aus der
Kraft der gleichen Sendung dienen wir zusammen mit ihm der göttlichen
Wahrheit in der Kirche. Die Verantwortung für eine solche Wahrheit
bedeutet auch, sie zu lieben und möglichst genau zu verstehen zu suchen,
damit sie uns selbst und den anderen in aller ihrer erlösenden Kraft, in
ihrem hellen Glanz, in ihrer Tiefe und zugleich Einfachheit immer
vertrauter wird«, Nr. 19: AAS 71 (1979), 306.
2 Vgl. II. Vat. Konzil,
Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et
spes, 16.
3 Dogmatische Konstitution
über die Kirche Lumen gentium, 25.
4 Nr. 4: AAS 85
(1993), 1136.
5 II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
2.
6 Vgl. Dogmatische
Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius, Kap. III: DS
3008.
7 Ebd., Kap. IV: DS
3015; zitiert auch in II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution über die
Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 59.
8 Dogmatische Konstitution
über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 2.
9 Apostolisches Schreiben
Tertio millennio adveniente (10. November 1994), 10: AAS 87
(1995), 11.
10 Nr. 4.
11 Nr. 8.
12 Nr. 22.
13 Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
4.
14 Ebd., 5.
15 Das I. Vatikanische
Konzil, auf das der oben angeführte Satz Bezug nimmt, lehrt, daß der
Gehorsam des Glaubens die Aufbietung des Verstandes und des Willens
erfordert: »Da der Mensch ganz von Gott als seinem Schöpfer und Herrn
abhängt und die geschaffene Vernunft der ungeschaffenen Wahrheit völlig
unterworfen ist, sind wir gehalten, dem offenbarenden Gott im Glauben
vollen Gehorsam des Verstandes und des Willens zu leisten« (Dogmatische
Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius, Kap. III:
DS 3008).
16 Vgl. Sequenz am
Fest des heiligsten Leibes und Blutes Christi.
17 Pensées, 789 (ed.
L. Brunschvicg).
18 II. Vat. Konzil,
Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et
spes, 22.
19 Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
2.
20 Proslogion,
Proemium und Nr. 1.15: PL 158, 223-224.226; 235.
21 De vera religione,
XXXIX, 72: CCL 32, 234.
22 »Ut te semper desiderando
quaererent et inveniendo quiescerent«: Missale Romanum.
23 Aristoteles, Metaphysik,
I,1.
24 Bekenntnisse, X,
23, 33: CCL 27, 173.
25 Nr. 34: AAS 85
(1993), 1161.
26 Vgl. Johannes Paul II.,
Apostolisches Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), 9:
AAS 76 (1984), 209-210.
27 Vgl. II. Vat. Konzil,
Erklärung über die Beziehungen der Kirche zu den nichtchristlichen
Religionen Nostra aetate, 2.
28 Von dieser von mir seit
langem verfolgten Argumentation habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten
gesprochen: »“Was ist der Mensch, und wozu nützt er? Was ist gut an ihm
und was ist schlecht?” (Sir 18, 8)... Diese Fragen trägt jeder
Mensch im Innersten seines Herzens, wie der dichterische Genius aller
Zeiten und Völker beweist, der wie eine Prophezeiung der Menschheit immer
wieder die ernste Frage stellt, die den Menschen erst wirklich zum
Menschen macht. Sie drücken die Dringlichkeit aus, einen Grund für das
Dasein zu finden, für jeden seiner Augenblicke, für die wichtigen und
entscheidenden Perioden ebenso wie für den gewöhnlichen Alltag. In diesen
Fragen bestätigt sich die tiefe Vernünftigkeit des menschlichen Daseins,
denn Verstand und Wille des Menschen werden hier angeregt, in Freiheit
nach einer Lösung zu suchen, die dem Leben einen vollen Sinn zu bieten
vermag. Diese Fragen stellen daher den erhabensten Ausdruck der Natur des
Menschen dar: Infolgedessen ist die Antwort auf sie der Maßstab für die
Tiefe, mit der er sein Dasein bewältigt. Besonders wenn man bei der Suche
nach der letzten und erschöpfendsten Antwort den Grund der Dinge
vollständig erforschen will, erreicht die menschliche Vernunft ihren
Gipfel und öffnet sich dem Religiösen. Denn die Religiosität stellt die
erhabenste Äußerung der menschlichen Person dar, weil sie der Höhepunkt
ihrer Natur als Vernunftwesen ist. Sie entspringt der tiefen Sehnsucht des
Menschen nach der Wahrheit und liegt seinem freien und persönlichen Suchen
nach dem Göttlichen zugrunde« Generalaudienz am 19. Oktober 1983, 1-2, in:
Insegnamenti VI, 2 (1983), 814-815.
29 »[Galilei] hat
ausdrücklich erklärt, daß die beiden Wahrheiten, die Wahrheit des Glaubens
und die Wahrheit der Wissenschaft, niemals einander widersprechen können,
“da die Heilige Schrift und die Natur gleichermaßen dem göttlichen Wort
entspringen, jene als diktiert vom Heiligen Geist, diese als getreue
Vollstreckerin der Anordnungen Gottes”, wie er in seinem Brief an P.
Benedetto Castelli am 21. Dezember 1613 schrieb. Das II. Vatikanische
Konzil drückt sich nicht anders aus; ja, es nimmt die gleiche
Ausdrucksweise wieder auf, wenn es lehrt: “Vorausgesetzt, daß die
methodische Forschung in allen Wissensbereichen in einer wirklichen
wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit vorgeht,
wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die
Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in demselben
Gott ihren Ursprung haben” (Gaudium et spes, 36). Galilei fühlt bei
seiner wissenschaftlichen Forschung die Gegenwart des Schöpfers, der ihn
anspornt, seinen Eingebungen zuvorkommt und beisteht, indem er in der
Tiefe seines Geistes wirkt«. Johannes Paul II. Ansprache an die Päpstliche
Akademie der Wissenschaften, 10. November 1979: Insegnamenti, II, 2
(1979), 1111-1112.
30 Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
4.
31 Contra Celsum, 3,
55: SC 136, 130.
32 Dialog mit Triphon,
8, 1: PG 6, 492.
33 Stromata, I, 18,
90: SC 30, 115.
34 Vgl. ebd., I, 16,
80, 5: SC 30, 108.
35 Vgl. ebd., I, 5,
28, 1: SC 30, 65.
36 Ebd., VI, 7, 55,
1-2: PG 9, 277.
37 Ebd., I, 20, 100,
1: SC 30, 124.
38 Hl. Augustinus,
Confessiones VI, 5, 7: CCL 27, 77-78.
39 Vgl. ebd., VII, 9,
13-14: CCL 27, 101-102.
40 De praescriptione
haereticorum, VII, 9: SC 46, 98: »Quid ergo Athenis et
Hierosolymis? Quid academiae et ecclesiae?«.
41 Vgl. Kongregation für das
Katholische Bildungswesen, Instruktion über das Studium der Kirchenväter
in der Priesterausbildung (10. November 1989), 25: AAS 82 (1990),
617-618.
42 Hl. Anselm, Proslogion,
1: PL 158, 226. »Ich bin geschaffen worden, um dich zu schauen; und
ich habe noch nicht getan, wozu ich geschaffen worden bin«.
43 Ders., Monologion,
64: PL 158, 210.
44 Vgl. Hl. Thomas von Aquin,
Summa contra Gentiles, I, VII.
45 Vgl. ders., Summa
Theologiae, I, 1, 8 ad 2: »cum enim gratia non tollat naturam sed
perficiat«.
46 Vgl. Johannes Paul II.,
Ansprache an die Teilnehmer am IX. Internationalen Thomas-Kongreß (29.
September 1990): Insegnamenti, XIII, 2 (1990), 770-771.
47 Apostolisches Schreiben
Lumen Ecclesiae (20. November 1974), 8: AAS 66 (1974), 680.
48 Vgl. I, 1, 6: »Praeterea,
haec doctrina per studium acquiritur. Sapientia autem per infusionem
habetur, unde inter septem dona Spiritus Sancti connumeratur«.
49 Ebd., II, II, 45, 1
ad 2; vgl. auch II, II, 45, 2.
50 Ebd., I, II, 109, 1
ad 1, greift den bekannten Satz des Ambrosiaster auf, In prima
Cor 12, 3: PL 17, 258: “Alles Wahre, wer auch immer es sagt,
ist vom Heiligen Geist”.
51 Leo XIII., Enzyklika
Æterni Patris (4. August 1879): AAS 11 (1878-1879), 109.
52 Paul VI., Apostol.
Schreiben Lumen Ecclesiae (20. November 1974), 8: AAS 66
(1974), 683.
53 Enzyklika Redemptor
hominis (4. März 1979), 15: AAS 71 (1979), 286.
54 Vgl. Pius XII., Enzyklika
Humani generis (12. August 1950): AAS 42 (1950), 566.
55 Vgl. I. Vat. Konzil, Erste
Dogmatische Konstitution über die Kirche Christi Pastor aeternus,
DS 3070; II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche
Lumen gentium, 25c.
56 Vgl. Synode von
Konstantinopel, DS 403.
57 Vgl. I. Konzil von Toledo,
DS 205; I. Konzil von Braga, DS 459-460; Sixtus V., Bulle
Coeli et terrae Creator (5. Januar 1586): Bullarium Romanum
4/4, Romae 1747, 176-179; Urban VIII., Inscrutabilis iudiciorum (1.
April 1631): Bullarium Romanum 6/1, Romae 1758, 268-270.
58 Vgl. Konzil von Vienne,
Dekret Fidei catholicae, DS 902; V. Laterankonzil, Bulle
Apostolici regiminis: DS 1440.
59 Vgl. Theses a Ludovico
Eugenio Bautain iussu sui Episcopi subscriptae (8. September 1840),
DS 2751-2756; Theses a Ludovico Eugenio Bautain ex mandato S.
Congr. Episcoporum et Religiosorum subscriptae (26. April 1844), DS
2765-2769.
60 Vgl. Hl.
Indexkongregation, Dekret Theses contra traditionalismum Augustini
Bonnetty (11. Juni 1855), DS 2811-2814.
61 Vgl. Pius IX., Breve
Eximiam tuam (15. Juni 1857), DS 2828-2831; Breve
Gravissimas inter (11. Dezember 1862), DS 2850-2861.
62 Vgl. Kongregation des Hl.
Offiziums, Dekret Errores ontologistarum (18. September 1861),
DS 2841-2847.
63 Vgl. I. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius,
II: DS 3004; und can. 2.1: DS 3026.
64 Ebd., IV: DS
3015, zitiert in: II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in
der Welt von heute Gudium et spes, 59.
65 I. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius,
IV: DS 3017.
66 Vgl. Enzyklika Pascendi
dominici gregis (8. September 1907): AAS 40 (1907), 596-597.
67 Vgl. Pius XI., Enzyklika
Divini Redemptoris (19. März 1937): AAS 29 (1937), 65-106.
68 Enzyklika Humani
generis (12. August 1950): AAS 42 (1950), 562-563.
69 Ebd., aaO.,
563-564.
70 Vgl. Johannes Paul II.,
Apostolische Konstitution Pastor Bonus (28. Juni 1988), Art. 48-49:
AAS 80 (1988), 873; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion
über die kirchliche Berufung des Theologen Donum veritatis (24. Mai
1990), 18: AAS 82 (1990), 1558.
71 Vgl. Instruktion über
einige Aspekte der »Theologie der Befreiung« Libertatis nuntius (6.
August 1984), VII-X: AAS 76 (1984), 890-903.
72 Das I. Vatikanische Konzil
hatte mit ebenso klaren wie gebieterischen Worten diesen Irrtum bereits
verurteilt, indem es einerseits sagte: »Dieser Glaube aber [...] ist nach
dem Bekenntnis der katholischen Kirche eine übernatürliche Tugend, durch
die wir mit Unterstützung und Hilfe der Gnade Gottes glauben, daß das von
ihm Geoffenbarte wahr ist, nicht etwa wegen der vom natürlichen Licht der
Vernunft durchschauten inneren Wahrheit der Dinge, sondern wegen der
Autorität des offenbarenden Gottes selbst, der weder sich täuschen noch
täuschen kann«: Dogmatische Konstitution Dei Filius, III: DS
3008, und can. 3, 2: DS 3032. Andererseits erklärte das Konzil, daß
die Vernunft niemals »dazu befähigt wird, sie [diese Geheimnisse] genauso
zu durchschauen wie die Wahrheiten, die ihren eigentlichen
(Erkenntnis)gegenstand ausmachen«: ebd., IV: DS 3016. Daraus
zog es die praktische Folgerung: »Deswegen ist nicht nur allen gläubigen
Christen verboten, solche Meinungen, von denen man erkennt, daß sie der
Lehre des Glaubens entgegengesetzt sind — vor allem, wenn sie von der
Kirche verworfen wurden —, als rechtmäbige Folgerungen der Wissenschaft zu
verteidigen, sondern sie sind vielmehr durchaus verpflichtet, sie für
Irrtümer zu halten, die den trügerischen Schein von Wahrheit vor sich
hertragen«: ebd., IV: DS 3018.
73 Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
Nr. 9-10.
74 Ebd., 10.
75 Ebd., 21.
76 Vgl. ebd., 10.
77 Vgl. Enzyklika Humani
generis (12. August 1950): AAS 42 (1950), 565-567; 571-573.
78 Vgl. Enzyklika Æterni
Patris (4. August 1879): AAS 11 (1878-1879), 97-115.
79 Ebd., aaO., 109.
80 Vgl. II. Vat. Konzil,
Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes,
14-15.
81 Vgl. ebd., 20-21.
82 Ebd., 22; vgl.
Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 8:
AAS 71 (1979), 271-272.
83 II. Vat. Konzil, Dekret
über die Priesterausbildung Optatam totius, 15.
84 Vgl. Johannes Paul II.,
Apostol. Konstitution Sapientia christiana (15. April 1979), Art.
79-80: AAS 71 (1979), 495-496; Nachsynodales Apostolisches
Schreiben Pastores dabo vobis (25. März 1992), 52: AAS 84
(1992), 750-751. Vgl. auch einige Kommentare zur Philosophie des hl.
Thomas: Ansprache an die Päpstliche Internationale Universität
Angelicum (17. November 1979): Insegnamenti II, 2 (1979),
1177-1189; Ansprache an die Teilnehmer am VIII. Internationalen
Thomistischen Kongreß (13. September 1980): Insegnamenti III, 2
(1980), 604-615; Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Kongreß
der »Sankt Thomas«-Gesellschaft (4. Januar 1986): Insegnamenti
IX, 1 (1986), 18-24. Ferner: Hl. Kongregation für die Katholische
Erziehung, Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (6.
Januar 1970), 70-75: AAS 62 (1970), 366-368; Dekret Sacra
Theologia (20. Januar 1972): AAS 64 (1972), 583-586.
85 Vgl. Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 57; 62.
86 Vgl. ebd., 44.
87 Vgl. V. Laterankonzil,
Bulle Apostolici regimini sollicitudo, sessio VIII: Conc. Oecum.
Decreta, 1991, 605-606.
88 Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
10.
89 Hl. Thomas von Aquin,
Summa Theologiae, II-II, 5, 3 ad 2.
90 »Die Erforschung der
Bedingungen, unter denen der Mensch von sich aus die ersten grundlegenden
Fragen stellt nach dem Sinn des Lebens, nach dem Ziel, das er ihm geben
will, und nach dem, was ihn nach dem Tod erwartet, bildet für die
Fundamentaltheologie den notwendigen Vorspann, damit auch heute der Glaube
der Vernunft in ihrer aufrichtigen Suche nach der Wahrheit voll den Weg
weisen kann«: Johannes Paul II., Schreiben an die Teilnehmer an dem
internationalen Kongreß für Fundamentaltheologie zum 125. Jahrestag der
Veröffentlichung von “Dei Filius” (30. September 1995), 4:
L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1995, S. 8.
91 Ebd.
92 Vgl. II. Vat. Konzil,
Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et
spes, 15; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes,
22.
93 Hl. Thomas von Aquin,
De Caelo, 1, 22.
94 Vgl. II. Vat. Konzil,
Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et
spes, 53-59.
95 Hl. Augustinus, De
praedestinatione sanctorum, 2, 5: PL 44, 963.
96 Ders., De fide, spe et
caritate, 7: CCL 64, 61.
97 Vgl. Konzil von Chalkedon,
Symbolum, Definitio: DS 302.
98 Vgl. Johannes Paul II.,
Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 15: AAS 71
(1979), 286-289.
99 Vgl. z.B. Hl. Thomas von
Aquin, Summa Theologiae, I, 16, 1; Hl. Bonaventura, Coll. in
Hex., 3, 8, 1.
100 Pastoralkonstitution über
die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 15.
101 Vgl. Johannes Paul II.,
Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993), 57-61: AAS 85
(1993), 1179-1182.
102 Vgl. I. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius,
IV: DS 3016.
103 Vgl. IV. Laterankonzil,
De errore abbatis Ioachim, II: DS 806.
104 Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
24; Dekret über die Priesterausbildung Optatam totius, 16.
105 Vgl. Johannes Paul II.,
Evangelium vitae (25. März 1998), 69: AAS 87 (1995), 481.
106 Im selben Sinn schrieb
ich in meiner ersten Enzyklika zur Erläuterung des Wortes aus dem
Johannesevangelium: “Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit
wird euch frei machen” (8, 32): »Diese Worte schließen eine wesentliche
Forderung und zugleich eine Ermahnung ein: die Forderung eines ehrlichen
Verhältnisses zur Wahrheit als Bedingung einer authentischen Freiheit; und
auch die Ermahnung, daß jede nur scheinbare Freiheit, jede oberflächliche
und einseitige Freiheit und jede Freiheit, die nicht von der ganzen
Wahrheit über den Menschen und die Welt geprägt ist, vermieden werde. Auch
heute, nach zweitausend Jahren, erscheint uns Christus als der, der dem
Menschen die Freiheit bringt, die auf der Wahrheit begründet ist, als der,
der den Menschen befreit von allem, was diese Freiheit in der Seele des
Menschen, in seinem Herzen und in seinem Gewissen beschränkt, schmälert
und gleichsam von den Ursprüngen selbst trennt«: Enzyklika Redemptor
hominis (4. März 1979), 12: AAS 71 (1979), 280-281.
107 Ansprache zur
Eröffnung des Konzils (11. Oktober 1962): AAS 54 (1962), 792.
108 Kongregation für die
Glaubenslehre, Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen
Donum veritatis (24. Mai 1990), 7-8: AAS 82 (1990), 1552-1553.
109 Indem ich Joh 16, 12-13
kommentierte, habe ich in der Enzyklika Dominum et vivificantem
geschrieben: »Jesus stellt den Beistand, den Geist der Wahrheit, als
denjenigen dar, der “lehren” und “erinnern” wird, der für ihn “Zeugnis
ablegen” wird; jetzt sagt er: “Er wird euch in die ganze Wahrheit führen”.
Dieses “Einführen in die Wahrheit” im Hinblick auf das, was die Apostel
jetzt noch nicht tragen können, hängt notwendigerweise mit der
Entäußerung Christi durch Leiden und Tod am Kreuz zusammen, die
damals, als diese Worte gesprochen wurden, kurz bevorstand. Dann wird
jedoch deutlich, daß dieses “Einführen in die ganze Wahrheit” sich nicht
nur auf das “scandalum crucis” bezieht, sondern auch auf alles, was
Christus “getan und gelehrt hat” (Apg 1, 1). Denn das gesamte
Mysterium Christi erfordert den Glauben, weil dieser es ist, der den
Menschen auf angemessene Weise in die Wirklichkeit des geoffenbarten
Geheimnisses einführt. Die “Einführung in die ganze Wahrheit” verwirklicht
sich also im Glauben und mit Hilfe des Glaubens: Sie ist das Werk des
Geistes der Wahrheit und die Frucht seines Wirkens im Menschen. Der
Heilige Geist muß hierbei der oberste Führer des Menschen, das Licht des
menschlichen Geistes sein«: Nr. 6: AAS 78 (1986), 815-816.
110 Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
13.
111 Vgl. Päpstliche
Bibelkommission (21. April 1994): Instruktion über die historische
Wahrheit der Evangelien: AAS 56 (1964), 713.
112 »Es ist klar, daß sich
die Kirche nicht an ein beliebiges kurzlebiges philosophisches System
binden kann; aber was von den katholischen Theologen übereinstimmend in
jahrhundertelanger Arbeit aufgestellt worden ist, um einigermaßen zu einem
Verständnis und einer Erfassung des Dogmas zu kommen, ruht nicht auf einem
so hinfälligen Fundament. Denn es ruht auf Prinzipien und Begriffen, die
der wahren und richtigen Erkenntnis der geschaffenen Dinge entstammen: bei
Gewinnung und Formung dieser Erkenntnisse war die göttliche Offenbarung,
wie ein Stern, dem menschlichen Geist mittels der Kirche eine Leuchte.
Daher ist es nicht zu verwundern, daß einige derartige Begriffe von
Ökumenischen Konzilien nicht nur verwendet, sondern selbst festgelegt
wurden, so daß es nicht erlaubt ist, davon abzugehen«: Enzyklika Humani
generis (12. August 1950): AAS 42 (1950), 566-567; vgl.
Internationale Theologenkommission, Dokument Interpretationis problema
(Oktober 1989): Ench. Vat. 11, Nr. 2717-2811.
113 »Was den Sinn der
dogmatischen Formeln betrifft, so bleibt er in der Kirche immer und in
sich stimmig, auch wenn er mehr erhellt und vollständiger erkannt wird.
Die Christgläubigen müssen sich also von der Meinung abwenden, nach der
erstens die dogmatischen Formeln (oder bestimmte Arten von ihnen) die
Wahrheit nicht in bestimmter Weise bezeichnen könnten, sondern nur ihre
veränderlichen Annäherung, die sie gewissermaßen deformierten bzw.
veränderten«: Hl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur
Verteidigung der katholischen Lehre über die Kirche Mysterium Ecclesiae
(24. Juni 1973), 5: AAS 65 (1973), 403.
114 Vgl. Kongregation des Hl.
Offiziums, Dekret Lamentabili (3. Juli 1907), 26: AAS 40
(1907), 473.
115 Vgl. Johannes Paul II.,
Ansprache an die Päpstliche Hochschule »Angelicum« (17. November
1979), 6: Insegnamenti, II, 2 (1979), 1183-1185.
116 Nr. 32: AAS 85
(1993), 1159-1160.
117 Vgl. Johannes Paul II.,
Apostol. Schreiben Catechesi tradendae (16. Oktober 1979), 30:
AAS 71 (1979), 1302-1303; Kongregation für die Glaubenslehre,
Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen Donum veritatis
(24. Mai 1990), 7: AAS 82 (1990), 1552-1553.
118 Vgl. Johannes Paul II.,
Apostol. Schreiben Catechesi tradendae (16. Oktober 1979), 30:
AAS 71 (1979), 1302-1303.
119 Vgl. ebd., 22,
aaO., 1295-1296.
120 Vgl. ebd., 7,
aaO., 1282.
121 Vgl. ebd., 59,
aaO., 1325.
122 I. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius,
IV: DS 3019.
123 »Niemand darf aus der
Theologie so etwas machen wie eine einfache Sammlung von eigenen
persönlichen Auffassungen; sondern jeder muß darauf bedacht sein, in enger
Verbindung zu bleiben mit dem Sendungsauftrag, die Wahrheit zu lehren, für
die die Kirche verantwortlich ist«. Johannes Paul II., Enzyklika
Redemptor hominis (4. März 1979), 19: AAS 71 (1979), 308.
124 Vgl. II. Vat. Konzil,
Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae, 1-3.
125 Vgl. Apostol. Schreiben
Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 20: AAS 68 (1976),
18-19.
126 Pastoralkonstitution über
die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 92.
127 Vgl. ebd., 10.
128 Prologus, 4: Opera
omnia, Florenz 1891, Bd. V, 296.
129 Dekret über die
Priesterausbildung Optatam totius, 15.
130 Vgl. Johannes Paul II.,
Apostolische Konstitution Sapientia Christiana (15. April 1979),
Art. 67-68: AAS 71 (1979), 491-492.
131 Johannes Paul II.,
Ansprache an der Universität von Krakau zum 600-Jahr-Jubiläum der Alma
Mater Jagellonica (8. Juni 1997), 4 L'Osservatore Romano,
9.-10. Juni 1997, S. 12.
132 »he noerà tes pìsteos
tràpeza«: Homilie zu Ehren der heiligen Maria, der Mutter Gottes,
Pseudo-Epiphanios: PG 43, 493.
-----