Schwester
Faustyna (Helene Kowalska) wurde am 25. August 1905 im Dorf Glogowiec bei Lodz
in Polen geboren, ist am 1. August 1925 in die Kongregation der Muttergottes der
Barmherzigkeit eingetreten und am 5. Oktober 1938 in Kraków gestorben.
Schwester Faustyna zeigt gerade das, was
im Zug der Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht selten in den Hintergrund,
wenn nicht in Vergessenheit geraten ist, das innere Leben der Seele mit Gott. S.
Faustyna weist den rettenden Ausweg aus der verderblichen Verweltlichung, die
tief in die Seelen auch der Gläubigen eingedrungen ist.
S. Faustyna lehrt die Christen, jener
Traurigkeit, Schwunglosigkeit, ja, Freudlosigkeit zu begegnen, die ihr
religiöses Leben so oft befallen. Die wahre Innerlichkeit besteht in froher
Liebe zu Gott und seinem hl. Willen:«Die Traurigkeit kann sich in einem Herzen,
das Gott liebt, nicht einnisten» (TB. Nr. 886)!
Unter dem Namen totaler Freiheit,
schrankenloser Emanzipation wurden die Gebote Gottes als repressiv bezeichnet,
ja, wurde Gott selbst zum Gegner der menschlichen Freiheit und endlich zum Feind
seines eigenen Geschöpfes erklärt, wie Papst Johannes Paul II. in seiner
Enzyklika «Dominum et Vivificantem» (Nr. 38) feststellt. Schwester Faustyna
demaskiert diese Blasphemie, indem sie lichtvoll sagt: «Die Liebe zu Gott macht
die Seele frei! Sie ist wie eine Königin, die den Zwang von Sklaverei nicht
kennt» (TB. Nr. 890)!
Die Sorge vieler Gläubigen, die
Innerlichkeit, das geistige Leben, seien eine sehr schwierige Sache, der
Aufstieg der Seele könne nur mit außerordentlichen Tagen erreicht werden, hatte
dereinst schon die Hl. Theresia vom Kinde Jesu mit ihrem «Kleinen Weg» als
unbegründet abgewiesen. Ganz dieser Tradition verpflichtet zielt das Tagebuch
der Schwester Faustyna auf das Entscheidende im religiösen Leben, auf die Liebe.
«Jesus, Du hast mir jetzt gezeigt, worin die Größe der Seele besteht: ganz und
gar nicht in großartigen Taten, sondern allein in der großen Liebe. Die Liebe
macht den Wert aus. Sie ist es, die allen Taten ihren Wert verleiht. Wohlan
also, auch wenn unsere Taten klein sind und alltäglich, durch die Liebe werden
sie groß und gewaltig vor Gott. Die Liebe ist ein Geheimnis, das alles, was sie
berührt, umgestaltet in schöne und gottgefällige Dinge» (TB. Nr. 889).
Das Leben der Seele ist ein Leben in
steter Vereinigung mit Gott. Das führte auch bei Schwester Faustyna dazu, daß
sie nie aus dieser Vereinigung herausfallen wollte, so daß der Wandel in Gottes
Gegenwart und das stete Beten bzw. bewußte Offensein für Gott zur Dauerhaltung
wurde. Hier, wie in allem fügt sich das wertvolle Tagebuch in die große
Tradition der kirchlichen Lehre über die Spiritualität ein.
Die besondere Eigenart und Weiterführung
der Schwester Faustyna besteht in dem lichtvollen Erkennen und Verbreiten der
unendlichen Barmherzigkeit Gottes.
«Gott ist die Liebe» (1 Joh 4,16). Und
Liebe will sich verschenken. Sich Schenken ist Freude,
sich-nicht-Schenken-Können Leid. Jesus gibt sich Gott ganz und gar hin; er gibt
sein Leben für die Sünde der Welt. Dem sündigen Menschen gegenüber offenbart
sich die Liebe als Barmherzigkeit (Miseri cordare=misericordia). Die göttliche
Barmherzigkeit ist größer als die menschliche Erbärmlichkeit. Je armseliger der
sündige Mensch, desto mehr ist die Güte Gottes geneigt, ihm Barmherzigkeit zu
erweisen. Diese Totalbereitschaft, jedem Barmherzigkeit zu schenken, wird
Faustyna in besonderer Weise geoffenbart. Ihre besondere Berufung ist es, Gottes
Erbarmen zu verkünden. Das ist auch der Sinn des Bildes, das sie malen sollte:
Ein Bild, das schon beim Betrachten ein uferloses Vertrauen in das göttliche
Erbarmen weckt.
Maria Winowska, die bekannte polnische
Schriftstellerin, die Leben und Werk Schwester Faustynas mit einmaliger
Einfühlsamkeit beschrieben hat, gibt deshalb ihrem Buch den tiefsinnigen Titel:
«Anrecht auf Barmherzigkeit».
Nichts ist aktueller in unserer Zeit, in
der Elend und Sünde, Krieg und Selbstvergottung, Terrorismus und Abtreibung u.a.
gigantische Ausmaße aufweisen, als dieser Zeit, dieser Not, die unendliche
Barmherzigkeit Gottes gegenüberstellen.
Nach Jesu Offenbarung an Faustyna bedarf
es nur der Einsicht in das eigene Elend und der Offenheit für den Ruf des Herrn,
dann werden sich Ströme von Erbarmen aus dem Herzen Jesu über die Menschheit
ergießen.
Schwester Faustyna wird so zum Herold
des Vertrauens in die unendliche Barmherzigkeit. Was auch immer im Leben eines
Menschen geschehen sein mag, und wären es die schlimmsten Sünden, immer ist das
volle, ungeschmälerte Vertrauen auf die barmherzige Liebe Jesu der Weg zum Heil.
Mehr als unzählige andere Sünden,
verletzen Mangel an Vertrauen, Mißtrauen und Kleingläubigkeit den Herrn, sind
diese doch gegen seine unendliche Liebe gerichtet.
Johannes Paul II., der 1966 den
Seligsprechungsprozeß der Schwester eingeleitet hatte, stellte in seiner
Enzyklika Dives in Misericordia den unerschöpflichen Reichtum der
Barmherzigkeit Gottes der abgrundtiefen Sündennot unserer Zeit gegenüber. Das
geschah ganz im Geist der Offenbarungen Jesu an Schwester Faustyna.
Schon bei der Wahl des Ordens, in den
Schwester Faustyna eintrat, findet sich der Hinweis auf ihre Aufgabe:
«Kongregation der Mutter Gottes von der Barmherzigkeit». Dieser Name eröffnet
den Blick in einen anderen Reichtum dieses gottinnigen Lebens, nämlich die
Bedeutung der hl. Kommunion im Leben Faustynas. Sie hat eine Anzahl von
Vorbereitungen auf den Empfang der hl. Kommunion hinterlassen. Es sind
Kostbarkeiten voll von unglaublicher Liebe und Tiefe. Auch hier kann eine
göttliche Vorsehung erkannt werden: In der Zeit der Massenkommunionen, des
massenhaften Kommunionempfanges, ist es nötig, den vielen Kommunikanten immer
wieder bewußt zu machen, wen sie empfangen, was zu einer guten Vorbereitung,
einem würdigen und innerlichen Empfange und einer sorgfältigen Danksagung
gehört. Dies alles finden wir bei Faustyna in vorbildlicher Weise: «Der
feierlichste Augenblick meines Lebens ist immer der Augenblick, wenn ich die hl.
Kommunion empfange… Die Engel würden, wenn sie es könnten, uns Menschen nur um
zwei Dinge beneiden, den Empfang der hl. Kommunion und das Leiden» (TB. Nr.
1804).
Mit dem zuletzt angeführten Wort ist
eine weitere Dimension im Leben Faustynas gekennzeichnet. Das Leiden war ihr
vertrauter Begleiter geworden. Mit der hl. Hostie der Eucharistie wollte sie
selbst zur Hostie, zum Opfer werden. Zum einen wir Verlangen, mit Jesus für die
Rettung der Sünder zu leiden: Besonders die Sterbenden lagen ihr am Herzen.
Immer wieder findet sich das Wort: «Ich bin eingetaucht in ein Meer des Leides»
(vgl. TB. Nr. 1116). Oder sie berichtet von der mystischen Teilnahme an der
Passion des Herrn: «Der Herr hat mir während der hl. Stunde gewährt, seine
Passion mitzuempfinden. Ich Habe an der Bitterkeit teilgenommen, die seine Seele
während der Passion erfüllte» (TB. Nr. 872). Zum anderen wollte sie Jesus für
die Unbilden, die er von den Menschen zu leiden hat, Genugtuung leisten, deshalb
sagte ihr Jesus öfters bei der hl. Kommunion Worte wie diese: «Meine Tochter,
Deine Liebe ist mir Genugtuung für die Herzenskälte vieler Seelen» (TB. Nr.
1816).
Hier wird die in der
Frömmigkeitsgeschichte stets bekannte Mitwirkung am Heil der Seelen zur
Wirklichkeit. Das Zweite Vatikanische Konzil umgreift sie in der echten Lehre
vom gemeinsamen Priestertum. Pius XII. sprach darüber in seiner Enzyklika
Mystici Corpis eindringlich: «Es ist ein wahrhaft schaudererregendes
Geheimnis, das man niemals genug betrachten kann, daß nämlich das Heil vieler
abhängig ist von den Gebeten und freiwilligen Bußübungen der Glieder des
geheimnisvollen Leibes Jesu Christi, die sie zu diesem Zweck auf sich nehmen»
(Heilslehre der Kirche, Freiburg Schweiz 1953, S.489).
In vielfältiger Weise gehen von dem
Tagebuch und Leben der Schwester Faustyna kräftige Impulse und nachhaltige
Wirkungen aus, die unserer Zeit angemessen sind und die sie dringend braucht.
Nach der Lektüre des Tagebuches der
Schwester Faustyna, dieses kostbaren Kleinodes geistiger Literatur, drängt sich
die Frage auf: Wie kann man auch nur einen Augenblick leben, ohne Gott zu
lieben!
+ Josef Stimple
Bischof von Augsburg
Augsburg, den 6. August 1987
Schwester Faustina - Tagebuch