Wir leben heute in einer Zeit, in der die
Fundamente wanken und die Orientierung fehlt. Wir sind oft unsicher und wissen
nicht mehr, wie wir uns verhalten sollen. Die meisten spüren, dass wir uns
wieder auf die Grundwerte des Lebens besinnen müssen. Diese Grundwerte des
Lebens aber finden sich in den Zehn Geboten...
INHALT
Das zehnte Gebot wendet sich gegen die Habsucht und den Neid
und fördert damit in entscheidender Weise den sozialen Frieden. Das
zehnte Gebot steht in einem direkten Bezug zum siebten Gebot: Es betrifft die
inneren Fehlhaltungen gegenüber dem Eigentum und soll dazu führen, dass es
nicht zu falschen Handlungen im Sinne des siebten Gebots kommt. Die Beachtung
des neunten Gebots gerade in unserer materialistischen Gesellschaft von
größter Bedeutung.
Das zehnte Gebot bezieht sich zunächst auf die ungeordneten Begierden
gegenüber materiellen Dingen. Diese Begierden können das Essen und
Trinken betreffen, sie können sich aber auch auf Geld, Häuser
und Besitz beziehen. Wenn diese leiblichen und materiellen Güter unser
ganzes Streben erfüllen, dann riskieren wir dabei, dass unser Menschsein
nur noch aus Haben besteht. Wir vergessen dann oftmals, dass der Sinn
unseres Lebens nicht im Haben, sondern in der Vollendung unseres Seins
besteht. Dieser ungezügelte Drang nach dem Haben kann sogar so weit gehen,
dass wir dabei unsere Seele und unser ewiges Heil vergessen. Für
uns gelten dann die eindringlichen Worte Jesu: "Was nützt es einem Menschen,
wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden
nimmt?" (Lk 9,25)
Das zehnte Gebot wendet sich vor allem gegen die Habgier auf Kosten der
Mitmenschen. Wenn ein Kaufmann danach trachtet, einem Kunden mehr Geld
abzuknöpfen, als die Ware tatsächlich wert ist, dann sündigt er durch Habgier.
Wenn ein Vermieter sich dazu entschließt, einem Arbeiter aus der
Dritten Welt eine hohe Miete abzuverlangen, dann nützt er die Notsituation
dieses Menschen aus. Wenn ein Zahnarzt eine Behandlung empfiehlt, die
es eigentlich nicht bräuchte, dann handelt er aus Habgier. Wenn ein
Handwerker mehr Kosten veranschlagt, als dann nötig sind, will er den
Kunden ausnehmen. Es gibt sogar Menschen, die regelrecht mit Notsituationen
spekulieren, um mehr Gewinn einzuheimsen: Ein Kaufmann hortet die
Ware, um sie in Notzeiten teurer zu verkaufen; ein Automechaniker freut
sich über den Neuschnee, weil es dadurch mehr Unfälle gibt; ein Polizist
begibt sich an neuralgische Verkehrspunkte, weil er dort mehr Strafzettel
verteilen kann; eine Polizeistreife postiert ihr Radar-Gerät an einer
pfeilgeraden Strecke, damit mehr Autos in die Radar-Falle gehen; der
Rechtsanwalt freut sich über die vielen Scheidungen, weil er dadurch eine
Unmenge Geld verdient. Eine solche Einstellung widerspricht aber völlig der
Nächstenliebe.
Das zehnte Gebot warnt uns auch vor dem Neid auf die Güter unserer
Mitmenschen. Bei diesen Gütern handelt es sich meistens um die materiellen
Güter von Leuten aus unserem Bekanntenkreis: Der eine ist neidisch, weil sich
der Nachbar schon wieder ein neues Auto leisten kann; der andere ist neidisch
auf die Villa seines Kollegen und ärgert sich, dass dieser sich jetzt
sogar ein Reitpferd gekauft hat. Eine junge Dame ist richtig giftig,
weil ihre Kollegin im Büro schon wieder ein neues Kleid aus der
Boutique hat. Der Oberzuber hört mit Neid, wie der Unterzuber von seiner
Reise auf die Seychellen berichtet. Die Leute im grünen Wohnblock wurmt
es, dass ihre Nachbarn im roten Wohnblock schon wieder neue Möbel
gekauft haben.
Der Neid kann sich auch auf die persönlichen Güter unserer Mitmenschen
beziehen. Ein junger Mann beneidet seinen Bekannten, der mit seiner großen
Intelligenz das Studium spielerisch bewältigt. Ein Handwerker ist neidisch
auf die große manuelle Geschicklichkeit eines Konkurrenten, die ihm ein
gutes berufliches Fortkommen sichert. Eine junge Dame ist neidisch auf die
künstlerischen Fähigkeiten ihrer Kollegin, die dadurch interessante
Aufträge erhält. Eine Basketballspielerin ist voll Neid auf die
außergewöhnliche sportliche Begabung ihrer Kameradin, die nun eine
Berufung in die Nationalmannschaft erhalten hat. Und schließlich ist es für
eine junge Dame unerträglich, dass ihre Mitarbeiterin außerordentlich
hübsch ist und damit alle Männerblicke auf sich zieht.
Der Neid kann sich schließlich auch auf soziale Güter beziehen. Ein
"Adabei" beneidet einen Mitmenschen, der in der Gesellschaft hohes Ansehen
genießt: Er erlebt, wie der andere im Mittelpunkt des Interesses steht und von
allen geehrt wird. Ein kleiner Gemeinderat ist voll Neid gegenüber einem
Nationalratsabgeordneten, der eine hohe Machtposition bekleidet: Er
beobachtet, wie diese Politiker von allen hofiert wird und wie sich ihm
sämtliche Türen öffnen. Ein Wirtschaftsmanager empfindet einen grimmigen Neid
gegenüber einem Kollegen, der mehr Erfolg hat als er: Dieser Kollege
hat Karriere gemacht und ist zum Spitzenmanager eines großen Konzerns
aufgestiegen...
Wir können heute ohne Übertreibung feststellen, dass in allen Bereichen des
Lebens und der Gesellschaft ein ungeheurer Neid vorherrscht. Ein kritischer
Zeitgenosse hat sehr treffend bemerkt, dass wir heute in einer regelrechten "Neidgesellschaft"
leben.
Wir wollen uns nun fragen, welche Folgen der Neid hat. Der Neid führt
zunächst zu einer inneren Unzufriedenheit. Wenn wir anderen Menschen
gegenüber ständig Neid empfinden, gewinnen wir immer mehr den Eindruck, dass
wir selbst zu kurz gekommen sind. Wir haben dann oft das Gefühl, dass wir nur
Menschen zweiter Klasse sind. Wir fühlen uns vom Schicksal benachteiligt, weil
wir bei diesem Lebensstil nicht mithalten können. Der Neid bewirkt, dass wir
uns trotz des üppigen Wohlstands, in dem wir alle leben, als arme Schlucker
fühlen. Manche von uns blendet der Neid so sehr, dass sie die vielen Dinge,
die sie besitzen, nicht mehr sehen. Sie werden unfähig, sich an dem, was sie
haben, zu freuen. Sie sehen nur, was sie nicht haben. Auf diese Menschen
trifft das Wort des Alten Testaments zu: "Neid und Ärger verkürzen das Leben,
Kummer macht vorzeitig alt." (Sir 30,24) Der Neid führt aber auch zu einem
heimlichen Groll und Hass auf jene Menschen, denen es besser
geht als uns. Wir haben oft sogar den Eindruck, dass es ungerecht sei, wenn es
anderen Menschen gut geht. Nach unserem Dafürhalten haben es sich manche Leute
gar nicht verdient, dass sie so hinaufgehoben werden. Im Grunde genommen
hätten wir es viel eher verdient, gewisse Positionen und Auszeichnungen zu
erhalten. Durch diesen inneren Groll und Hass kommt es unweigerlich zu
gestörten Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Der Neid verleitet uns dazu,
die anderen unfreundlich und unwirsch zu behandeln. Nicht selten sagen wir
ihnen Gemeinheiten ins Gesicht, um unseren Frust loszuwerden. Oft kommt es
auch zu einer völligen "Funkstille" gegenüber den engsten Kollegen und
Mitarbeitern. Manchmal brechen wir auch den Kontakt zu unseren Nachbarn ab und
grüßen sie nicht mehr. Auf diese Weise führt der Neid oft zu großen sozialen
Spannungen und Konflikten. Das traurige Ergebnis des Neids ist schließlich der
Verlust des sozialen Friedens.
Angesichts dieser schwerwiegenden Auswirkungen des Neids sollte uns klar
sein, dass wir alles daransetzen müssen, um den Neid zu überwinden. Wir wollen
deshalb überlegen, wie wir mit dem Neid fertig werden können.
Ein erster Schritt zur Überwindung des Neids besteht darin, dass wir uns um
echte Großmütigkeit gegenüber unseren Menschen bemühen. Wir sollten
imstande sein, uns darüber zu freuen, wenn sich der andere ein neues Auto oder
eine neue Wohnung leisten kann. Wir sollten es dem anderen von Herzen gönnen,
dass er eine hohe Position erreicht hat. Es sollte uns froh und dankbar
stimmen, dass es in unserer Gesellschaft Menschen mit außergewöhnlichen
Begabungen gibt. Es sollte für uns auch selbstverständlich sein, dass wir
einem sportlichen Gegner in fairer Weise zu seinem Sieg gratulieren.
Eine weitere Maßnahme gegen den Neid wäre auch ein bescheidenes Verhalten,
wenn wir uns gewisse Güter zulegen oder bestimmte Auszeichnungen erhalten. Wir
sollten uns darum bemühen, die neu erworbenen Güter nicht in protziger Weise
zur Schau stellen. Ebenso sollten wir auch nicht mit unseren Beförderungen und
Auszeichnungen angeben. Wir dürfen auch niemals den anderen spüren lassen,
dass wir ihm auf bestimmten Gebieten überlegen sind. Es wäre klug, wenn wir
unseren Mitmenschen nach Möglichkeit unsere Güter und Mittel, aber auch unsere
Begabungen und Fähigkeiten zur Verfügung stellen würden. Wir sollten es so
einrichten, dass sich die anderen an unseren Gütern mitfreuen und aus unseren
Gütern Nutzen ziehen können. Auf diese Weise würden wir dem Neid von
vornherein keine Chance geben.
Eine heilsame Maßnahme gegen den Neid wäre schließlich die Erkenntnis, dass
nicht alles Gold ist, was glänzt. Wir sollten uns vor Augen halten, dass
viele dieser Leute, die mit ihren materiellen Gütern angeben, riesige Schulden
haben. Viele dieser Großtuer übernehmen sich und sind früher oder später
bankrott. Die Klugheit sollte uns erkennen lassen, dass es besser ist, nicht
über die eigenen Verhältnisse zu leben, sondern nur das zu kaufen, was wir uns
wirklich leisten können. Wir sollten uns weiters vor Augen halten, dass
materielle Güter noch lange keine Garantie für das Glück sind. Was nützt die
schönste Villa, wenn die Ehe kaputt ist?! Was bedeutet ein florierendes
Geschäft, wenn der Sohn in der Drogenszene landet?! Was bringen die schönsten
Kleider und der teuerste Schmuck, wenn jemand unheilbar krank ist?! Hinter der
glitzernden Fassade des Reichtums verbirgt sich oft manches Elend. Ja, wir
können fast behaupten, dass durch den materiellen Reichtum erst manche
Probleme geschaffen werden, die es sonst gar nicht gäbe. Wer die Probleme der
Reichen näher kennen gelernt hat, weiß, dass der Reichtum oft auch seine
Schattenseiten hat. In diesem Sinn ist das zehnte Gebot auch eine Mahnung, die
uns hilft, unser irdisches und ewiges Glück leichter zu finden.
ALLGEMEINER ÜBERBLICK:
ZEHNTES GEBOT: DU SOLLST NICHT BEGEHREN DEINES NÄCHSTEN GUT!
1) Materielle Begierden
2) Habgierige Spekulationen
3) Materielle Güter
4) Persönliche Güter
5) Soziale Güter
6) Die Folgen des Neids
7) Die Überwindung des Neids
Herr, lass uns
Deine Gebote beachten und verstehen damit ich am Ende meiner Tage zu Dir
gelange.
Amen.
Weiterführende
Themen:
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