Was heißt innerlich sein? Ein
übernatürliches Leben führen, ein Leben der Gnade aus dem Glauben und aus
der Liebe. Es heißt, so eingestellt sein zur Umwelt, wie der Gottmensch
Jesus Christus es gewesen ist, also das Leben lieben im Geiste der Hingabe
an den Vater. Die Natur lieben im Geiste der Bereitschaft, sie hinzuopfern
für die Übernatur. Innerlich sein heißt den Willen des Vaters über alles
lieben. Also alle Kreuze, Prüfungen, Verdemütigungen, Nöte, Sorgen,
Arbeiten, alles, auch Schweres und Schwerstes, liebbereiten Herzens
hinnehmen aus den Händen des Vaters.
Es heißt, sich ihm überlassen
als gefügiges Werkzeug seiner Pläne. Leben, lieben, leiden, sterben im
Gedanken an die Auferstehung und die ewige Herrlichkeit beim Vater. Es
heißt, ruhen im Vertrauen auf seine allzeit fürsorgliche Liebe, wie das Kind
ruht am Herzen seiner Mutter. Mit leidenschaftlichem Eifer die Ehre und
Verherrlichung des Vaters suchen. Es heißt, jedem Ruf Folge leisten, jedem
Wink gehorchen, also getreulich mitwirken mit allen Gnadenanregungen und
Einsprechungen.
Innerlich sein heißt,
einerseits alles tun, was der Entfaltung der übernatürlichen Kräfte in uns
dient, andererseits alles meiden, was ihnen schadet. Innerlich ist, wer die
Dinge so betrachtet, wie Gott es tut, und sie so liebt, wie Er sie liebt.
Wer den höchsten Wert "Gott" an die erste Stelle setzt und alles andere nur
als gottgegebene, aber vergängliche Werte betrachtet.
Innerlich sein heißt,
teilnehmen am Leben Gottes. Ihn erkennen, ihn lieben, an ihm sich freuen,
schöpferisch sein wie er, d. h. Werke der übernatürlichen Liebe vollbringen.
Durch sie gewinnen wir jenen Zustand der Gottähnlichkeit, der uns in
Wahrheit beten läßt: Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir.
Produkt der
Zusammenarbeit
Wir können uns die wahre
Innerlichkeit so wenig aus eigener Kraft erwerben wie irgendeine Tugend. Wir
können ihr nur den Weg bereiten und vorarbeiten. Das geschieht durch
Sammlung, Schweigen, Beten und Verlangen nach ihr. Wie der Flieger, um
landen zu können, ein geeignetes Gelände dazu sucht, so sucht der Geist
Gottes Seelen, die bereit sind, ihn aufzunehmen. Wir sollten möglichst auf
weltliche Vergnügungen verzichten und die Einsamkeit lieben. Ein Herz voll
Welt hat nicht Raum für Gott und das, was Gottes ist.
Alles Große fordert
Anstrengung und Opfer. Zunächst müssen wir durch freiwilligen Verzicht
beweisen, wieviel uns an der Gnade Gottes gelegen ist. Durch die Löslösung
von den Dingen, die uns fesseln möchten, schaffen wir jene Stille in uns,
ohne die der hohe Gast nicht Wohnung nehmen wird in einem Menschenherzen.
Halten wir fest: Gott tut
nichts an uns ohne uns. Es ist wahr, daß wir selbst nichts vermögen, und es
ist ebenso wahr, daß unsere Anstrengungen ein unentbehrliches Erfordernis
sind für das Wirken der Gnade. Was wir bestenfalls leisten, ist wenig. Ohne
dieses Wenige aber vermag Gott nicht in uns zu wirken. Christus erwartet von
uns, daß wir bereit sind für die Gnade, uns in Geduld mühen um sie,
getreulich mitwirken mit ihr. Hierin besteht unser Anteil an der schwierigen
Arbeit. Alles andere bleibt dem Herrn überlassen, der es in seinem Sinne und
auf seinen Wegen wirken und vollenden wird.
Sammlung
Eine unserer Hauptsorgen muß
einem gesammelten, einheitlichen, möglichst ungeteilt auf Gott gerichteten
Innenleben gelten. Man wird fernzuhalten suchen, was ablenkt, und immer
wieder zu jenem innersten Heiligtum zurückzukehren, in dem Christus wohnt
und auf uns wartet. Wir sollten uns so sehr an dieses wundersame
Zusammensein mit ihm gewöhnen, daß uns die Unruhe eines Suchenden befällt,
wenn wir uns einmal mehr als notwendig an die Welt verausgabt haben, und daß
die volle Ruhe und Wunschlosigkeit erst in dem Augenblick wiederkehrt, da
wir uns frei gemacht und wieder hineingefunden haben in ihn.
Wenn wir auf irgendeinem
Gebiet des Wissens oder Könnens überdurchschnittliche Leistungen erzielen
wollen, bedarf es einer ungeteilten Hinwendung an den Gegenstand, dem unser
Interesse gilt. Wir heißen dies: Konzentration. Nun ist hienieden kein
Studium von solch weittragender Bedeutung wie das der Hingabe an Gott. Daher
sollten wir uns unablässig mühen, uns ganz auf ihn zu konzentrieren. Er muß
die ruhende Mitte unserer Persönlichkeit sein. So wird all unser Tun und
Lassen, das aus dieser Mitte kommt, den Geist Christi in sich tragen.
Vom Fortschritt
Immer an Gott denken, das ist ohne eine besondere Gnade und Berufung nicht
möglich. Wir stehen ja meist in einem Beruf, der unsere ganze Aufmerksamkeit
erfordert. Da leben wir am besten aus der ernsthaften Gesinnung heraus, daß
unsere Arbeit vom Morgen bis zum Abend für ihn geschieht. Was immer wir tun,
ist aus Liebe zu ihm getan. Mit jedem Atemzug loben und preisen wir ihn.
Bleiben wir nur in allem, was uns bewegt, hingegeben an seinen Willen, Tag
für Tag und Stunde für Stunde. Das führt zu einem frohgemuten, friedvollen
Leben in Gott. Wo er einen besonderen Auftrag für eine Seele hat, wird er
ihr die zu gehenden Wege weisen. Erzwingen läßt sich auf dem Gebiet der
inneren Führung nichts. Hier ist Gott ausschließlich der Herr. Er führt in
göttlicher Überlegenheit zuweilen Wege, die der seelenkundigste Führer nie
und nimmer weisen dürfte. In solchen Fällen schenkt er solch überragende
Erkenntnisse, daß kein Zweifel darüber bestehen kann, daß er es ist, der so
führt.
In der Regel gilt: auf Gott hingewandt sein mit der ganzen Gesinnung. Sie
ist der fruchtbare Boden, aus dem alle Gaben Gottes von selber wachsen. Gott
Herr sein lassen, dabei in kindlichem Eifer das Seinige
tun, das ist der sicherste Weg zum Fortschritt im Innenleben. Das Seinige
tun heißt, den Anforderungen des Alltags gewissenhaft obliegen und darin
treu bleiben, auch in schweren Zeiten. Diesen Weg, auf dem man keiner
Selbsttäuschung begegnet, haben alle Heiligen Gottes eingeschlagen.
Gesinnungen des innerlichen
Menschen
Siehe, ich komme ... deinen
heiligsten Willen zu erfüllen. Ich bin bereit für dich, was immer und wie
immer du entscheiden magst.
Mit großer Sehnsucht hat mich
verlangt ... Opfer zu sein. In tiefer, stiller, heiliger Freude gebe ich
mich dir hin. Ich bin nicht allein ... Der Vater ist mit mir, er kennt mich,
er segnet mich, er führt mich. Meine Seele ist ganz Vertrauen. Nimm mich
hin, o Vater!
Es geschehe dein Wille ...
ohne Vorbehalt, ohne auf mein Herz zu horchen oder nach meinen Wünschen zu
fragen. So wie du willst, ganz so soll es sein.
Ich will hintreten zum Altare
Gottes. Nicht die Welt, nicht die Leidenschaften, sondern Gottes Arme sind
der Altar, auf dem ich mich opfern will. Laßt uns die Gesinnung Christi in
der Seele tragen, der sich seinem himmlischen Vater immerfort darbietet als
eine reine Opfergabe hostia pura, eine heilige Opfergabe hostia
sancta und eine unbefleckte Opfergabe hostia immaculata.
Wie werde ich
heilig?
Die Antwort scheint so überaus einfach, und es ist doch so überaus schwer:
Ich muß mich Gott hingeben, ohne zu fragen, was er mit mir vorhat, ohne mich
zu wundern, wo diese dunklen Wege enden werden. Ohne mich zu beunruhigen,
wenn ich ihn nicht mehr verstehe. Ich gehöre mir selber nicht mehr an, habe
ich doch jedes Recht auf mich aufgegeben. Mag der Eigentümer nach Belieben
über sein Eigentum verfügen! Ich werde mich hüten, ihn zu fragen: Warum
dies, Herr, und warum das? Ich werde ihn nur bitten, aus meinem Leben zu
seiner Ehre herauszuschlagen, was sich herausschlagen läßt. Ihm gehört mein
Leib mit allen seinen Organen - mag er sich seiner bedienen, um noch einmal
zu leiden. Ihm gehört mein Geist mit allen seinen Fähigkeiten - mag er sie
aufbrauchen zu seinem Dienste. Ihm gehört meine Seele mit allen ihren
Kräften - mag er sie in eine Brandstätte göttlicher Liebesglut verwandeln
und dem Hass der Welt damit Einhalt gebieten. Ich will ihm vollkommen zu
eigen sein, ihm mein ganzes Ich ohne Einschränkung übergeben, ihm ein
unbegrenztes Verfügungsrecht über mich verleihen. Er braucht mir gegenüber
keine Rücksicht zu wahren oder Genehmigungen einzuholen. Er soll ein für
allemal wissen, daß alle seine Pläne mit mir bereits von vornherein mit
meinem Namen gezeichnet und mit meinem Amen besiegelt sind.
Es ist etwas Wunderbares um solche Hingabe an Gott. Der Herr lockt bei
ungezählten Gelegenheiten dazu. Ganz allmählich werden die Akte der Hingabe
zur Grundstimmung der Seele, die mehr und mehr aus dem Gedanken der Hingabe
an ihn lebt. Immer wieder sagt sie es ihm, immer wieder lädt sie ihn ein,
doch zu nehmen, was sein ist. Er sucht Seelen, die sich ihm ganz hingeben
und keine Interessen kennen außer den seinen. Seelen, die ein gefügiges
Werkzeug sind in seinen göttlichen Händen und ihn schalten und walten lassen
nach freiem Ermessen. Seelen, die von der Sehnsucht verzehrt werden, ihm
ganz zu gehören, und schon zu glühen beginnen, wenn sie nur seinen Namen
hören.
Die vollkommene Hingabe ist von so großer Seltenheit, daß sie selbst in den
Augen Gottes als kostbar erscheint. Es muß dem Herrn bei der Entdeckung
einer solchen Seele, menschlich gedacht, ungefähr so zumute sein wie einem
forscher, der nach langer vergeblicher Suche plötzlich findet, was er
suchte. Gott scheint auf ihr Angebot zunächst mit Schweigen zu antworten. Es
ist, als hätte er seine Freude daran, es immer wieder zu vernehmen und die
wachsende Innigkeit darin zu spüren. Es ist aber auch, als müßte er sich
Gewalt antun, diese Seele warten zu lassen, um die Echtheit ihrer Gesinnung
zu prüfen. Ist die Zeit des Wartens vorüber, dann neigt er sich dieser
Auserwählten zu. Sie hat nun keine andere Aufgabe mehr, als ihn wirken zu
lassen, seinem Willen fraglos hingegeben zu sein und zu bleiben. Er wird
nach seinem Belieben Wunder der Gnade in ihr wirken zur Verherrlichung
seines Vaters.
Man sollte es hineinrufen können bis in den letzten Winkel dieser Welt: Gott
sucht Seelen, die sich ihm ganz hingeben wollen. Er wird sie zu großer
Heiligkeit führen, und sie werden ihm zur Ehre gereichen. Lassen wir der
Welt ihren Lauf, achten wir das Irdische gering um des Himmelreiches willen,
und streben wir herzhaft nach dem einen lohnenswerten Ziel: vollkommene
Hingabe an Gott zu üben. Sie ist die Vorstufe zu einer unendlichen
Seligkeit.
Nichts dreinreden
Es ist erstaunlich, mit
wieviel Schwung wir an die uns gesetzte Aufgabe des Heiligwerdens
herangehen. Lange Zeit glauben wir, ein wenig naiv, an den sicheren Erfolg
unserer ehrlichen Anstrengungen. Wir arbeiten, und Gott läßt uns gewähren.
Wenn wir dann über mancher Torheit klein und klug geworden sind, übernimmt
Gott die Führung. Auf Umwegen bringt er uns die Erkenntnis nahe, daß wir aus
uns selbst nichts vermögen. So werden wir bereit und aufgeschlossen für die
Hingabe. Er soll nun an uns tun, was sein Wille ist. Alle Sorge um unser
Werden ruht jetzt in seinen göttlichen Händen. Tag um Tag, mag geschehen,
was geschehen soll. Der Herr allein kennt das Was und das Wie. Was er aus
mir machen will, ist ganz seine Sache. Ich rede ihm nicht drein, ich mache
ihm keinen Vorschlag, ich forsche ihn nicht aus, ich halte mich nur ganz
still und ganz wach, um jeden Augenblick ein geschmeidiges und gefügiges
Werkzeug zu sein in seinen Händen.
Man muß Gott an sich arbeiten
lassen. Viele Seelen wehren es ihm. Sie möchten heilig werden, aber sie
übersehen, daß sie es nie und nimmer von sich aus werden, nur Gott kann
dieses Wunder in ihnen vollbringen. Wenn wir einen genialen Künstler, der an
einem Bildnis schafft und in seinem Geiste die vollkommene Idee des zu
Schaffenden schaut, immer wieder den Pinsel aus der Hand nehmen und seine
Arbeit nach unserer kargen Laienphantasie korrigieren wollten, was würde
wohl aus dem Bildnis des Meisters werden? Ähnlich wäre es, wenn wir den
Maßnahmen Gottes entgegenarbeiten und in seine Pläne hineinreden wollten.
Wir dürfen ganz außer Sorge sein. Was wir dem Herrn übertragen, ist in
bester Obhut. Was er begonnen hat, wird er auf göttliche Weise vollenden.
Wenn wir ihm unsere Seele übergeben, wird er kostbare Arbeit an ihr tun.
Laß uns immer mehr erkennen,
Herr, wie du uns führen willst. Wir wollen nur eines: hingegeben sein an
dich und Vertrauen haben zu dir.
Mach auf
Wo sind sie, die Seelen, die ihm keinen Widerstand mehr entgegenstellen, die
ihn frei und unbehindert schaffen lassen, wie und was er schaffen will? Die
ihm gestatten, nach seinen Plänen zu wirken, und ihn nicht einengen durch
ihren Eigenwillen? Gottes Gnade kann keine Dämme brauchen und keine
eingezäunten Heimgärten, in denen das Ich wohnt. Verschlossene Gemächer mit
der Warnungstafel: Eintritt verboten! sind nicht im Sinne Gottes, sucht er
doch Seelen, die sich ihm ganz auftun und aufgetan bleiben. Seelen, die ihn
so mit sich schalten lassen, als gingen sie sich selber nichts mehr an.
Seelen, die ihm nicht auf Schritt und Tritt mit einem Warum begegnen, wenn
sie ihn nicht mehr verstehen können. Eine halbherzige Hingabe ist keine
Hingabe. Sie ist Gottes unwürdig, da sie ein unausgesprochenes Mißtrauen in
sich schließt. Wenn ich davon überzeugt bin, daß der Herr mein Bestes für
Zeit und Ewigkeit im Auge hat. dann muß ich mich dazu bringen, jenen Akt der
vollkommenen Hingabe zu vollziehen, der das Tor der Ichverschlossenheit
sprengt. Er wird einziehen und sein Reich ausbreiten und mit uns zusammen
das "Angesicht der Erde erneuern".
Die Lösung aller
Schwierigkeiten
Du weißt nicht, wo dieser
göttliche Wille, der dich so schmerzlich verwundet, hinauswill? - Um so mehr
Grund zu einer völlig blinden Hingabe!
Du begreifst nicht, was dieser
Wille, der dir so viele Rätsel aufgibt, mit dir vorhat? - Um so mehr Grund
zu einer völlig blinden Hingabe!
Du siehst nicht, wie die
scheinbare Verworrenheit seiner Wege zum Ziele führen kann? - Um so mehr
Grund zu einer völlig blinden Hingabe!
Du erkennst nicht, daß seine
unendliche Liebe es ist, die an dir handelt, und nichts als diese Liebe? -
Um so mehr Grund zu einer völlig blinden Hingabe!
Du verstehst nicht, warum er
deine Pläne durchkreuzt und dir Mißerfolge bereitet? - Um so mehr Grund zu
einer völlig blinden Hingabe!
Du kannst es nicht fassen,
warum er dein Beten nicht erhört und taub ist deinen Bitten? - Um so mehr
Grund zu einer völlig blinden Hingabe!
Du möchtest irre werden ob all
der Prüfungen, die über dich kommen, ob all der Bedrängnisse, die über dich
hereinbrechen? - Um so mehr Grund zu einer völlig blinden Hingabe!
Zweifel steigen auf in dir,
und du glaubst, verzweifeln zu müssen? - Um so mehr Grund zu einer völlig
blinden Hingabe!
Du stehst im Dunkeln und
starrst ratlos hinein in undurchdringliche Finsternisse? - Um so mehr Grund
zu einer völlig blinden Hingabe!
Für alle unsere
Schwierigkeiten gibt es eine Lösung und die heißt: Hingabe, blinde Hingabe.
Vertrauen, fragloses Vertrauen! Hingabe ist Liebe. Vollkommene Hingabe ist
vollendete Liebe.
Christus hat uns diese Liebe
in vollkommener Weise vorgelebt. In allen Bitterkeiten seines Lebens weiß er
dem Vater nur eines zu sagen: Wie du willst! Herr, lehre auch uns, zum Vater
zu stehen so wie du!
Frostiger
Vorfrühling
Wenn wir bei einem Menschen, der uns nahesteht und dessen volles Vertrauen
wir zu besitzen meinen, plötzlich entdecken, daß er aus irgendeiner
Angelegenheit ein Geheimnis macht, dann ist es, als hätte er unserer Liebe
plötzlich eine Grenze gezogen. Ein Mangel an Vertrauen wirkt verletzend und
zwingt zur Zurückhaltung. Wenn nun schon der Freund dem Freunde gegenüber so
empfindet, wie kränkend muß dann erst ein Mangel von Vertrauen Gott
gegenüber sein, der dem Menschen ein unermeßliches Vertrauen bewiesen hat.
Seinen einzig Geliebten sandte er hinein in diese Welt, auf die
Ritterlichkeit des menschlichen Herzens vertrauend. Er hat unsere
Unberechenbarkeit und Grausamkeit erfahren müssen.
Gewiß ist es so: Wo unser Vertrauen aufhört, da bleibt Gottes Gnade stehen.
Mangel an Vertrauen wirkt sich im Seelenleben so ähnlich aus wie kalte
Frühlingsnächte in der Natur: die Pflanzen bleiben im Wachstum stehen. Die
Blätter liegen eingebettet in den Schalen der Knospe, aber sie können nicht
aufbrechen und sich dem Licht entgegenstrecken, weil die Kälte sie hemmt.
Und so manche Seele mit vielversprechenden Anlagen bleibt nach den ersten
frohen Ansätzen zur Heiligkeit in einem frostigen Vorfrühlingsstadium
stehen. Ohne Vertrauen gibt es kein Wachstum in der Gnade. Schwaches,
zagendes, leicht zu beirrendes Vertrauen, das in Prüfungen versagt, wirkt
sich so nachteilig aus wie ungünstige Witterung auf das Pflanzenleben:
Mißwachs, ja Mißernte kann die Folge sein.
Die Wirksamkeit der göttlichen Gnade ist an unsere Bereitschaft zur
Mitwirkung gebunden. Sie wird uns im geringerem oder reicherem Grade zuteil,
je nach unserer seeleischen Haltung. Wo sie keine Schranken findet, d. h. wo
eine Seele in vollkommener Hingabe sich Gott anheimstellt, da ist die
wesentlichste Bedingung zur Erreichung der Heiligkeit gegeben. Jetzt erst
vermag Gott nach seinen Plänen und Absichten an ihr zu handeln. Was uns im
Streben nach Vollkommenheit zum Ziele führt, ist die vertrauensvolle
Hingabe.
Herr, mach uns so eins mit dir, daß es uns unmöglich ist, Neigungen zu
haben, die dir mißfallen, und Wünsche zu hegen, die du nicht billigst. Laß
uns so recht erkennen, was vollkommene Hingabe heißt, und gib uns den Mut,
sie so zu vollziehen, daß du in uns nur mehr ein Abbild deines Sohnes
siehst. Nie sollst du eine andere Antwort von uns hören als ein herzhaftes
Ja, Vater!
Gott machen lassen
Soweit müssen wir es in der
Hingabe bringen, daß wir dem Willen Gottes gegenüber sind wie ein Toter, der
widerstandslos alles mit sich geschehen läßt. Man kann ihn auf eine Bahre
legen oder in einen Sarg betten, man kann ihn verhüllen oder zeigen, ins
Grab senken, die Erde auf ihn decken - es ist ihm alles gleich. Ganz so
müssen wir uns die Führung Gottes überlassen, mag er uns auf Rosen betten
oder auf die Folter spannen, im Lichte führen oder in der Finsternis
schmachten lassen. Mag er schenken oder fordern - gleichviel, wir müssen uns
verhalten wie ein Toter, ohne Einspruch, ohne Anspruch, ohne Widerspruch,
vollkommen hingegeben an seinen Willen.
Und doch ist ein großer
Unterschied zwischen dem Toten und uns. Der Leichnam, der nur eine leere
Hülle ist, läßt alles mit sich geschehen, weil er keinen Willen hat. Wir
aber haben einen selbständigen Willen und freies Verfügungsrecht darüber.
Dem Herrn diesen Willen schenken, damit er nach Belieben darüber verfüge,
ist die höchste Gabe der Liebe und des Vertrauens, deren ein Mensch fähig
ist. Was Gott damit vollbringen wird, kann unsere kühnsten Erwartungen nur
um ein Unendliches übersteigen.
Das Geheimnis
wahrer Innerlichkeit
Die Loslösung von allem GEschöpflichen ist ein Hauptpunkt im geistlichen
Leben. Wichtiger und schwieriger noch ist die Loslösung vom eigenen Ich, und
zwar speziell im Hinblick auf die Art, wie wir die Vollkommenheit erstreben.
Das Anfängerstadium kennzeichnet sich meist durch das stürmische,
selbstbewußte Verlangen: Ich möchte das erreichen.
Ich muß diesen Fehler loswerden. Ich will mir jene
Tugend erringen. In der Seele steht großmächtig das liebe Ich. Dann kommen
Hinternisse, Schwierigkeiten. Aus dem feurigen: ich möchte, ich muß, ich
will, wird bald schon ein enttäuschtes: ich kann nicht. Es muß mit
verschobener Betonung heißen: Ich kann nicht, denn "Alles
vermag ich in dem, der mich stärkt". Ihm muß das Ich in mir
weichen. Er muß allein Herr sein in mir, wenn etwas aus mir
werden soll. Vielleicht wird er Wege einschlagen, die mich seltsam dünken
und die ich nicht verstehe. Vielleicht wird er herumhämmern an mir in einer
Weise, die ich noch weniger begreife. Das ist der Zeitpunkt, an dem ich mein
Selbstvertrauen aufgeben und mich ihm ganz anheimstellen muß. Er soll mich
führen, wohin immer er will, mag auch mein Verstand sich wehren und mein
Herz aufschreien dagegen. Wenn ich nur furchtlos mit ihm gehe wie der Blinde
mit seinem Führer, dann werde ich einst das Wunderwerk seiner gnadenhaften
Führung in meiner Seele schauen dürfen und frohlocken darüber in Ewigkeit.
Das blinde Vertrauen, darin liegt das Geheimnis wahrer
Innerlichkeit. Es bewirkt die so notwendige Stilllegung des eigenen Ich und
somit die Erschließung der Seele für die göttliche Wirksamkeit in ihr. Gott
handelt, sie stimmt nur zu. Er reißt ein und baut auf, sie läßt es
geschehen. Sie muß nur darüber wachen, daß sie nicht unversehens den eigenen
Willen zu Wort kommen lasse und ihn auf keinen Fall durch die eigene Meinung
behindere. Daß wir dies können, ist unsere tiefe Tragik. Der armselige
Mensch mit seinen freien Willen vermag sozusagen dem Allmächtigen die Hände
zu binden. Sollten wir da nicht bitten: Herr, nimm ihn hin, diesen
gefährlichen freien Willen. Ziehe ihn so an dich, daß er nur mehr ein Wille
ist mit dem deinen, damit er nicht das große Werk verderbe, an dem du mit so
viel Weisheit und Liebe schaffst. Lehre uns jenes große, blinde Vertrauen,
das sich in heiliger Sorglosigkeit dir übergibt im Leben und im Sterben! Laß
es zur ständigen Grundhaltung unserer Seele werden, und es wird uns in
Frieden und Ruhe, in Trost und Losschälung bewahren.
Die Formel 2 = 1
Wir sollten nicht rechnen,
nicht zählen, nicht wägen im geistlichen Leben. Die Liebe läßt sich nicht
messen mit dem Meterstab wie ein Ballen Tuch. Ich will keinen Krämergeist
hineintragen in die Beziehungen meiner Seele zu Gott. Mag der Herr rechnen
und zählen und wägen auf seine Art. Ich weiß, daß ihm nichts entgeht, kein
Gedanke an ihn, keine Liebestat für ihn. Warum also sollte ich rechnen? Ich
fürchte, der Herr wird bei der Revision meiner Bücher trotz all meiner
Genauigkeit eine Menge Fehlbeträge finden und mir so und so oft nachweisen,
wie sehr ich mich verrechnet habe. Es ist entschieden wertvoller, ruhig,
friedlich und vertrauensvoll vorwärtszustreben. Mag er mit uns tun, was ihm
gefällt, solange wir ihn nur lieben Tag für Tag, in unserem Arbeiten und
Mühen, Opfern und Leiden wie in Freude und Tröstungen, immer und überall.
Wenn wir ihn nur lieben mit jener treuen Liebe, die auf alles verzichten
kann, nur nicht auf ihn. Die bereit ist, Hunger und Durst, Verfolgung und
Verleumdung, Schmerz und Tod hinzunehmen für ihn. Wenn wir nur voll Eifer
darüber wachen, daß er und wir immer eins sind, dann brauchen wir uns mit
weiteren Zahlen nicht zu plagen. Darauf allein kommt es an, daß wir
vollkommen eins seien mit ihm, daß die Formel 2 = 1 stets gewahrt bleibe.
Wenn der Herr am Ende meines Lebens unter den großen Abrechnungsstrich Tod
diese Zahl Eins als Übertrag für die Ewigkeit buchen würde und sonst nichts,
dann wüßte ich, daß auch von mir gilt: "Du guter und getreuer Knecht, geh
ein in die Freude des Herrn."
Opfergesinnung
Der Herr verlangt von einem Menschen praktisch kaum je alle Opfer, die in
seinem Leben möglich wären. Was er aber bei einer Seele voraussetzt, die ihm
ganz angehören will, das ist die uneingeschränkte Opfergesinnung, die volle
Bereitschaft zu jeglichem Opfer, was immer es auch sein mag. Da er bis auf
den tiefsten Grund, bis in die letzten Falten der Seele sieht, gilt ihm die
Gesinnung soviel wie die Tat; daher läßt er es oft bei dieser allein
bewenden, ohne das Opfer selbst zu verlangen.
Mühen wir uns nach Kräften, bitten und beten wir mit Inständigkeit um das
Gnadenwunder dieser vollkommenen Bereitschaft. Allzeit bereit für Gott,
darin liegt ja das Geheimnis der Vollkommenheit. Allzeit bereit kann nur
sein, wer sich selbst verlassen, sich selbst verleugnet hat. Wer auf keine
eigenen Stimmen mehr hören muß, weil er sie zum Schweigen brachte. Der
Heilige ist der ständig auf seinen Gott hinhorchende, jeden Augenblick für
Gott bereite Mensch.
Unruhe zu Gott
Wir sollten die Ruhe in uns
tragen, die jene erfüllt, deren Seelen in Gott und Ewigkeit verankert sind.
Wir sollten aber auch gleichzeitig etwas von der Unrast in uns haben, die
den Wanderer erfüllt, der sich sagt: Morgen schon muß ich in X sein. Immer
zum Aufbruch bereit. Diese Haltung sollte zum Dauerzustand unserer Seele
werden. An nichts gebunden, sich lebhaft der Tatsache bewußt: noch habe ich
einen weiten Weg vor mir, mein Herr wartet, und die Zeit drängt. Wie die
Juden des Alten Bundes müßten wir sein, die das Osterlamm in Eile
verzehrten, während sie zur Reise gegürtet standen...
Amen, so sei es
Wir sollten zufrieden, ja glücklich sein, uns immer in dem
Zustand zu befinden, in den der Herr uns gerade versetzt. Alle Kämpfe, alle
Versuchungen, alle Enttäuschungen, alle Niedergeschlagenheit, alle
körperliche und seelische Müdigkeit, Verstimmungen, die wie schwere Nebel
auf uns lasten, alles kommt uns ja aus den gütigen Händen des Vaters. Wenn
wir unsere Schwierigkeiten so betrachten, gewinnen sie eine gewisse Weihe,
sie werden zu freundlichen Boten der Liebe. Gewöhnen wir uns daran, in
schweren Zeiten zu beten: Herr, wenn es dir so recht ist, kann es mir auch
nur recht sein.
Vornehme Gesinnung
Es gibt kaum eine stärkere
Waffe, mit der sich der Zorn des erbittertsten Gegners besiegen läßt, als
Vornehmheit. Dem Streitbaren gegenüber wirkt sie geradezu entwaffnend. Diese
Gesinnung läßt sich unschwer erlangen, wenn wir einmal überlegen, wie
unwichtig im Grunde viele Dinge sind, um derentwillen die Menschen hadern
und streiten und Freunde zu Feinden werden. Wir legen manchen
Belanglosigkeiten eine Bedeutung bei, die ihnen gar nicht zukommt. Ist nicht
das ganze Leben ein bunter Wechsel von lauter Kleinigkeiten? Lassen wir ihn
vorüberziehen wie Landschaftsbilder, von einem Schnellzug aus gesehen. Da
sieht man gleichmütig hinweg über Berge und Täler, Flüsse und Seen, Brücken
und Abgründe, Menschen und Tiere. Unsere Gedanken eilen dem Zug voraus und
ruhen am Ziele unserer Reise. Ob nun unser Mitreisender eine liebenswürdige
Person ist oder eine unwirsche, was liegt uns daran! Kurze Zeit nur, und all
das ist wieder vorüber. Morgen schon wird es, wie so vieles andere, hinter
uns liegen.
Auch wo es um wichtigere Dinge
geht, wo wir durch den Eigennutz oder die Bosheit eines Menschen Verluste
erleiden, sollten wir nicht aus der Fassung geraten. Der Herr hat uns wieder
einmal ein Stück Erdenkram aus den Händen geschlagen. Unser Beleidiger war
ein Mittel dazu. Rechnen wir es ihm daher nicht zur Sünde an. Er hatte zwar
nicht die Absicht, uns einen Dienst zu erweisen, in Wirklichkeit hat er es
doch getan, denn es ist etwas in uns frei geworden für Gott, der uns nun
mehr und mehr in Besitz nehmen kann. Daß dies geschehe, darauf kommt es ja
letzten Endes an. Ist es nicht so, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge
zum Guten gereichen?
Göttlicher Heiland, gib uns
etwas von der vornehmen Gesinnung, mit der du durch das Erdenleben gingest.
Dann werden uns viele Dinge nicht mehr berühren oder von dir abzulenken
vermögen.
Was heißt
richten?
Das Wissen um die Fehler anderer ist kein Unrecht; ebenso das Bedauern, daß
Verirrungen möglich sind. Aber das stolze Urteil, das überlegene Kritisieren
und Benörgeln, dem die verständnisvolle Liebe fehlt, ist es, was unter den
Begriff "richten" fällt und gemieden werden muß, wenn uns nicht das
furchtbare Wort Christi treffen soll: du Heuchler! Wo uns die Aufgabe
obliegt, über andere zu wachen, muß eine Zurechtweisung mit Schonung und
Güte geschehen, aus dem demütigen Bewußtsein heraus: diesen Fehler habe ich
zwar nicht, dafür aber zehn andere. Der beste Schutz gegen jede Art von
Selbsterhebung ist die ehrliche Selbsterkenntnis der eigenen Mängel und
Schwächen, die uns in Güte zum gefallenen Bruder stehen lehrt.
Wie hat es der Heiland in dieser Frage gehalten? Als er beim letzten
Abendmahl sagte: "Einer von euch wird mich verraten", da hat keiner der Elf
gewußt, wer es sein könnte. Nicht einmal Johannes, der vertrauter mit dem
Herrn war als die übrigen. Erregt und bestürzt fragen sie alle
durcheinander: Bin ich es?
Viel Demut hatten sie gelernt in der Schule ihres Meisters. Es fällt keinem
ein zu erwägen, wer von seinen Mitaposteln es wohl sein könnte. Jeder fällt,
ehrlich erschrocken, über sich selbst her. Wir tun gut daran, es ihnen
gleich zu tun.
Ein gütiges Herz bewahren
Die Gefahr liegt nahe, sich
durch Enttäuschungen verbittern zu lassen. Es gibt so viele saure und
vergrämte Gesichter, die verbitterte Gemüter verraten. Man findet Menschen,
die nicht darüber wegkommen, daß ihnen vor zehn Jahren dieses Unrecht
geschah und daß man ihnen vor zwanzig Jahren das und das angetan hat. Wir
Christen müssen vergessen und vergeben können, auch wenn es sich um
schwerste und bitterste Enttäuschungen handelt. Um Christi willen, der so
viel menschliche Gemeinheit und Niedertracht um unsertwillen auf sich
genommen hat, ist es möglich, der Verbitterung zu wehren und trotz allem ein
gütiges Herz zu bewahren.
Bruderliebe
Das Wissen um die körperliche und seelische Not anderer verpflichtet zur
Hilfe in irgendeiner Form. Wir müssen einstehen für unsere Brüder, ihnen
helfen, wo wir nur können. Wo uns die Mittel fehlen, da laßt uns beten für
sie, und zwar so inständig, als brenne ihre Not an unserem eigenen Leibe,
als schreie ihre Qual in unserer eigenen Seele. Herr, hilf ihm, sonst geht
er zugrunde.
Wie überaus tröstlich ist doch das Wort Christi: "Was ihr dem geringsten
meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!" Er sieht in jeder Seele
den Gegenstand seiner unermeßlichen Liebe, die ihn dazu bewog, sein Leben
als Kaufpreis für sie zu bieten. Er will, daß wir in unseren Brüdern ihn
selber erkennen, den unendlich Liebenswerten. Wie könnten wir verachten, was
er so geliebt hat. Wie dem einen Liebesdienst verweigern, den Christus
seinen Bruder nennt. "Wer euch verachtet, der verachtet mich." Wir können
demnach die Liebe zu Christus nicht trennen von der Liebe zu den
Mitmenschen. Mögen sie noch so unliebenswert erscheinen, es steht dennoch
kein Geringerer als Christus selbst hinter jedem einzelnen und will in ihm
geliebt sein. Wenn man sich diese Tatsache vor Augen hält, läßt sich das
heftigste Widerstreben besiegen.
Das Wunder in uns
Die wahre Innerlichkeit wird
uns nicht so ohne weiteres als unverdientes Gnadengeschenk von seiten Gottes
zuteil, sie erfordert ernste, unverdrossene Arbeit, viele Jahre lang. Wir
müssen uns zunächst klar sein darüber, daß es nicht Einbildung oder
Selbsttäuschung ist, sondern die reine Wahrheit, daß der dreieinige Gott in
jeder Seele zugegen ist, die sich im Stande der Gnade befindet. Wir sollten
dieses Wunder längere Zeit hindurch zum Gegenstand unserer Betrachtungen
machen, bis es uns gelungen ist, ein Weniges von diesem Unbegreiflichen zu
begreifen. Wir werden auf dem Weg des Staunens und Dankens, der Freude und
des Jubels zur Liebe und Hingabe gelangen, die fortan unser eigentlicher
Beruf sind. Dann wird uns das bewußte Verweilen bei ihm zur Notwendigkeit.
Wie das hungrige Kind seine Mutter sucht, so und noch ungestümer werden wir
ihn suchen. Wie die Blume nach Licht verlangt und sich ihm zuwendet, so
naturnotwendig werden wir nach dem lebendigen Gott in uns verlangen und uns
ausrichten nach ihm. Wie die nach erzwungener Ablenkung befreite Magnetnadel
sofort zu ihrer normalen Stellung zurückkehrt, so schnell und so sicher
werden wir zu ihm zurückkehren, sobald unsere ablenkenden Geschäfte erledigt
sind.
Gibt es im Himmel und auf
Erden einen erhabeneren Gedanken als den, daß dieser selbe Gott, den die
Himmel nicht zu fassen vermögen, in einem Menschenherzen wohnen will? Wie
unermeßlich groß muß der Mensch in den Augen Gottes sein, wenn so etwas
möglich ist. Der Mensch ist demnach unendlich mal größer, als er zu
begreifen vermag. Wir müßten die Maßstäbe Gottes anlegen, um seinen Wert
errechnen zu können. Welche Verpflichtungen ergeben sich aus dieser
Erkenntnis für den Erlösten!
Abkehr von der
Welt
"Ihr könnt nicht Gott dienen und den Mammon", sagt uns Christus mit aller
Deutlichkeit. Es ist nicht möglich, Gegensätze solcher Art zu vereinen. Wer
Innerlichkeit erstrebt, muß sich wegwenden von der Welt. Das ist die erste
Bedingung. Ohne eine gewisse innere Einsamkeit, ohne einen sorgsam
umfriedeten Garten, den keiner betreten darf, sind wir nicht befähigt,
Gezelte zu sein, in denen Gott wohnen will und wohnen kann. Innerlichkeit
ist nichts anderes als das vertraute Leben mit und durch und in Gott in
unserem eigenen Innern. Wer dieses Alleinsein mit Gott erfahren hat, findet
nichts Verlockendes mehr an der Welt. Kein Mensch wird ihm mehr zu ernster
Gefahr. Kein Kreuz läßt ihn mehr verzagen oder gar verzweifeln. Er nimmt
nichts mehr allzu wichtig, am wenigsten sich selbst. So wächst er in
Opfermut und Leidenskraft hinan an seinen Herrn. So weiß er aus eigener
Erfahrung, was es Beglückendes ist um die Wahrheit des Wortes: Gott allein
genügt. Dann gibt es keine kränkliche und krampfhafte, keine finstere und
unfrohe Frömmigkeit mehr, denn Gott ist die Liebe, und er wirkt die Liebe in
uns. Er ist der Friede und durchdringt uns mit Gedanken des Friedens. Er ist
der ewige Jubel, und er erfüllt unser Herz mit jener Freude, die nicht von
dieser Erde ist. All unser Handeln und Wandeln wird durchflutet vom Geiste
Christi, von seiner Wärme, seiner Milde, seiner Großmut, seiner Kraft,
seiner Hingabe an den Vater, seinem Dienenwollen, seinem Eifer für die
Verherrlichung des Vaters. Je mehr wir uns loslösen von der Welt und den
Annehmlichkeiten, die sie uns bieten möchte, desto befähigter werden wir,
Tempel zu sein, in denen Gott wohnen will.
Der Weg zur Schatzkammer
Wir mögen in angestrengter
Weise um irgendein Gut für unsere Seele arbeiten, um eine Erkenntnis, eine
Gnade, eine Tugend, und müssen immer wieder feststellen, daß wir trotz aller
Mühe nichts erreichen. Dann kann es geschehen, daß uns plötzlich das
Ersehnte wie eine reife Frucht in den Schoß fällt. Gott hat es gegeben, wie
man einem Kind einen reifen Apfel vom Baum pflückt. Ein freies Geschenk der
Güte ist er für das Kind. Es hätte ihn infolge seiner Kleinheit nie
erreichen können, wie sehnsüchtig es auch ausgeschaut hätte danach. Ähnlich
verhält es sich mit den Gnaden, die wir ersehnen. Zwar sind auch sie freies
Geschenk der Vaterliebe, doch erlangen wir sie in dem Maße, in dem wir uns
mühen darum. Aber wollten wir uns selbst eine ganze Ewigkeit mühen, erlangen
würden wir nichts, weil die göttliche Gnade nicht erworben wird nach Art
einer irdischen Wissenschaft, gehört sie doch einer über uns liegenden
Seinsebene zu. Ein Ziel setzen und es anstreben, das können wir auch im
geistlichen Leben, es aber aus eigener Kraft erreichen, werden wir nie. Im
Reich der Gnade hat nur eine Methode Aussicht auf Erfolg:
inbrünstiges Beten, verbunden mit demütigem Warten. Wir schaffen es
nicht, aber Gott mit uns wird es vollbringen.
Wie tief hat doch die Mutter
des Herrn diese geheimnisvolle Wahrheit erfaßt. Sie betet in Demut, da
strömen Gottes Hände über von unerhörtem Segen. Möge sie auch uns die Wege
zu den Schatzkammern Gottes weisen!
Wegbereitung
Viele Menschen kommen in ihrer
Einstellung zum Leiden nicht über das hinaus, was wir mit einem Fremdwort
"Resignation" nennen, das ist ein müdes Sichabfinden mit dem
Unabänderlichen. Tun dies nicht auch die Heiden? Wir Christen müssen höher
streben, wenn wir Christus in Wahrheit verstanden haben und dem Vater zur
Ehre gereichen wollen. Der Herr ist seinen Weg nicht in müder Resignation
gegangen. Er ist "wie ein Riese seinen Weg gelaufen". "Mit Sehnsucht hat
mich verlangt, dieses Opfermahl mit euch zu halten, ehe ich leide." Am
Leiden Christi läßt sich der Wert auch unserer Leiden ermessen. Gleich ihm
müssen wir zur Leidensbejahung und nach und nach zur Leidensliebe gelangen.
Dies sind Dinge, die der menschlichen Natur widerstreben. Auch Christus hat
im Garten von Gethsemane zu unserem besonderen Troste dieses Widerstreben
empfinden und durchleiden wollen. Er hat uns aber auch gezeigt, wie wir als
Sieger aus dieser Versuchung hervorgehen können, die uns zur Ablehnung des
göttlichen Willens verleiten will. "Vater, wie du willst!" Das ist nicht
verzweifelte Resignation, weil es keinen Ausweg mehr gibt - Legionen von
Engeln würden ihm sogleich zu Hilfe kommen, wenn er sie riefe -, sondern das
ist die starke liebende Hingabe an den Vater, dem sein vollstes Vertrauen
gehört. Ganz so müssen wir in allen unseren Schwierigkeiten zum Vater im
Himmel stehen. Er wird auch uns retten aus jeder Not, freilich nicht in
unserem Sinne. Sollten wir mit Christus den Kelch trinken müssen bis zu
seiner bitteren Neige, so stünde uns doch gleich ihm der Himmel offen, wenn
die Zeit der Prüfung vorüber ist.
Wir sollten nicht um Leiden
beten. Wir sind viel zu schwach, sie zu ertragen. Warten wir lieber mit
einem Herzen voll Opferbereitschaft und Opfergesinnung auf das, was Gott mit
uns vorhat. Es wird ein vollgerütteltes Maß an Bitterkeiten sein. Beten wir
vielmehr um die Gnade, treu zu sein in der Stunde der Prüfung, ein
vollgültiges, rechtes und Gott wohlgefälliges Opfer, wie Christus es war und
immer noch ist. Unsere Bereitschaft zum Leiden ist schon eine hohe Gnade.
Sie ist die Grundlage, auf der Gott aufbauen und seinen Segen hinbreiten
kann. Seine Hände sind mit unendlichen Schätzen gefüllt, und er verlangt
danach, die Seelen damit zu beglücken. Doch nicht ohne unser Zutun. Die
Bedingung, an die sich Gottes Allmacht gebunden hat, heißt Bereitschaft des
Herzens, seinen Weg zu gehen. Wir sehen wieder, welch hohe Bedeutung der
Hingabe zukommt im Reiche Gottes.
Wenn wir die Heiligen
betrachten, so könnte uns der Gedanke kommen, sie waren eben besondere
Lieblinge Gottes, von Anfang an auserwählt zur Heiligkeit. Nein, Gott sah
ihre so seltene Bereitschaft. Dies ist das tiefste
Geheimnis, warum er sie in so unermeßlicher Weise segnen konnte und gesegnet
hat. Folglich liegt es zu einem beträchtlichen Teil an uns selbst, inwieweit
dies auch an uns geschehen kann.
So kommen wir auf
verschiedenen Wegen der Betrachtung immer wieder zu der einen Erkenntnis:
der wichtigste Punkt des innerlichen Lebens ist die Hingabe an den
göttlichen Willen. Die Heiligen haben sich ihm fraglos überlassen, sie
lebten und ruhten in diesem Willen, sie gingen in ihm auf. Und darin besteht
die Heiligkeit.
Gebet:
Göttlicher
Heiland, der du die Herzen durchschaust, du siehst unsere Armseligkeit,
unsere Verlorenheit an die Dinge dieser Erde. Du weißt um unsere
Verständnislosigkeit, wo es um himmlische Dinge geht. Komm uns doch noch ein
Stück des Weges entgegen, der du um unsertwillen so weit gewandert bist.
Zeige uns, wie über alle Maßen begehrenswert es ist, mit deinen
Reichtümern gesegnet zu sein. Nimm die Blindheit von uns und laß uns
erkennen, daß unsere Hauptarbeit in der unbedingten Bereitschaft für dich
liegt.
Eigenartige Erfahrung
Oft ist es so, daß uns Gott die Erfüllung eines Wunsches gewährt, den wir
ihm zuliebe geopfert haben. Es ist gerade, als ob er sagen wollte: Du hast
darauf verzichtet, da hast du es jetzt, viel schöner als du es dir erträumen
konntest. Wer Herzenswünsche opfern kann, der ist auch fähig zu besitzen,
als besäße er nicht, und darauf kommt es an, daß wir losgelöst seien,
innerlich frei und unabhängig von den Stimmungen des Gemütes. Wenn ich mir
ein Nein sagen kann um Christi willen, dann kann Gott ja sagen, denn er
weiß, diese Seele wird seine Rechte auf sie achten und wahren. Es ist seine
Art, jedes Opfer auf dieser Welt schon irgendwie zu lohnen. Je großmütiger
unsere Loslösung ist, desto reicher wird er uns mit seinen kostbaren Gnaden
beschenken. Fast erweckt es den Eindruck, als könnte er, der göttlich
Liebende, sein Verlangen zu beseligen nicht mehr zurückhalten. Es ist, als
müßte er hienieden schon seiner Freude darüber Ausdruck geben, daß ein
Menschenherz ihm ganz gehören will.
Warum ist die Zahl derer, die eine solche Beseligung von seiten Gottes
erfahren dürfen, so verschwindend klein? Weil uns der Opfergeist fehlt, der
alles für ihn hinzuwagen bereit ist.
"Wirket euer Heil in Furcht und Zittern"
Ist es nicht ein Wort, das uns nachdenklich stimmen sollte? In Furcht und
Zittern sollen wir an unserem Heil arbeiten. Warum? Wenn wir uns selbst
beobachten, stellen wir fest, daß wir in hohem Maße unberechenbar und
unzuverlässig sind. Wir sind unschwer abzulenken von dem, was uns unablässig
beschäftigen sollte: die Rettung unserer Seele. Wir sind
verführbar durch die Dinge der Welt, deren Anreiz wir nicht immer
widerstehen zu können glauben. Wir sind wandelbar in unserer Gesinnung,
abhängig von äußeren Einflüssen wie von Stimmungsschwankungen im eigenen
Innern. In unserer Brust wohnen Himmel und Hölle beieinander. Der Heilige
und der Verbrecher sind beide, jeder auf seine Art, in uns grundgelegt. Der
Widerstreit, den wir in uns tragen, schafft bittere Pein. Was würde
geschehen, wenn Christus nicht mit seinen überreichen Gnaden an unserer
Seite stünde, damit wir dem Bösen siegreich widerstehen! Es ist gut, um die
eigene Erbärmlichkeit gründlich Bescheid zu wissen. Nur so wird man davor
bewahrt, auf die eigene Kraft zu vertrauen, die in der Stunde der Gefahr
versagt. Die gründliche Selbsterkenntnis, die schmerzlich und beschämend
ist, bringt uns jener demütigen Haltung nahe, ohne die es kein gesundes
Tugendstreben gibt, und kein Wohlgefallen vor Gott. Erst wenn wir demütig
genug sind einzugestehen, daß wir trotz aller Gnadenerweise, die wir
erfahren durften, stets von neuem fähig sind, zum Verräter an Christus zu
werden, haben wir jene Grundlage in uns geschaffen, auf der sich das Heil
wirken läßt. Unser Vertrauen auf Gott wächst in dem Maße, in dem wir auf
Grund vieler Erfahrungen lernten, uns selbst mit Mißtrauen zu betrachten. Je
weniger wir von uns selbst zu erwarten wagen, desto mehr wird Gottes Gnade
in uns vollbringen und vollenden. So werden wir bis zum Ende unserer Tage in
Furcht und Zittern ob unserer Unzulänglichkeit an uns arbeiten und als
unnütze Knechte vom Erbarmen Gottes erwarten, was unsere menschlichen
Anstrengungen nie und nimmer zu erreichen vermögen: das Heil.
Es ist gleichbedeutend mit himmlischer Seligkeit.
"Ich kann nicht beten!" Du bist vielleicht zum Jähzorn
geneigt und hast gebetet um die Gnade der Sanftmut. Ein schweres Kreuz
drückt dich nieder, und du hast um Kraft gefleht zum Weitertragen. Eine
Krankheit zwang dich zur Untätigkeit, und du hast mit Gott gerungen um deine
Gesundung. Die Nöte des Leibes und der Seele, wie lehren sie beten! Ist das
Nicht-beten-können nicht auch so eine Not, nicht auch so eine Schwierigkeit,
mit der man zum Vater gehen sollte, damit er helfe? Viele, die ihr Elend im
Gebetsleben beklagen, denken nicht einmal daran, daß man um die Gnade des
Gebetes auch beten könnte. Wie kommt es, daß wir uns um diese hohe Gnade gar
nicht mühen? Wir arbeiten allen Ernstes an uns, um diese und jene Tugend zu
erlangen, und sind nicht erstaunt, wenn der Kampf heiß und zäh ist. Wir
sollten uns nicht weniger angestrengt mühen um die Gnade des Gebetes. Wie
enttäuscht sind wir darüber, daß uns das Beten nicht so ohne weiteres
gelingen will. Wir vergessen, daß die Gnade des Gebetes eine Gnade ist wie
der Glaube und die Liebe, die wir aus uns selber nicht zu erwerben vermögen,
wie man sich durch Fleiß Kenntnisse erwirbt.
Wie im gesamten Tugendstreben, so gilt auch im Gebetsleben das Gesetz: Ich
muß das Meinige tun, mich mühen, anstrengen, nach Möglichkeit in die rechte
Verfassung bringen. Ich muß mich so kräftig einsetzen, als wenn es lediglich
auf meine persönliche Tätigkeit ankäme, als wenn der Erfolg ausschließlich
von meinen Anstrengungen abhinge. Ich muß aber auch gleichzeitig bereit sein
für Gott, d. h. seiner Gnade die Wege ebnen durch die notwendigen
Aufnahmebedingungen. Wenn der Landmann seinen Samen auf ungepflücktes
Erdreich streut, was darf er sich dann an Ernte erhoffen? Wenn eine
Menschenseele Welt und nichts als Welt in sich trägt, wenn sie einen
Kleinkram von Sorgen und Wünschen beherbergt, Leidenschaften ungezügelt
wachsen und den Eigenwillen herrschen läßt, wie sollte sie da eine
Heimstätte für die Gnade des Gebetes sein oder werden können? Da heißt es
zunächst aufräumen, gründlich und schonungslos. Und dann bitten und warten
und nicht müde werden, wenn Gottes Stunde nicht zusammenfällt mit unserem
ungeduldigen Begehren.
Was verstehen wir unter dem Begriff: Beten? Beten heißt
sein Herz zu Gott erheben. Annäherung, Vereinigung, engeren Anschluß an ihn
suchen. So verschieden die Menschen in ihrer Erscheinung und in ihren
Anlagen sind, so verschieden sind sie auch in ihrer Art zu beten. So wenig
wie zwei Menschen vollkommen gleich denken, so wenig werden zwei vollkommen
gleich beten. Man sollte nicht zu ergründen suchen, wie andere beten, um
ihre Methode nachzuahmen, was uns nicht gelingen wird, denn ihr Weg ist
nicht der unsrige, sondern wir sollten, nachdem wir das Unsrige getan haben,
vertrauensvoll dem Zug der Gnade in die Richtung folgen, in die sie uns
zieht. Es ist wichtig herauszufinden, wie ich die rascheste
und sicherste Annäherung an Gott finde.
Welche Wege ich dabei gehe, welche Mittel ich gebrauche, das ist eine
vollständig persönliche Sache, so persönlich, daß sie nur meine eigene Seele
betrifft. Für mich mag es Wege und Mittel geben, die mir selbst in
ausgezeichneter Weise dienen. Ein anderer, dem ich sie klarzumachen suche,
kann vielleicht nichts damit anfangen. Dies beweist, wie individuell die
Führung ist, die Gott den Seelen angedeihen läßt. Darum muß man sich von der
Gnade führen lassen. Es gibt keinen Menschen, und wäre er ein Heiliger, der
einen anderen das persönliche Beten lehren könnte. Er kann ihm nur die Wege
zeigen, die zum Erfolg führen, er kann ihn nur anleiten und ihm wertvolle
Winke geben. Er kann ihm schließlich noch helfen, die seiner Eigenart
entsprechende Gebetsweise zu entdecken, dann wird er ihn klugerweise allein
lassen mit seinem Gott. Wie soll ich dann beten lernen? Wie lerne ich denn
das Geigenspiel, wie erlerne ich eine Fremdsprache? Durch Fleiß, Ausdauer
und Übung. Wie lerne ich beten? Nicht anders!
Beten heißt Anschluß suchen an Gott. Es ist eine irrige Meinung zu glauben,
es bedürfe hoher mystischer Gebetsweisen, um diesen Anschluß zu finden. Oder
von Beten könne nur dann die Rede sein, wenn einer die Gnade der Beschauung
besitzt oder doch wenigstens eine regelrechte Betrachtung zustande bringt.
Die erstere ist ein Zustand mystischer Erhebung, der außerhalb unseres
Willensbereiches liegt. Hier handelt es sich um ein Gnadengeschenk, das Gott
einer Seele aus freier Wahl zu spenden geruht. Anders die Betrachtung.
Darunter verstehen wir die Beschäftigung des Verstandes mit einer
Glaubenswahrheit, verbunden mit dem Aufruf der Affekte und des Willens,
damit die Erwägung nutzbringend werde. Hier spielt nicht nur die geistige,
sondern auch die religiöse Begabung eine Rolle. Der Schwachbegabte wird
hinter dem Gutbegabten zurückbleiben. Es gibt jedoch Zeiten, in denen eine
Betrachtung nicht gelingen will. Wie sollte ein schwerkranker, übermüdeter
oder seelisch bedrängter Mensch dazu fähig sein? Wenn die äußeren und
inneren Bedingungen nicht gegeben sind, kommt eine Betrachtung schwerlich
zustande. So liegt auch das betrachtende Gebet nicht ganz in unserer Macht.
Es betrachtet praktisch aber auch schon, wer einem beliebigen Gedanken
nachgeht, der ihn zu Gott führt.
Die Form des Betens und Betrachtens spielt keine Rolle. Hier ist oberstes
Gesetz: die größte innere Freiheit wahren. Ich darf ohne weiteres die Form
zerschlagen, die anderen ein unentbehrliches Hilfsmittel ist, sobald sie
anfängt, meine Bewegungsfreiheit zu hemmen. So soll ich mich auch nie dazu
zwingen, eine Betrachtung mit allen Punkten in einer bestimmten Zeit fertig
zu haben. Ich soll nicht mit der Uhr in der Hand dem Flug meiner Gedanken
folgen, um ihm nach so und so vielen Minuten Einhalt zu gebieten. Die Gnade
läßt sich nicht einengen in Formen, Regeln und Methoden nach Menschenart.
Gott verfährt nicht nach Art des Lehrers, der einem Schüler dann eine
Belohnung erteilt, wenn er das gegebene Thema in allen Punkten zu seiner
Zufriedenheit ausgearbeitet hat. Er kann am Anfang des Weges schon schenken,
was du dir am Ende als Frucht deiner Mühe erhoffst. Es gibt in der Tat
Menschenseelen, die der Herr ans Ziel stellt, ohne daß sie den Weg dorthin
zu gehen brauchen. Zuweilen sind es recht einfache Seelen, die über die
Erhabenheit großer Beter staunen und sich ihres eigenen Gesegnetseins gar
nicht bewußt sind.
Es ist etwas Ehrfurchtgebietendes um das wunderbare Walten der Gnade, um die
Unberechenbarkeit ihres Erscheinens, die geheimnisvolle Art ihres Wirkens
und um die durch kein menschliches Mittel beeinflußbare Freiheit dieses
Wirkens. Der Mensch vermag ihr nur die Aufgeschlossenheit seines Wesens zu
bieten, damit aber sind seine Möglichkeiten erschöpft. Ob sie ihm dann
zuteil wird oder nicht, das steht einzig und allein im Belieben Gottes.
Welche Art persönlichen Betens ist uns immer möglich?Dem
Herrn unser Herz hinhalten, das können wir doch wohl auch dann, wenn uns
Müdigkeit und Überdruß nicht zu Wort kommen lassen. Schweigen vor Gott im
Geiste der Hingabe, voll Andacht, Ehrfurcht und Aufgeschlossenheit, das ist
Gebet. Eine Seelenhaltung des Wartens, der Bereitschaft für ihn und seinen
Willen, ist ausgezeichnetes Gebet. Oder hinknien vor den Tabernakel und
unser Elend für uns sprechen lassen, heißt das nicht auch beten? Rührt die
stumme Not des vor der Kirchentüre liegenden Krüppels unsere Herzen nicht
mächtiger, als Worte es vermöchten? Oder in der Stunde der Unfähigkeit dem
Herrn in aller Demut sagen: Hier bin ich und so bin ich, so hilflos, so
armselig, so unfähig zum Guten, so ganz auf dein Erbarmen angewiesen. Ich
vertraue, daß du trotzdem etwas aus mir machen wirst, und, wenn es ein
Werden sein soll in Drangsal und Betrübnis, wohlan denn, es fegen ja auch
die Frühlingsstürme gewaltig über das Land und bereiten den Weg für das
tausendfache Leben der neuen Erde.
Betet nicht auch der Kranke, dem das Fieber in den Adern rast, der in seinen
Schmerzen keiner Worte fähig ist und nur hin und wieder einmal in ruhigeren
Augenblicken zu denken vermag: Es sei, wie du willst? - Betet nicht auch der
von schweren Heimsuchungen Zermürbte, dem das Leid wie Zentnerlasten auf der
Seele liegt, wenn er den Gedanken der Ergebung in sich trägt: Es ist mir
recht so, Herr? - Betet nicht auch der, dem vor lauter Müdigkeit der Faden
zehnmal reißt bei einem Vaterunser? Oder der stumm vor
seinem Gott kniet, weil er in der Fülle dessen, was ihm die Seele bewegt,
nichts mehr in Worte fassen kann? Oder jene andere, dem vor Trockenheit und
Überdruß das dürrste Wörtlein nicht über die Lippen will? - Betet der nicht,
der sich freut über Christi wundersame Gegenwart, dem das Glück, in solcher
Nähe weilen zu dürfen, die Seele schwellt, auch wenn es keinen Ausdruck
dafür zu finden weiß? - Betet der nicht, der aufschaut zu einem Gruß, wenn
er an einem Feldkreuz vorübergeht? - Beten sie nicht alle, die Weinenden,
die Trauernden, die Einsamen, die Unglücklichen, die ihm nichts mehr sagen
als ein schluchzendes Ja, Vater? Betet nicht schließlich jeder, der sein
Kreuz trägt, weil Gott es will?
Der Zustand der Hingabe bedeutet für das Gebetsleben so recht das, was im
natürlichen Leben die Ackerscholle dem Samenkorn bedeutet: Grundlage zum
Wachsen, Werden und Fruchtbringen. Gebet und Betrachtung sind nicht
Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, und der heißt: vollkommene
Vereinigung mit Gott. Es gibt Menschen, die selten oder nie eine regelrechte
Betrachtung zustande bringen und die doch recht gut beten. Wo immer wir
persönliche Wege gehen, die zu Gott führen, da beten wir gut. "Immerdar
beten" im Sinne Christi heißt die Stimmung, die Gesinnung, die Neigung des
Herzens auf Gott gerichtet halten.
Gut betet, wer für sich selbst und seine Interessen, d. h. seine persönliche
Heiligung, betet. Besser betet, wem seine Brüder in Christus soviel
bedeuten, daß ihre Not die seine ist, dem das "wir" und "unser" näher liegt
als das "ich" und "mein". Am besten betet, wem der Vater im Himmel mit
seinen Interessen soviel ist, daß er alles andere darüber vergißt.