Einleitung:
Alle welche wirkliche Christen sein wollen, sind zu
diesem Stand der lauteren Liebe und Vollkommenheit berufen. Damit sie
diesen Stand aber erreichen können, wird ihnen kraft der Berufung auch die
nötige Gnade dargereicht werden.
Das innere Gebet ist für alle
Menschen geeignet, ja selbst die einfältigsten Leute können dieses Gebet ver-
richten. Das Mittel und der Weg dazu ist kurz, das heißt aber nicht, dass man
sogleich vollkommen sei, denn man geht von Stufe zu Stufe. Das innere Gebet
bringt uns am schnellsten zur Vereinigung mit Gott und zur Übereinstimmung mit
seinem Willen. Nach vielen Abwechselungen, Prüfungen und Reinigungen in und nach
diesem Leben werden wir uns durch die Überlassung, durch die Vereinigung und
durch die Umgestaltung unseres Willens in den Willen Gottes so befestigt und
bestätigt finden, dass wir in uns keinen eigenen Willen mehr finden können. Wir
werden nur noch das wollen, was Gott will, so dass der Wille Gottes unser Wille
geworden ist.
Dass aber dieses schon in
diesem Leben geschehen kann und muss, ist unbestritten, obgleich auch nach dem
Tode noch eine größere Vollendung erfolgt. Denn wenn man die Hingabe unseres
Willens an den Willen Gottes in diesem Leben noch nicht haben könnte, so würde
Jesus Christus nicht befohlen haben, um solches zu bitten, indem Er sprach:
Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel. Hätten nämlich nur die Seligen
im Himmel die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, so hätte ja Jesus um etwas
gebeten, das gar nicht möglich gewesen wäre. Wir sehen also, dass das innere
Gebet nichts Neues ist. Man hat allezeit um die Erfüllung des Willens Gottes
gebetet. Jesus Christus hat sein ganzes Leben im inneren Gebet zugebracht und
ganze Nächte darin verharrt.
Madame Guyon - Das innere Gebet