Kirche Weitental

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nähere dich deinem Vater, der nichts als Liebe ist. Bei Ihm findest du wahren und echten Frieden, der alles Irdische überstrahlt

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Kehrt um!

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Es gibt Worte, die kommen nicht gut an: Reue, Gewissenserforschung, Umkehr und – ganz schlimm: Buße. Aus dem weltlichen Sprachschatz sind sie weitgehend verschwunden, es sei denn, man erinnert die Kirche, wie jetzt im Zusammenhang mit dem Mißbrauchsskandal, mit Schadenfreude an ihre eigenen Spielregeln...
(V2000/2010)


 
I N H A L T
 

Kehrt um 

Einleitung

Es gibt Worte, die kommen einfach nicht gut an: Reue, Gewissenserforschung, Umkehr und – ganz schlimm: Buße. Aus dem weltlichen Sprachschatz sind sie weitgehend verschwunden, es sei denn, man erinnert die Kirche, wie jetzt im Zusammenhang mit dem Mißbrauchsskandal, mit Schadenfreude an ihre eigenen Spielregeln. Die Kirche müsse Buße tun. Große international agierende Rechtsanwaltskanzleien helfen mit lukrativen Prozessen nach, daß sie wenigstens materiell büßt.

Aber zurück zu den schwer verdaulichen, oben erwähnten Begriffen: Papst Benedikt XVI. ist in letzter Zeit mehrfach auf sie zu sprechen gekommen, gerade im Zusammenhang mit den Miß?brauchsfällen. Wir greifen dieses Anliegen auf, denn Umkehr und Buße haben auch im kirchlichen Sprachschatz nicht gerade hohen Kurswert. Es kommt nicht oft vor, daß wir in eindringlichen Predigten ermahnt werden, unser Gewissen zu erforschen.
Man hat ja der Kirche lange genug vorgeworfen, sie unterdrücke die Menschen, belade sie mit Schuldgefühlen. Damit müsse jetzt, im Zeitalter des Fortschritts Schluß sein. Das Positive, die Freude am Glauben müsse im Vordergrund stehen. Die Liebe Gottes zu den Menschen gelte es zu verkündigen, Seine Barmherzigkeit! Und das stimmt fraglos. Das Reich Gottes ist ja nahe, seit Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist.
Dennoch müssen wir uns die Frage stellen: Wie antworten wir auf diese Botschaft? Wie sehr prägt sie unser Leben? Leben wir aus der Nähe Gottes? Das sind zu allen Zeiten notwendige Anfragen. Daher ist der Appell „Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15), Jesu erster Aufruf an Seine Zeitgenossen, auch heute an uns gerichtet. „Kehrt um!“ Diesen Appell wollen wir auf den folgenden Seiten von verschiedenen Blickwinkeln her beleuchten.

C. Gaspari



Den geistigen Kosmos entgiften

Über die Notwendigkeit von Umkehr und Buße (Urs Keusch)

„Ich bin ok. – Du bist ok.“ – ein oft gehörter Slogan. Kann man uns heutigen Menschen, die sich eigentlich für ok. halten, den Gedanken von Umkehr und Buße nahebringen? Eher schwer. Der folgende Beitrag versucht es dennoch.
Als Geschöpfe sind wir alle in einen Kosmos hineingestellt und hineinvernetzt, in eine von Gott geschaffene natürliche Ordnung, das Ökosystem, die Biosphäre. („In Ihm ist alles geschaffen im Himmel und auf Erden, in Ihm hat alles Bestand“ [Kol 1,16f]). Nun erleben wir, wie die „Sünden der Umweltverschmutzung“ der vergangenen 150 Jahre die ganze Welt in eine katastrophale Situation gebracht haben: Verunreinigung der Atemluft durch Abgase und Schadstoffe, Verschmutzung der Böden, Flüsse, Meere, Ozeane (Chemikalien, Atommüll, Erdöl), Schädigung der Lebensmittel und so weiter.
Das führt weltweit zu immer häufiger auftretenden negativen Folgen: zu schwer erklärbaren Er?krankungen (Allergien, lähmende Müdigkeit, Krebs, Autoimmun-Erkrankungen, an denen heute viele leiden und verzweifeln), zu Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit, zum Aussterben von Pflanzen- und Tierarten… Und all das wegen millionenfacher „schwerer und läßlicher Sünden“ gegen die Natur – und wegen mangelnder Bereitschaft zur Umkehr.
Wir sehen : Mit jeder noch so läßlichen „Umweltsünde“ (un?nöti?ges Autofahren und Fliegen, gedankenloses Einkaufen, benutzen von Treibhausgasen) tragen wir persönlich zur Katastrophe bei. 
Übertragen wir das Bild auf die moralische Welt, den geistigen Kosmos: Als Gottes Geschöpfe, als geistige und moralische Wesen, als Glieder der einen Menschheit sind wir in eine Welt, in einen geistigen Kosmos hineingestellt, der auf Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe, Mitgefühl beruht. Das gilt besonders auch für den „Organismus Kirche“: „Wir sind alle ein Leib“ (1 Kor 12).
Wenn ich nach dem biblischen Gesetz Gottes lebe: nach Seinen Weisungen, nach der Liebe und Gerechtigkeit, nach der Führung meines Gewissens, bin ich in Harmonie mit dieser heiligen und geistigen Ordnung, im Einklang mit dem Willen Gottes. Wenn ich aber Sünden begehe, das heißt, Dinge tue oder unterlasse, die gegen Got?tes Weisungen und mein tiefstes Gewissen sind (etwa lüge, lieblos urteile, mein Geld nicht mit den Armen teile, die geschlechtlichen Kräfte mißbrauche, in Film und PC in unreinen Gewässern surfe, die Kirche im Stich lasse…), dann verunreinige, ja vergifte ich damit nicht nur mich selbst, sondern den ganzen geistigen Kosmos.
Ich werde schuldig an Gott und Seiner heiligen Ordnung und an Seiner ganzen heiligen Kirche. Und ich beziehe damit die ganze Menschheit mit ein, analog zur Umweltverschmutzung. Diese Sünden werden schließlich sichtbar auf den Gesichtern der Menschen: in ihrer Depressivität und Hoffnungslosigkeit, im Erlöschen des Lichtes in den Augen der jungen Menschen, im krankhaften Verlangen vieler, sich selbst zu entwürdigen und oft auch sich zu töten.
In den Völkern offenbaren sich die Sünden in der Schwächung der schöpferischen Kräfte, im Zerfall der Familien, in Kulturzerfall, Nihilismus, Hedonismus, Entartung der Sitten... So hat jede Sünde, die ich begehe, immer auch Auswirkungen auf das Gan?ze, den ganzen geistigen Kosmos: ja, sie lebt darin als eine geistige, vergiftende Wirklichkeit fort, analog zur Umweltvergiftung.
Nun schenkt uns die Barmherzigkeit Gottes die Möglichkeit, das Böse, das ich getan habe, das als Gift hineinwirkt in den Leib der Kirche, ja in den geistigen, moralischen Kosmos der ganzen Menschheit und da fortwirkt, durch echte Umkehr und Buße zu tilgen und zu bereinigen. Das ist die gottgeschenkte Therapie: die Entgiftungstherapie für den Leib der Kirche, für den Leib der ganzen Menschheit. Und es ist die Therapie für meine eigene, durch die Sünde krank gewordene Seele. Und wenn sie schon tot ist: zu ihrer Auferstehung! „Also kehrt um, und tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden“ (Apg 3,19).
n „Buße“ kommt vom deutschen „Bessern“. Buße zu tun, heißt darum zuallererst, den entschiedenen Willen haben, mich zu bessern (klare und feste Vorsätze!). Es heißt: „Radikale Neuausrichtung des ganzen Lebens, Rückkehr, Umkehr zu Gott aus ganzem Herzen, Verzicht auf Sünde, Abwendung vom Bösen, verbunden mit einer Abneigung gegen die bösen Taten, die wir begangen haben“ (Katechismus 1431).
Weil dieser ganz entschiedene Wille bei vielen sakramentalen Beichten fehlt, bleiben viele Menschen auf ihrem Weg stehen, machen keine wirklichen Fortschritte in den Tugenden, der Erkenntnis Gottes. Sie wachsen nicht hinein in die Fröhlichkeit und Freiheit des Heiligen Geistes, stagnieren vielmehr in ihrem geistigen Wachstum, werden nicht selten träge, unzufrieden mit sich selbst und mit der Welt. Dazu sagt der heilige Don Bosco: „Was bei den Beichten oft ganz und gar fehlt, das sind die festen Vorsätze... Das sind Beichten mit nur geringem oder gar keinem Wert“.
n Ich muß und darf für die Strafe, die ich für meine Sünde verdiene, büßen (analog zum zivilen Leben, wenn ich schuldig geworden bin). Die Buße wird mir der Beichtvater auferlegen. Leider wird darauf in vielen Beichten zu wenig wert gelegt. Darum sollte sich jeder freiwillig eine Buße auferlegen, die ihn etwas kostet und davon abhält, diese Sünde wieder zu begehen.
n Damit wären wir beim pädagogischen und psychologischen Aspekt der Buße, der leider in diesem Zusammenhang immer wieder zu kurz kommt: Jede Sünde, die ich begehe, hinterläßt eine Schwächung meines Willens, so wie jede Zigarette, die ich rauche, mich mehr schwächt, das Rauchen einmal aufzugeben. Also muß ich Gegengewichte setzen, muß das negative Gefälle auf die andere Seite hin zum Kippen bringen:
Habe ich gelogen, suche ich bewußt Gelegenheiten auf, wo es mir schwer fällt, die Wahrheit zu sagen. Das macht mich innerlich stärker und selbstbewußter. Habe ich zu viel getrunken, verzichte ich bewußt einige Wochen oder Monate auf jeden Tropfen Alkohol: Das macht mich größer, auch in den Augen anderer. Habe ich mir einen schlechten Film angesehen, verbiete ich mir für längere Zeit das Fernsehen oder lasse es künftig ganz sein: Das gibt mir das stolze Bewußtsein als Christ, Herr meiner selbst zu sein. „Wenn dich dein Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus!“
Echte Buße wird immer weh tun, aber sie ist ein österliches Geschenk an den Menschen, der sich aus tiefster Seele nach innerer Erneuerung, nach Reinheit, nach Neuwerdung sehnt. Es ist die Sehnsucht nach der verlorenen Königswürde, die uns Christus in der Taufe geschenkt hat, die wir aber durch die Sünde verloren haben. Könige sind wir, Könige werden wir sein, eine heilige Priesterschaft, „wenn wir an der Zuversicht und an dem stolzen Bewußtsein festhalten, das unsere Hoffnung uns verleiht“ (Hebr 3,6). (Siehe auch den Text von Foerster auf dieser Seite)
Es wäre noch vieles zu diesem Thema zu sagen. Beten Sie, daß der Heilige Geist Sie lehre, an ihrem Ort in rechter Weise Buße zu tun. Es ist alles ganz einfach, wenn wir als Kinder vor Gott leben. Ich möchte Ihnen zwei schöne Texte mit auf den Weg geben, der erste stammt von der deutschen Mystikerin Hl. Mechthild von Hackeborn, der zweite von Juliana von Norwich.
Zur heiligen Mechtild sagt der Herr: „Solange der Sünder sündigt, fesselt er mich gleichsam ausgespannt an das Kreuz. Sobald er aber durch Buße sich zu mir bekehrt, löst er mich alsobald los; und ich, vom Kreuze gleichsam abgelöst, falle mitsamt meiner Gnade und Erbarmung, mit meiner ganzen Last auf ihn, wie ich einst auf Joseph, der mich vom Kreuz losband, herabsank, und gebe mich gänzlich in seine Gewalt, so daß er mit mir machen kann, was er will“.
Und welche Buße Gott am meisten gefällt, dazu findet sich ein schöner Text in den Schriften von Juliana von Norwich: „Mir wurde ganz besonders erhaben und holdselig offenbart, daß wir in Demut und Geduld jene Buße tragen und erdulden sollen, die Gott selbst uns auferlegt, und dabei an Sein heiliges Leiden denken sollen… Denn Er blickt uns milde an und sieht, daß unser ganzes Leben hier eine Buße ist. Denn unsere natürliche Sehnsucht nach Ihm ist eine dauernde Buße, die Er in uns schafft… Diese Sehnsucht will Er in uns sehen, denn das ist unsere natürliche und größte Buße“.

Der Autor ist Pfarrer emeritus in Bad Ragaz/Schweiz.

  

Ohne Selbsterkenntnis kein Fortschritt

Aufbauend auf rein weltlichen Beobachtungen und Überlegungen kommt der Pädagoge und Philosoph, Friedrich Wilhelm Foerster, ein prominenter Kritiker des Nationalsozialismus, zu der Einsicht, daß Umkehr und Buße von entscheidender Bedeutung für die menschliche Entfaltung sind.
Es gibt eine Wiedergeburt, auch nach dem tiefsten Fall. Es gibt eine Möglichkeit, Schuld und Irrtum wieder gut zu machen. Es gibt einen Weg zu reinigender Sühne für jeden Menschen. Die Vorbedingung dazu aber ist der Schrecken des Menschen vor sich selbst, die tiefinnere Demütigung, das volle Eingeständnis der Schuld. Daraus entsteht von selbst das elementare Bedürfnis nach Buße, das nicht etwa ein künstliches Produkt religiöser Einwirkungen ist, sondern aus der tiefsten Erneuerungskraft der menschlichen Natur stammt.
Ohne Selbsterkenntnis, Reue und Buße gibt es keinen inneren Fortschritt des Menschen.
Das Entbehren, das Tun oder das Leiden, das der Mensch sich selber auferlegt, um seinem alten Selbst die Macht eines neuen Willens zu zeigen, das ist der einzige Weg für ihn, von sich selbst frei zu werden, über sich selbst hinauszuwachsen – ohne das gibt es nichts als Stagnation und innere Fäulnis.
Es ist das Zeichen einer innerlich unverdorbenen Seele, wenn ein Mensch noch das Verlangen und die Kraft hat, seine Schuld durch unbarmherzige Selbsterkenntnis und Selbstverurteilung gleichsam auszubrennen und durch selbstgewählte oder willig angenommene Buße die Kraft des höheren Strebens in seiner Seele zu stärken und zu befestigen. Wer dazu fähig ist, der bewahrt sich ewige Jugend, der rettet sich vor jener seelischen Verkalkung, der so viele Menschen aus Selbstzufriedenheit und Bequemlichkeit schon in jungen Jahren verfallen.
Es gibt fortschreitende und stillstehende, aktive und passive Menschen: Nur wer sich selbst erkennen, wer sich demütigen, wer bereuen und sühnen kann, der schreitet fort und erhebt sich dem Leben gegenüber und sich selbst gegenüber aus dem passiven Stand in den aktiven Stand.

Aus: „Lebensführung“ von Friedrich Wilhelm Foerster, Pädagoge (+1966 Kilchberg, Schweiz)
 

Psychotherapie: Ein Weg zur Umkehr?

Gewissenserforschung, Umkehr, Buße aus psychotherapeutischer Sicht

Die Beichtstühle haben sich geleert, die Warteräume der Psychotherapeuten gefüllt. Ist Psychotherapie also der zeit?gemäße Ersatz für das Sündenbekenntnis? Gespräch über diesen Fragenkomplex mit einem Psychotherapeuten.

Kann der Psychotherapeut etwas mit dem Begriff Umkehr anfangen?
Univ. Doz. Raphael Bonelli
: Auf´s erste nicht, weil es diesen Begriff in der Psychotherapie eigentlich nicht gibt. Der religiöse Begriff Umkehr besagt ja, daß man einen Weg gegangen ist, der falsch war, daß man dies erkennt und jetzt den Entschluß faßt, den richtigen Weg zu gehen. Das setzt also voraus, daß es so etwas wie „richtig“ und „falsch“ gibt. Beides sind aber Begriffe, die so in der klassischen Psychotherapie nicht vorkommen. Sie beurteilt nach einem anderen Kriterium. Sie fragt: Tut dir etwas gut? Oder nicht? Diese Fragestellung hat keinen transzendenten, allgemeingültigen Bezugspunkt, sondern sie bezieht sich nur auf die psychische Situation. Es geht der Psychotherapie in erster Linie um die Befindlichkeit des Klienten.

Tun dem Menschen nicht nur Verhaltensweisen gut, die in sich richtig und gut sind?
Bonelli
: Ja, doch, aber der Psychotherapeut weiß nicht, was richtig und gut ist. Man kann in der Psychotherapie darauf kommen, daß jemandem etwas nicht gutgetan hat und es daher angebracht erscheint, von nun an etwas anders zu machen. Aber die moralische Beurteilung: „Das habe ich falsch gemacht, es war eine Sünde und jetzt kehre ich zu dem zurück, wie es wirklich gehört…“ – das gibt es genau genommen in der Psychotherapie nicht. Das ist auch ihre größte Einschränkung.

Der Maßstab ist also rein subjektiv? Anders bei jedem einzelnen?
Bonelli
: Richtig. Vom Konzept der Psychotherapie tut mir beispielsweise etwas anderes gut als Ihnen. Deswegen darf der Psychotherapeut seinem Klienten auch nicht sagen, was ihm guttut. Das wäre ein Übergriff. Der Klient entdeckt mit Hilfe des Therapeuten selbst, was ihm guttut. Es gibt allerdings einige Phänomene in der modernen Psychotherapie, die dem Begriff der Umkehr nahekommen. So weiß man etwa, daß es in einem Konflikt verschiedene Perspektiven gibt. Daher kann man einen erstarrten Konflikt dadurch auflösen, daß man mit dem Betroffenen übt, die Sicht anderer am Konflikt Beteiligten ins Auge zu fassen, also die Perspektive zu wechseln. Etwa bei einem Ehekonflikt: Wie sieht das Ihre Frau, wie sehen es Ihre Kinder? Bei dieser Übung relativiert sich dann die eigene Position, die eigene verhedderte Denkweise. Da kommt man der Umkehr sehr nahe. Denn bei der Umkehr im religiösen Sinn merke ich plötzlich in einem Aha-Erlebnis, daß durch meine Handlung jemand anderer gelitten hat, daß ich also etwas Böses getan habe, von dem ich mich abwenden und für das ich um Vergebung bitten muß.

Können Sie den Unterschied noch einmal klarstellen, was die psychotherapeutische und die religiöse „Umkehr“ unterscheidet?
Bonelli:
Die Umkehr im Sinn der Psychotherapie ist die Erkenntnis: Das hat mir nicht gutgetan. Das mach’ ich in Zukunft anders. Die religiöse Umkehr ist die Einsicht: Ich habe gegen Gottes Gebote verstoßen, was ich getan habe ist objektiv falsch. Ich habe anderen geschadet. Im Vertrauen darauf, daß dies richtig und gut ist, unterwerfe ich mich den Geboten Gottes.

Wenn es also keine objektiven Maßstäbe für gut gibt, kann die Psychotherapie dann etwas mit dem Begriff Schuld anfangen?
Bonelli
: In der psychotherapeutischen Bewegung gibt es oft die Tendenz, die Schuld für das Leiden bei den anderen zu suchen und nicht bei sich selber. Bei Menschen, die lang in psychotherapeutischer Behandlung waren, erlebt man oft, daß sie sich in den Gedanken eingepuppt haben: Ich bin ein Opfer, die anderen haben mir Böses getan. Fragt man sie dann: Kann es nicht sein, daß auch sie etwas falsch gemacht haben? – so kann es zu einer echten Befreiung kommen. Denn die Opferrolle, aus der man nicht herausfindet, erzeugt eine enorme Unfreiheit, denn niemand kann seine Geschichte ändern. Wenn einer aber entdeckt, daß er auch etwas zu seiner derzeitigen Notsituation beigetragen hat, erschließt er einen Handlungsspielraum für eine Veränderung. Und das wirkt befreiend.

Ein konkreter Fall?
Bonelli:
Ein Klient hatte 10 Jahre lang Therapien gemacht. Dann kam er zu mir, sehen, ob ich eine „neue“ Idee habe. Nach zwei Stunden sage ich ihm, er habe mir alle aufgezählt, die ihn traumatisiert haben, und frage ihn dann: „Ich sehe sehr viel Unversöhnlichkeit in Ihrem Leben. Könnte es nicht sein, daß Sie dadurch mitverantwortlich sind für Ihr Unglück?“ Das war für ihn eine Offenbarung. Niemand hatte ihn das je gefragt. Es war der Auslöser dafür, daß er einen ganz neuen Weg eingeschlagen hat, indem er begonnen hat, anderen zu verzeihen. Als Psychotherapeut bin ich allerdings nicht zuständig, die Menschen direkt zu Gott zu führen. In der Psychotherapie geht es um die Selbsterkenntnis des Patienten. Aber man kann Fragen stellen, die Aha-Erlebnisse auslösen und mitunter zu einer Gotteserfahrung werden.
Ist das nicht fast schon Gewissenserforschung?
Bonelli: Nicht in dem Sinn, wie es die Kirche anbietet. Wer zur Beichte geht, tut dies auf dem Hintergrund des Wissens: Du wirst immer wieder schuldig. Aber es gibt die Möglichkeit, dafür Verzeihung geschenkt zu bekommen. Gäbe es keine Schuld, wäre die Beichte sinnlos. Das Bewußtsein jedoch, daß man selber schuldig werden kann, ist in vielen Köpfen nicht mehr vorhanden. Viele sind sehr sensibel dafür, daß man an ihnen schuldig wurde. Daß auch sie schuldig werden können, sehen sie nicht. Und damit verheddern sie sich in eine Art Gefangenschaft. Die Verantwortung für eine Schuld auf sich zu nehmen, dann hingehen und sich entschuldigen – das ist eine großartige Befreiung, die allerdings ohne diese Einsicht nicht stattfinden kann. Für den psychisch gesunden Menschen ist es von großer Bedeutung, zur Umkehr fähig zu sein. Jeder geht notwendigerweise in Sackgassen. Der Egoismus, die Ichhaftigkeit, ist eine typische Sackgasse. Der Psychotherapeut Fritz Künkel hat dies als eine der Ursachen für die Neurose beschrieben. Wer immer nur um sich kreist, kann den anderen und das Geschehen rund um sich nicht mehr richtig sehen. Weil jeder Mensch von dieser Gefahr bedroht ist, besteht fortgesetzt, auch psycho-dynamisch, die Notwendigkeit einer Korrektur.
In solchen Fällen könnte Psychotherapie helfen?
Bonelli: Ja, sie kann dieses Phänomen ins Bewußtsein heben, würde es aber nicht moralisch bewerten. Sie würde die ichhafte Weltsicht als ein Phänomen beschreiben, das einem nicht guttut. Künkel stellt den ichhaften, dem sachlichen Menschen gegenüber. Letzterer hat so viel Distanz von sich selber, daß er zu selbstlosen Handlungen fähig ist. Künkel bringt das Beispiel: Ein Mann führt eine alte Frau über die Straße. Der ichhafte Mensch denkt dann: „Ich habe geholfen, hoffentlich wurde ich gesehen. Was bin ich doch für ein guter Mensch…“ Der sachliche Mensch hingegen: „Die alte Frau wäre nicht allein hinübergekommen. Gott sei Dank wurde ihr geholfen.“ Und er beläßt es dabei. Daran wird deutlich: Gute Handlungen, die ichhaft begangen werden, neurotisieren.
Nun zum Begriffe Buße. Kann der Psychotherapeut damit etwas anfangen?
Bonelli: Psychodynamisch tut es dem Menschen einfach gut, wenn er, nachdem er schwere Schuld auf sich geladen hat (nach einer Abtreibung, einer schweren Verfehlung, ein arger Verrat), etwas zur Wiedergutmachung tun kann. Es vermittelt das Gefühl, sich reingewaschen zu haben. In dieser Haltung geht man ja auch zu dem, den man geschädigt hat, und bittet um Vergebung. Das ist ja etwas sehr Schönes und eigentlich Normales.

Es erfordert aber Courage…
Bonelli: Ja, denn man könnte ja ausweichen, wegschauen. Wer um Entschuldigung bittet, dem verzeiht eigentlich fast jeder.


Themenwechsel: Schuldgefühle. Gibt es da eine krankhafte Dimension?
Bonelli: Obwohl Schuld in der Psychotherapie negiert wurde, war dies bei Schuldgefühlen nie der Fall. Zwischen beidem besteht allerdings ein Zusammenhang. Es gibt meiner Ansicht nach pathologische und physiologische Schuldgefühle. Erstere sind entweder übertrieben oder bestehen überhaupt zu Unrecht. Die physiologischen hingegen sind die richtige Reaktion eines gesunden Gewissens auf eine böse Tat. Allerdings wurden in der Psychotherapie lange Zeit alle Schuldgefühle als pathologisch eingestuft und damit Schuld negiert.
In welcher Form tritt diese krankhafte Art von Schuldgefühlen auf?
Bonelli: Es gibt die Skrupel: Menschen kommen nicht davon weg, daß sie nicht perfekt gehandelt haben. Und weiters: wenn jemand die Größe der Schuld massiv übertreibt. Dann geschieht es, daß jemand beichtet und meint, es sei ihm nicht vergeben. Wer nach einer Beichte noch einmal und noch einmal dieselbe Sünde beichtet, dann spricht man von Skrupeln. Gute Beichtväter merken das. Da kann dann eine Psychotherapie helfen.


Inwiefern?
Bonelli: Man kann aufarbeiten, welcher Mechanismus bewirkt, daß sich jemand so an eine Schuld hängt. Meist steckt Perfektionismus dahinter: Man kann sich den Mangel an Perfektion selbst nicht verzeihen. In der Beichte geht es nämlich nicht darum, daß man sich selbst durchschaut, sondern sie ist der Raum, in dem Gott die Sünden verzeiht. Daher ist Psychotherapie manchmal eine gute Hilfe für die Gewissenserforschung.
Manchmal hilft es einem Menschen, seine Handlungsmotive zu untersuchen in einem Raum, wo diese Motive nicht gleich moralisch beurteilt werden. Da kann der Therapeut helfen. Das gilt besonders bei Perfektionisten. Sie beurteilen sofort alles, halten aber keine schlechte Beurteilung aus. Und weil dies der Fall ist, blenden sie manches einfach aus. Alle anderen sehen, was falsch läuft, nur der Betroffene erkennt seine Motivationen nicht, weil er sich ja daran klammert, nie etwas falsch zu machen. Eine solche Konstellation kann man auflösen, indem man dem Patienten die entsprechenden Fragen stellt. Und dann kann ihm klar werden, was er lange verdrängt hat.


In welcher anderen Form kann der Umgang mit Schuld krankhaft sein?
Bonelli: Der Narzißt zum Beispiel ist überzeugt, nie etwas falsch zu machen. Er kreist selbstverliebt um sich und ist begeistert von allem, was er sagt und tut. In dieser Form des Selbstbetrugs leben wir mehr oder weniger alle – nur der Narzißt im pathologischen Ausmaß.
Gibt es unter Christen auch so etwas wie einen psychisch belastenden Leistungsstreß?
Bonelli: Unter religiösen Menschen findet man häufig einen Hang zum Perfektionismus. Sie meinen, das Idealbild darstellen zu müssen. Johannes Torello hat das als neurotische Spiritualität bezeichnet. Wir haben zwar alle Christus als Ideal vor Augen, müssen alle von Ihm lernen, aber wir müssen damit leben, daß Er uns in jeder Hinsicht überragt. Unsere Aufgabe ist es, uns auf Ihn zuzubewegen. Wenn einer nicht aushält, daß er nicht vollkommen ist, daß er sündigt und daher beichten gehen muß, dann ist er ein Perfektionist – und da kommen echte Schwierigkeiten auf ihn zu. Da ist auch Stolz im Spiel.
Ist die Psychotherapie heute ein Ersatz für Beichte und Umkehr?
Bonelli: Wir kommen aus einer Zeit, in der die Kirche den Menschen Bezugspunkte zur Lebensgestaltung vermittelt hat. Heute leben viele Menschen ohne solche Orientierung außer der Selbstverwirklichung. Das läßt sich am besten an den Mann-Frau-Beziehungen illustrieren, wie ich an vielen Klienten feststelle. Früher war klar: Man heiratet und bleibt einander ein Leben lang treu. Ein klares Konzept, wenn auch schwierig im Leben umzusetzen. Heute muß man sich fragen: Wie kann ich meine Pachtwork-Family am besten leben und ist es ok, wenn ich eine Außenbeziehung habe? Das sind komplizierte Lebenskonstellationen, auf die man gar keine klare Antwort haben möchte. Aber wegen des Unbehagens, das man empfindet, sucht man doch eine.
Der vom Zeitgeist getriebene Durchschnittsmensch – also der Spießer – ist eigentlich sehr unfrei. Seine Bequemlichkeit, seine Denkmuster, seine Triebe, Wünsche und ichhaften Vorstellungen schränken seinen Handlungsspielraum ein. Wirklich frei ist nur der Heilige, weil Tugenden die persönliche Freiheit erhöhen. Der Heilige hat auch kein Problem mit der Selbsterkenntnis, gesündigt zu haben, ja ein großer Sünder zu sein, weil er sich letztlich eben von Gott geliebt weiß und seine Vergebung erfahren hat. Gottferne Menschen jedoch leben im Selbstbetrug und in der Illusion, sie seien im Grunde ganz in Ordnung, sie brauchten eigentlich keine Sündenvergebung.
Univ. Doz. Raphael Bonelli ist Psychiater & Psychotherapeut in Wien. Das Gespräch mit ihm führte C. Gaspari.

 

Die Buße ist eine Gnade

(Papst Benedikt XVI.)

Die Buße ist eine Gnade. Es gibt eine Tendenz in der Exegese, die sagt: Jesus hätte in Galiläa eine Gnade ohne Bedingungen, eine absolut bedingungslose Gnade verkündigt, somit auch ohne Buße, eine Gnade an sich, ohne menschliche Vorbedingungen.
Doch dies ist eine falsche Interpretation der Gnade. Die Buße ist Gnade; es ist eine Gnade, daß wir unsere Sünde anerkennen, es ist eine Gnade, daß wir anerkennen, der Erneuerung, der Änderung, einer Umformung unseres Seins zu bedürfen. Buße, die Möglichkeit, Buße zu tun, ist ein Geschenk der Gnade.
Und ich muß sagen, daß wir Christen auch in der letzten Zeit oft das Wort Buße gemieden haben, es schien uns zu hart zu sein. Jetzt, unter den Angriffen der Welt, die von unseren Sünden sprechen, sehen wir, daß die Möglichkeit, Buße zu tun, Gnade ist.
Und wir sehen, daß es notwendig ist, Buße zu tun, das heißt anzuerkennen, was in unserem Leben falsch ist, sich für die Vergebung zu öffnen, sich auf die Vergebung vorzubereiten, sich verwandeln zu lassen. Der Schmerz der Buße, das heißt der Reinigung, der Umformung, dieser Schmerz ist Gnade, da er Erneuerung, Werk der göttlichen Barmherzigkeit ist.

Papst Benedikt XVI.

Aus der Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Mitgliedern der Päpstlichen Bibelkommission am 15.4.2010


Askese gehört zum christlichen Leben

Auseinandersetzung mit der Frage: Welchen Sinn haben Bußübungen?

Bußübungen – gibt es das heute überhaupt noch? Paßt das im 20. Jahrhundert noch ins christ?liche Leben: Fasten, nächtliches Wachen, Verzichten? Im fol?genden Gedanken dazu aus zwei Interviews zum Stellenwert von Buße im christlichen Leben:Sich von Bindungen befreien

Was ist Askese?
P. Antoine d’Augustin
: Zunächst einmal möchte ich in Erinnerung rufen, daß die erste und wichtigste asketische Übung darin besteht, den Willen des Herrn zu erfüllen! Also seine Standespflichten zu erfüllen: normal zu beten, den Nächsten zu lieben, von seinem Glauben Zeugnis abzulegen, seine Verantwortung in der Welt wahrzunehmen… Danach kann es vorkommen, daß der Heilige Geist im Herzen des Menschen etwas Besonderes erweckt. Einen Anruf zu noch größerer Hingabe in einer besonderen Form… Allerdings sollte man sich nicht, weil uns eine besondere Form abstößt, davon abhalten lassen, den Wert der Askese wiederzuentdecken.

Welchen Sinn hat sie?
P. Antoine d’Augustin: Wir haben alle Bindungen, die uns daran hindern, Gott und den Nächsten zu lieben. Askese, das heißt, vom Heiligen Geist geleitet auf manche Dinge zu verzichten, um sich von den Bindungen freizumachen. So kann man etwa – Johannes Paul II. hat dies vorgeschlagen – auf Fernsehen oder Internet verzichten, vor allem, wenn uns das vom Familien- oder Gebetsleben abhält. Askese gehört einfach zu jedem christlichen Leben!
Allerdings muß sie angepaßt und den Gaben des Heiligen Geistes entsprechend geübt werden. Daher würde es beispielsweise auch nicht viel Sinn machen, systematisch von allen Christen zu verlangen, jede Woche zu fasten und am Boden zu schlafen. Jede aktive Reinigungshandlung soll der Unterscheidung durch einen anderen unterworfen werden. Das kann der Ehepartner sein – wenn beide ein christliches Leben führen – oder selbstverständlich ein Priester. Die große Gefahr bei der Askese ist, daß sie zur Quelle des Stolzes wird.
P. Antoine d’Augustin Mitglied von „Notre Dame de Vie“, Religionsprofessor und geistlicher Begleiter von Schulen des Gebets in Paris

Verzichten, um mehr lieben zu lernen

Verlangt der heilige Paulus nicht, daß man am eigenen Leib vollende, was am Leiden Christi noch fehlt?
Benedicte Mathonat:
Sich am Leiden Christi zu beteiligen, bedeutet nicht, sich freiwillig physisches Leiden zuzufügen. Vielmehr geht es darum, jene Leiden, die das Leben uns beschert, anzunehmen und zu ertragen. Die moralischen und christlichen Tugenden zu üben, macht nur Sinn und es verändert uns nur, weil es sich um eine Entscheidung tief im Inneren handelt. Es geht nicht darum, nach außen hin Außergewöhnliches zu tun. Selbst wenn von manchen Mystikern ein engerer und sich stärker „physisch“ äußernde Teilnahme am Leiden Christi verlangt wird, erinnert uns doch der Psalmist: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“(…)

Dennoch hat Christus gelitten. Will aber der Christ Ihm nacheifern, muß er da nicht leiden?
Mathonat:
Christus hat aber nicht das Leiden gesucht. Er hat alle Konsequenzen Seiner Mission, uns zu retten, auf sich genommen, also die Liebe auch in den äußersten Folgen der Sünde, des Leidens und des Todes, zu leben. Insofern das Leiden eine reinigende Wirkung hat, bestand die Kirche immer darauf zu betonen, daß nicht das Leiden, sondern die Liebe rettet. (…)

Hat Christus nicht gesagt: „Wenn dich dein rechtes Auge zur Sünde verführt, dann reiß es aus…“?
Mathonat
: Die Kirche hat diesen Befehl nie wörtlich interpretiert – sonst wären wir alle blind –, sondern als kompromißlose Ablehnung all dessen, was zur Sünde verleitet. Für den Christen ist die Entsagung Zeichen der Liebe, die Fleisch annimmt. Man vermag nicht zu lieben, ohne das zu verlassen, was uns an uns selbst bindet: unseren Komfort, unsere Bequemlichkeit, unsere Zeit, gewisse egoistische Gewohnheiten…
Das ist mit gewissen, eher leidvollen Einschränkungen unserer Empfindsamkeit, manchmal unserer körperlichen Bedürfnisse verbunden. Ein Christ, der sich entwickeln will, wird nicht ohne Bußübungen auskommen. Aber jeder Verzicht hat nur insofern Sinn, als er dazu dient Gott und den Nächsten mehr zu lieben.

Benedicte Mathonat ist Professor für Psychologie an der „Faculté libre de philosophie comparée“ in Paris.


Wer hat euch gesagt, christliches Leben sei cool?

Die gelebte Barmherzigkeit erfordert ein Training (P. Alain Bandelier)

Meine kleine Schwester raunzte, wenn man sie frisierte; meine Großmutter sagte dann: „Schönheit muß leiden!“ Ja, man muß zum Leiden bereit sein, wenn man ein etwas schwieriges Ziel erreichen will. Man muß Kälte ertragen, wenn man einen Achttausender ersteigen will, und Staub schlucken, wenn man am Rennen Paris-Dakar teilnimmt. Man muß stundenlange, langweilige Übungen absolvieren, wenn man ein tolles öffentliches Konzert gestalten will. Und wenn man einem Kind das Leben schenkt, wird man um zwei Uhr nachts aufstehen müssen, weil es Hunger hat, das Kleine! Ein mittelmäßiges Glück braucht keinen solchen Aufwand. Aber es versäumt die höchsten Freuden.
Ja, meine Freunde! Wer hat euch denn gesagt, daß christliches Leben cool sei und daß man auf einem fliegenden Teppich in den Himmel gelangt? Dein Herr hat die Welt auf dem harten Holz des Kreuzes gerettet, und du verzupfst dich, kaum daß das Evangelium dich etwas zu kosten beginnt? Gott mit ganzem Herzen zu suchen, Ihn anzubeten, Ihm zu dienen, das ist wunderbar! Aber es ist nicht einfach. Seinen Nächsten zu lieben, mit dem Armen zu teilen, etwas in der unvollkommenen Welt zu ändern, Freude zu schenken, all das ist herrlich! Aber es ist nicht einfach.
Auch das spirituelle Leben, anders gesagt: die wahre gelebte Barmherzigkeit, erfordert ein Training. Der heilige Ignatius nennt das spirituelle Exerzitien. In die Großzügigkeit, das Durchhaltevermögen, die Freiheit muß man sich einüben. „Der Weg der Vollkommenheit führt über das Kreuz. Es gibt keine Heiligkeit ohne Verzicht und ohne geistigen Kampf.“ Also ohne eine gewisse Askese, die sich in der einen oder anderen Form des freiwilligen Verzichts äußert, in einer „Kasteiung“, um in der traditionellen Sprache zu bleiben. Das ist der Widerhall von Jesu Wort: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst…
Es sei sofort hinzugefügt, daß die besten Bußübungen jene sind, die man nicht selbst wählt und die man im Frieden, ja mit Freude annimmt. Aber darauf bereitet man sich eben mit Bußübungen vor. Ihre Form mag sich von einer Kultur und Epoche zur anderen ändern, sich ändern je nach persönlichem Anruf. Aber ganz darauf verzichten darf man nicht. Übrigens sollten wir an jedem Freitag, insbesondere in der Fastenzeit, einen echten Verzicht leisten, und am Aschermittwoch und Karfreitag ist Fasten Pflicht.

P. Alain Bandelier

Dieser Text und die beiden Interviews sind „Famille Chrétienne“ 1675 vom Feb. 2010 entnommen.


Es war eine schöne Auferstehung!

Der Völkermord in Ruanda und die Wunden (P. Ubald Rugirangoga)

Der Völkermord in Ruanda hat tiefe, kaum heilbare Wunden gerissen. Um sie zu heilen, hat P. Ubald seiner Pfarre eine Zeit der Buße und Umkehr angeboten:
Allein in meiner Pfarre leben mehr als 1.000 Leute, die jemanden ermordet haben. Der Genozid war ja ein unvorstellbarer Wahnsinn! Diesen Menschen habe ich gesagt: Ihr müßt aufhören zu kommunizieren. Ich schlage Euch vor, einen siebenmonatigen Weg der Buße und der Erneuerung mit mir zu gehen. Etwa 40 Personen sind meinem Aufruf gefolgt, sich auf diesen Weg konkreter Buße zu begeben. Ich war da sehr anspruchsvoll, habe viel über Vergebung gepredigt. In diesen Katechese habe ich ihnen dann auch gesagt, sie müßten, bevor sie wieder die Kommunion empfangen dürften, zu den Familien der Ermordeten gehen und sie um Verzeihung bitten: „Ihr habt zwar im Gefängnis um Vergebung gebeten, aber wenn Eure Bitte ernstgemeint war, dann müßt Ihr jetzt zu den Familien der Opfer gehen und die Witwen und Waisen um Vergebung bitten.“
Das war natürlich schwierig, sehr schwierig sogar. Aber sie sind zu den Witwen gegangen, haben diesen geholfen, die Häuser wiederaufzubauen, sind in die Spitäler zu den kranken Kindern gegangen – kurzum, zu den Opfern selbst. Daraufhin sind auch diese zu mir gekommen, um mir als Pfarrer zu sagen: „Dieser Mann kann wieder die Heilige Kommunion empfangen. Zwischen uns ist jetzt alles in Ordnung. Er hat mich um Verzeihung gebeten – und ich habe ihm verzeihen können. Ich fürchte mich nicht mehr vor ihm.“
Daraufhin haben wir eines Tages eine Art Gerichtssitzung veranstaltet. Die um Vergebung gebeten hatten, kamen mit jenen zusammen, die Vergebung gewährt hatten. Auch deren Familien waren da. Auch sie hatten ja gelitten: die Großeltern, die Geschwister… Bei dieser Gelegenheit haben wir versucht herauszufinden, ob wirklich Vergebung stattgefunden hatte. Bei fünf Personen mußten wir die Ernsthaftigkeit des Bemühens leider bezweifeln. Man muß bedenken: Da handelt es sich ja nicht um die Sanierung von Lappalien. Wir wollten erkennen, ob greifbare Handlungen in Richtung Versöhnung gesetzt worden waren: Was hatte der Täter getan, um die Opfer zu bewegen, ihnen zu vergeben? Da gab es dann Aussagen wie: „Ich fürchte mich nicht mehr vor ihm.“ „Meine Kinder spielen jetzt mit seinen Kindern.“ Diese Greueltaten hatten sich ja zwischen Menschen, die in unmittelbarer Nachbarschaft lebten, abgespielt.
Danach haben wir ein großes Fest veranstaltet. Die Familienmitglieder der Opfer legten den Mördern die Hände auf und beteten für sie. Und die ganze Gemeinde war auf den Knien und betete für die Mörder. Ich habe alle mit Weihwasser besprengt. Es war eine wahre Auferstehung!

P. Ubald Rugirangoga


Erkenne dich selbst

Christen bedürfen einer „zweiten“ Bekehrung (Von Gabriele Kuby)

„Was uns von Gott trennt, ist weniger die Sünde als der Wunsch, sie zu rechtfertigen“, schreibt der kolumbianische Philosoph Nicolás Dávila. Mit der Frage des Umgangs mit den eigenen Sünden und der Notwendigkeit der Selbsterkenntnis setzt sich Gabriele Kuby in ihrem neuen Buch Selbsterkenntnis – der Weg zum Herzen Jesu auseinander. Im folgenden Kernsätze daraus.
Wer wünscht sich nicht eine bessere Welt? Damit „die Welt“ besser wird, müssen sich Menschen ändern, müssen einzelne Menschen umkehren und sich neu an der Wahrheit und der Liebe ausrichten. Wir leben in dem Bewußtsein, daß es andere sind, die für das Böse in der Welt verantwortlich sind. Sie und ich würden es bestimmt besser machen, wenn wir nur die Macht dazu hätten. Wirklich?
Vom Bösen in der eigenen Person nichts wissen zu wollen, ist ein Urtrieb des Menschen, der in Gläubigen ebenso virulent ist wie in Atheisten. Wir wollen gut sein und wir wollen gut dastehen, vor uns selbst, vor den Mitmenschen, vor Gott. Noch jede diabolische Ideologie wurde und wird mit „Werten“ gerechtfertigt. Vielleicht spiegelt sich in dem Streben, das Böse mit dem Schein des Guten zu verhüllen, ein Abglanz der Existenz Gottes.
Die Zeitgeist-Christen wollen die Kirche vom schmalen auf den breiten Weg führen durch Widerstand gegen das Lehramt, Anpassung der christlichen Sexualmoral an deren faktische Auflösung bis hin zum kirchlichen Segen für die „Homoehe“, Akzeptanz des alltäglichen Massenmords an ungeborenen Kindern. Sie ecken nicht an, sie sind getragen vom Mainstream, von den Medien, von den meisten ihrer Zeitgenossen und bestärken sich beständig darin, daß sie mündige, mutige, moderne Christen seien, berufen, die mittelalterlichen Zöpfe der Kirche abzuschneiden. All dies wird mit „Liebe“ gerechtfertigt, aber Liebe, die nicht in der Wahrheit wurzelt, ist keine Liebe. Wird die Liebe aus der Wahrheit entwurzelt, wird sie zu einem Ohrenschmeichler, der den Weg zur Liebe Jesu verbaut (vgl. 2 Tim 4,1-5).
Eine andere Strategie im Umgang mit dem Bösen besteht darin, von sich und anderen zu fordern, alle Gesetze und Gebote akribisch einzuhalten, wodurch man gleichzeitig zum Gefangenen und zum Wächter seiner selbst wird. Zur Zeit Jesu kannte man 613 Vorschriften, die ein gläubiger Jude einzuhalten hatte. Keiner war dazu fähig. Je schärfer der Wächter und Ankläger im Inneren, umso schärfer auch nach außen. Wie ein roter Faden zieht es sich durchs Evangelium, daß es um die Liebe zu Gott und den Nächsten geht und nicht um die Einhaltung von Vorschriften um ihrer selbst willen.
Beiden Seiten ist gemeinsam, daß sie den Weg der Selbsterkenntnis nicht gehen. Selbsterkenntnis ist eine Fähigkeit des Menschen, die kein anderes Geschöpf besitzt. Wir können geistig aus uns heraustreten und in den Spiegel schauen, den wir uns selbst vorhalten. Dabei Objektivität zu gewinnen, ist schwer, zu leicht wird der Spiegel durch Wünsche, Leidenschaften, Anpassungsdruck, Sünden, Selbstrechtfertigung verzerrt.
Aber Gott kann den Menschen immer und unter allen Umständen so berühren, daß er plötzlich erfährt: Es gibt Gott. Er kennt mich. Er schaut mich an mit einem liebenden Blick, so wie ich bin. In diesem Licht wird plötzlich der Blick in die Tiefe frei. Der Name dieser Erfahrung ist Bekehrung.
Diese Phase der ersten Bekehrung hat viel Ähnlichkeit mit dem machtvollen Einbruch einer großen Liebe ins menschliche Leben. Es ist ja eine große Liebe, nur mit dem Unterschied, daß der Bräutigam Jesus Christus ist, der nicht mit den Sinnen umarmt werden kann, sondern nur im Geist.
Was ist die Hoffnung, was die Illusion nach der ersten Bekehrung? Im Geiste sieht man eine Treppe der Heiligkeit vor sich, die nach oben führt. Seht, Jesus macht aus mir einen neuen Menschen! – bis zu dem Augenblick, an dem ich mich über einen anderen heftig ärgere und mir ein böses Wort entfährt.
Nach und nach werde ich mir schmerzhaft bewußt, daß der alte Adam keineswegs gestorben ist, sondern fast unbeeinträchtigt von meiner Bekehrung weiter am Ruder ist. Wie reagiere ich darauf? So wie früher?
Genau hier ist die Weichenstellung, ob wir wirklich Christen werden. Hier beginnt die zweite Bekehrung und diese dauert ein Leben lang, ist immer wieder neu zu vollziehen. Nur der eigene Stolz türmt sich vor uns auf, Gott selbst sichert uns seine barmherzige Vergebung immer wieder zu. Es wäre so einfach, wenn wir nur glauben könnten, was Johannes schreibt: Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht (1 Joh 1,9). Wenn wir diesen Weg gehen, dann begeben wir uns auf eine Treppe, die nach unten führt. Es ist der Weg in die Wahrheit der eigenen Existenz. Es ist der einzige Weg zu Gott. Daran werden wir erkennen, daß wir aus der Wahrheit sind, und werden unser Herz in seiner Gegenwart beruhigen. Denn wenn das Herz uns auch verurteilt – Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles (1 Joh 3,19-20).
Hier, in der Tiefe, wenn wir die Treppe hinabgestiegen sind, hier unten in der Armseligkeit unserer menschlichen Existenz begegnen wir dem Herrn am Kreuz. Dort vernehmen wir: Ich habe hier auf dich gewartet. Sieh, ich habe deine Sünden auf mich genommen, ich habe deine Schuld bezahlt. Hier unten wird wahr, was wir so oft gehört haben und doch nicht glauben konnten: Gott ist die Liebe und er liebt mich, so wie ich bin.
Selbsterkenntnis – der Weg zum Herzen Jesu.
Von Gabriele Kuby. Fe-Medien,Verlag, 48 Seiten, gebunden, 5 Euro


Die Kirche durch Leiden ins 3. Jahrtausend führen

(Johannes Paul II.)

Ich möchte heute durch die Vermittlung Mariens meine Dankbarkeit ausdrücken für das Geschenk des Leidens, das neuerlich mit dem Marienmonat Mai in Verbindung stand. Ich möchte für dieses Geschenk Dank sagen. Ich habe begriffen, daß es sich um eine notwendige Gabe handelt. Der Papst mußte in die Gemelli-Klinik, mußte vier Sonntage lang von diesem Fenster abwesend sein, mußte leiden: in diesem Jahr ebenso wie vor 13 Jahren.
Ich habe all das meditiert, über all das von neuem während meines Krankenhausaufenthaltes nachgedacht. Und wiederum ist mir die große Persönlichkeit des Kardinals Wyszynski, des Primas von Polen vor Augen gestanden. Er hat mir zu Beginn meines Pontifikats gesagt: „Wenn Dich der Herr gerufen hat, mußt Du die Kirche ins 3. Jahrtausend führen.“
Das hat mir damals Kardinal Wyszynski gesagt. Und ich habe verstanden, daß ich die Kirche Christi in dieses 3. Jahrtausend mittels des Gebets, mittels ver?schiedener Initiativen hineinführen sollte. Allerdings habe ich eingesehen, daß dies nicht genügen würde: Es war notwendig, sie durch das Leiden hineinzuführen: mit dem Attentat vor 13 Jahren und mit diesem neuerlichen Opfer. Warum jetzt? Warum heuer? Warum in diesem Jahr der Familie? Eben, weil die Familie bedroht ist, weil sie angegriffen wird. Der Papst muß angegriffen werden, muß Leiden ertragen, damit jede Familie und die ganze Welt erkennen, daß es gewissermaßen ein höheres Evangelium gibt: das Evangelium des Leidens, mit dem die Zukunft vorbereitet werden muß, das 3. Jahrtausend der Familie, jeder Familie und aller Familien.

Johannes Paul II.

Auszug aus der Ansprache beim Angelus am 29. Mai 1994


Der befreienden Liebe Gottes begegnen

Gespräch über die erneuernde Kraft der Beichte (P. Bernhard Vosicky OCist)

Zur Kommunion gehen viele, zur Beichte wenige. Es gibt Pfarren, die meinen, man könne Kindern keine Beichte vor der Erstkommunion zumuten. Bußandachten ersetzen die Einzelbeichte. Was läuft da falsch? Gespräch mit einem gesuchten, erfahrenen Beichtvater:

Warum wird heute im allgemeinen so wenig gebeichtet?
P. Bernhard Vosicky OCist:
Ich beginne vielleicht humorvoll: Vor Jahren war ich in Annaberg, einem nationalen Heiligtum in Schlesien. Dorthin kommen im Juli viele Leute beichten: junge, alte, Polizisten, Soldaten, Priester stehen vor den Beichtstühlen Schlange. Einer der dortigen Franziskaner zeigt dann auf diese Leute und sagt: „In Polen sündigt man noch, also gehen die Leute beichten. Bei euch sündigt man offenbar nicht mehr.“ Da ist das Problem: Die Leute bei uns sündigen zwar auch, gehen aber nicht beichten, weil sie die Sünde nicht erkennen. Man hat sich daran gewöhnt, die Sünde als Kavaliersdelikt anzusehen oder sie einfach zu verdrängen. Schlechtes Gewissen hat man zwar, aber dann verdrängt man es auch wieder leicht. Und je mehr man abstumpft, umso schwieriger wird es. Mangelndes Sündenbewußtsein ist unser Problem.

Wie erkennt man die Sünde?
P. Vosicky:
Das Wesen der Sünde ist ein eklatanter Bruch mit Gott, ein bewußtes, freiwilliges Verstoßen gegen ein Gebot Gottes. Aber wer kennt schon die Gebote Gottes? Etwa das dritte: Du sollst den Tag des Herrn heiligen? Der Sonntag war immer mit der Feier der Eucharistie verbunden, um dem Auferstandenen zu begegnen, damit Er uns in Sein Leben, Sterben und Auferstehen hineinzieht. Viele Menschen gehen diese Lebens- und Schicksalsgemeinschaft mit Christus nicht mehr ein. Sie sehen es nicht mehr als Sünde an, nicht in die Messe zu gehen, haben sich vom Du Christi distanziert. Dieses Abstandnehmen läßt auch die Sün?de nicht mehr erkennen. Sie besteht ja darin, Christus nicht als Sohn des lebendigen Gottes, als den Retter zu erkennen.

Es gibt aber auch viele, die regelmäßig sonntags in die Kirche gehen, aber so gut wie nie zur Beichte: Was läuft da falsch?
P. Vosicky:
Auch hier fehlt das Sündenbewußtsein. Jesus sagt in der Bergpredigt: „Selig, die ein reines Herz haben, sie werden Gott schauen.“ Auf diese Reinheit der Gesinnung legen viele heute nicht mehr so viel Gewicht. Sie meinen, Gott sei ohnehin barmherzig. In Seiner Güte werde er ein Auge zudrücken, meine Sünden und Schwächen nicht so tragisch nehmen. Daher fassen sie etwa Sätze wie: „Wenn einer eine Frau nur lüstern anschaut, hat er in seinem Herzen Ehebruch begangen…“ als Zumutung auf. Wie kann Jesus so etwas sagen! Oder ein anderes Wort: „Wenn einer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, begeht er Ehebruch…“ – da heißt es dann, das könne man heute nicht mehr sagen. Manche Forderungen, die ausdrücklich in der Heiligen Schrift als ureigenstes Wort Jesu verankert sind, werden als Zumutungen angesehen. Das sei nicht zeitgemäß. Da ist der Bruch: Man kennt Christus nicht und Seine moralischen Auffassungen.

Meinen nicht viele: Läßliche Sünden – das schon. Aber bewußt gegen Christus – das nicht!
P. Vosicky
: Das Sündenbewußtsein muß eben wachsen. Wie das geschieht? Indem ich bete und intensiv die Heilige Schrift lese. Sobald ich bete, fließt der Heilige Geist in mein Herz ein. Er ist es, der uns der Sünde überführt. Er läßt uns erkennen, daß unser Herz nicht rein ist: Du denkst nicht, was Gott denkt. Du entsprichst nicht dem Willen Gottes… Und dann die Schriftlesung: Je mehr einer die Schrift kennt, umso besser kennt er Christus. Wer die Schrift nicht kennt, erkennt auch die Sünde nicht. Und wer nicht betet, läßt den Heiligen Geist nicht einfließen.

Mangelt es nicht auch an einer ansprechenden Beichthinführung durch die Kirche?
P. Vosicky:
Ganz sicher. Wenn mir jemand sagt, er wisse nicht, was er beichten soll (uns das sind recht viele), drücke ich ihm einen Gewissensspiegel in die Hand: er solle ihn, vor allem die 10 Gebote, 10 Minuten lang auf sich wirken lassen. Dann kommt es oft zur Reaktion: „Das habe ich ja alles als Sünde!“ Andere sagen, das sei zu plakativ. Ihnen gebe ich die Heilige Schrift, die Stelle 1Kor 13 über die Liebe: sie trägt alles, duldet alles, hört niemals auf… Da kann man sich die Frage stellen: Bin ich so, daß ich alles ertrage? Mich nicht aufblähe? Gut erkennt man sich auch anhand der Bergpredigt: Richtet nicht, segnet, die euch verfluchen, betet für die, die euch Böses antun, entferne den Balken aus deinem Auge… Oder: Über jedes unnütze Wort, müßt ihr Rechenschaft ablegen – gilt übrigens auch für Journalisten, Priester. Wer sein Leben damit konfrontiert, wird in der Beichte etwas zu sagen haben.

Was kennzeichnet eine gute Beichte?
P. Vosicky
: Viele glauben, sie müßten viele Sünden möglichst genau aufzählen – und dann sei die Sache erledigt. Das wichtigste bei der Beichte ist die Reue. Es kann einer wunderbar Sünden aufzählen, bereut sie aber nicht. Beispiel: Ein Ehemann, 30 Jahre verheiratet, hat eine andere Frau kennengelernt, große spirituelle Affinität – und dann „ergibt sich halt manchmal eine sexuelle Beziehung. Aber was soll ich da bereuen, wo die Partnerschaft spirituell so gut ist?“ Daß die Person spirituell ist, daß man sie gern hat, das ist keine Sünde. Wohl aber der Ehebruch! Der Bruch des Versprechens, lebenslänglich treu zu bleiben. Das gilt es zu bereuen.

Muß man zur Reue eine tiefe Gefühlsbewegung empfinden?
P. Vosicky:
Die Reue ist das demütige und zerknirschte Herz: Ich erkenne meine Armseligkeit und Schwäche – wie der verlorene Sohn, der sagt: „Ich habe gesündigt und bin nicht mehr wert, Dein Sohn zu sein.“ Ich erkenne an, daß das, was mich mit Gott und den Mitmenschen verbindet, in Brüche gegangen ist.

Also nicht unbedingt eine Gefühlsaufwallung?
P. Vosicky
: Es kann durchaus Reuetränen geben. Bei Jugendlichen erlebe ich das oft:?echte Tränen, weil es ihnen leid tut: Ich habe die Liebe Gott und den Menschen gegenüber verletzt – durch eine eklatante Lüge, eine Verleumdung. Es tut mir leid, daß ich andere schlecht gemacht habe. Ich schäme mich. Aber entscheidend ist das nicht. Entscheidend ist: Ich will nicht mehr sündigen.

Reue und Vorsatz also eng verknüpft?
P. Vosicky
: Ja. Je bewußter ich diesen Willensakt setze, umso besser. Die beste Form der Reue ist es, einen festen Glaubensakt zu setzen: Nichts soll künftig zwischen Christus und mir stehen. Man kann das auch konkret tun: ein Kreuz in die Hand nehmen, sich vor das Bild des barmherzigen Jesus stellen: Jesus, ich vertraue auf Dich. Ich glaube, daß Du mich wirklich erfüllen und glücklich machen kannst. Alles andere, dem ich vorher den Vorzug gegeben habe, war keine Erfüllung. Das ist die Reue: Das nicht Erfüllende beichten und sich zu dem Erfüllenden bekennen. Beichte ist also ein Bekenntnis: einerseits der Sünden, andererseits zu Christus, dem einzigen Erlöse, weil ich mich selber nicht aus der Sünde herauskatapultieren kann.

Wie steht es mit der Buße?
P. Vosicky
: Ich gebe gern Tatbußen auf. Bei Ordensleute etwa: den Kuß des Altares und des Evangelienbuches bewußt zu vollziehen und nicht als Ritual. Du küßt den Mund des Herrn. Tatbuße wäre auch: Personen, mit denen ich Probleme habe, nicht zu meiden, sondern sie bewußt zu segnen (nicht mit der Hand, wohl aber mit dem Herzen, den Augen). Wünsche dieser Person noch mehr Gnaden, als Du erhalten hast. So wird eine Abneigung überwunden. Die Wirkung ist oft frappierend: Beziehungen ändern sich. Als Tatbußen, etwa auch vor dem Kreuz aussprechen: Im Namen Jesu verzeihe ich diesem oder jenem – und zwar 7 x 70mal. Oder: Eine Person um Vergebung bitten, eventuell auch nur im Angesicht Gottes. Umkehr ist nicht nur Sache eines Augenblicks, sie ist ein Prozeß.

Gehen Menschen dann von der Beichte befreit weg?
P. Vosicky:
Sehr oft höre ich: „Jetzt ist viel von mir abgefallen.“ Das passiert oft bei schweren Tatsünden: Abtreibung, schweren Lieblosigkeiten, Haß, Selbsthaß… In letzterem Fall fordere ich Leute auf: Sagen Sie: „Ich mag mich wieder.“ Dann lachen sie, merken aber, wie dabei etwas von ihnen abfällt. Jesus hat gefragt: Willst Du geheilt werden? Daher auch die Frage: Glaubst Du, daß Gott Dir vergeben hat? Manche tun sich damit schwer. Wo es aber gelingt, kann es zu einem freudigen Aufschrei kommen. Es kann passieren, daß man umarmt wird.
Braucht die Kirche zu ihrer Erneuerung eine Belebung des Bußsakraments?
P. Vosicky: Unbedingt. Es ist der einzige Weg. Die Barrieren, die in der Kirche zwischen uns bestehen, sind sündhaft. Sie müssen wir vor Gott bringen. Was uns trennt, ist immer die Sünde: der Egoismus, die Arroganz, die Eigenwilligkeit. Und was uns verbindet ist der Heilige Geist.

Wie kann man die Attraktivität dieses Sakraments fördern?
P. Vosicky:
Die Menschen würden vermehrt zur Beichte kommen, wenn sie sehen, daß viele Möglichkeiten angeboten – und auch genutzt werden. Wir sehen das hier in Heiligenkreuz bei Jugendvigilien, zu denen 200 bis 300 junge Leute kommen. Da sind mehrere Beichtstühle besetzt, mit den Namen der Patres, die Beichte hören. Es ist gut zu wissen, mit wem man spricht, obwohl man im Bewußtsein beichten soll, daß ich mich dort eigentlich an Christus wende. Er verzeiht, Er erlöst, Er kennt Dich durch und durch. Wo es viel Angebot gibt, zieht das die Menschen an. Sieht man, daß andere beichten, kommt man auf die Idee, daß man selbst auch gehen könnte. Konkret etwa bei einer Hauptschulbeichte: Während die Schüler sich auf die Beichte vorbereiten, sehen sie wie zuerst die drei Beichtväter beichten, dann beichten der Direktor, ein gläubiger Mann, und der Religionslehrer (wichtig!). Auf diese Weise kommt es dazu, daß dann alle Schüler bechten gehen. Die Beispielswirkung läßt sich auch in Medjugorje beobachten. Also: anziehende Angebote erhöhen.

Wie erlebt der Priester das Beichtehören?
P. Vosicky:
Als eines der schönsten Dinge, die es gibt. Ich habe den schönsten Beruf. Andere haben große irdische Macht, aber die Seele des Menschen mit Gott verbinden, das darf nur der Priester – und das ist wohl das Größte. Und diese Vollmacht trage ich immer mit mir herum. Wohin ich auch komme: Es fliegen die Tauben zu. Überall erlebe ich, daß Leute mich fragen: Darf ich beichten? Darf ich mich zur Beichte anmelden? Wenn man in dieser Bereitschaft lebt, sprechen einen die Leute an.

Mit P. Dr. Bernhard Vosicky OCist, Professor für Liturgiewissenschaft an der Päpstlichen Hochschule in Heiligenkreuz, sprach CG.

Durch alle Zeiten ertönt der Ruf: Kehrt um!

Gedanken zu den Begriffen Reform und Umkehr (Christof Gaspari)

Fast täglich bekommt man es zu hören: Eine Reform der Kirche sei unumgänglich. Verharre sie wei?ter in der Erstarrung, werde sie bald auf den harten Kern Ewig-Gestriger zusammenschrumpfen. Viele Medien verkünden diese Botschaft, auch innerkirchlich mehrt sich die Kritik.
Da war etwa in einem Wiener Pfarrblatt der Aufruf einer „Pfarrer-Initiative“ abgedruckt. 300 Priester sollen ihr angehören. Mit harschen Worten werden Strukturänderungen in der Kirche eingemahnt: kollegiale Führungsstrukturen, Gewaltenteilung, Transparenz, „Rechenschaft der Amts- und Vollmachtsträger gegenüber dem Kirchenvolk“… Die „absolutistische Führungsstruktur“ könne die Zukunftsfragen nicht lösen, die Kirchenlehre sei zu reformieren nach den „Maßstäben des Evangeliums“.
Ähnlicher Ton in einem burgenländischen Pfarrblatt. Auch hier wieder der Ruf nach Reform: Aufhebung des Pflichtzölibats, Frauenordination, „Lösungen für Geschiedene und Wiederverheiratete mit der Möglichkeit der Segnung einer zweiten Partnerschaft, freie und offene Kirche…“ Wir hätten in der Katholischen Kirche dringend einen Martin Luther nötig, eine überfällige Reformation stellte ein steirischer Pfarrer nach dem Treffen von mehr als 550 Pfarrgemeinderäten aus ganz Österreich mit den Bischöfen im Mai fest.
Gut, reden wir also über Reform. Das Wort hat heute Hochkonjunktur: Struktur-, Steuer-, Strafrechtsreform – um nur einige zu nennen – stehen auf dem Programm. Alles wird laufend reformiert. An die zeitbedingten Gegebenheiten angepaßt. Man muß nur einmal die immer dicker werdenden Sammlungen der jährlich beschlossenen Gesetze sehen, um das Maß der Regulationswut unserer Gesellschaft zu erkennen. Total unüberblickbar.
Längst hat sich das Wort Reform von seinem ursprünglichen Sinngehalt entfernt. Von seinem Wortstamm her bedeutet es nämlich: Wiederherstellung, Zurückbildung. Im heutigen politischen Sprachgebrauch jedoch bezeichnet es, wie man bei „Wikipedia“ nachlesen kann „ eine größere, planvolle und gewaltlose Umgestaltung bestehender Verhältnisse und Systeme.“
Halten wir an dieser Stelle fest: Es geht um einen gezielten Vorgang, der das Umfeld des Menschen – die „Verhältnisse und Systeme“ – umgestaltet. Was das Ziel der Umgestaltung anbelangt, so steht hinter den Reformen ein diffuser Fortschrittsbegriff: materielle Wohlstandsmehrung, Förderung der Gesundheit, Befreiung von naturgegebenen und sozialen Zwängen… Ein rein diesseitiges Konzept.
Gegenstand der Reformen ist das Umfeld des Menschen, der Aufbau leistungsfähiger, gesellschaftlicher Systeme, die unseren Wohlstand gewährleisten sollen. Darüberhinaus aber zielen die Reformen auch auf die Denkmuster der Menschen, damit diese sich systemkonform verhalten.
Was ist nun geschehen? Dieses Denken hat auch Eingang in die Kirche gefunden. Kirchenreform ist zum Renner geworden. „Ecclesia semper reformanda“ (die Kirche müsse fortgesetzt verändert und erneuert werden) ist ein Schlagwort, das fast schon den Charakter eines Dogmas angenommen hat. Viele meinen, dieser Satz sei die zentrale Botschaft des 2. Vatikanischen Konzils. Stimmt aber nicht: Das Schlagwort selbst wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts geprägt und vom Theologen Hans Küng populär gemacht. Viele verstehen darunter eine Reform, die sich zum Ziel setzt, die Lehre der Kirche an jenen Stellen zu ändern, wo sie im Widerspruch zu den etablierten „modernen“ Vorstellungen stehen. Vieles sei nicht mehr zeitgemäß, etwa das strenge Bestehen auf der Unauflöslichkeit der Ehe.
Weil nun in der Kirche so häufig nach Reform gerufen wird, suche ich in der Heiligen Schrift nach diesem Stichwort. Ergebnis: kein einziger Treffer. Einige Male kommt das Wort in den Kommentaren zum Schrifttext vor. Reform also durchaus kein zentrales Anliegen. Ist auch kein Wunder: Gott geht es ja nicht primär um das irdische Wohlbefinden des Menschen – auch wenn dieses ja erstrebenswert ist –, sondern um dessen ewiges Heil. Und dieses ist nicht von den äußeren Lebensumständen abhängig, sondern vom Maß der Liebe, die das Leben eines Menschen prägt.
Daher ändert sich das Bild auch sofort, wenn man nach dem Wort „Umkehr“ fahndet. Es kommt 55 Mal in der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift vor und der Appell „Kehrt um!“ ergeht 38 Mal. Das Thema Umkehr zieht sich durch das Alte wie das Neue Testament. Es ist eine zentrale Botschaft, ein wiederkehrender Aufruf Gottes.
Und worum geht es bei dieser Umkehr? Um die Wiederherstellung der immer wieder gefährdeten und gebrochenen Liebesbeziehung zu Gott. Sie geschieht durch einen persönlichen Akt. Der Vorgang findet in meinem Inneren statt. Ich öffne mich neu für die Liebe Gottes.
Diese wieder eingegangene Liebesbeziehung zu Gott hat wesentlich auch mit den Geboten zu tun. Man kann sie nicht auf der rein emotionalen Ebene angesiedelt sehen. Jesus stellt das eindeutig klar: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.“ (Joh 14,21)
Dabei geht es um Seine Gebote! Sie gelten für alle Zeiten, sind die Richtschnur für ein erfülltes Leben. Sie unterliegen keinen Moden, können nicht beliebig abgeändert werden. Jesus warnt ausdrücklich vor solcher Versuchung: „Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein.“ (Mt 5,19)
Nicht die Gebote haben sich nach den Möglichkeiten des Menschen zu richten, sondern den Menschen sind die Gebote als Perspektiven für ein geglücktes Leben vor Augen gestellt, damit sie stets wieder neu ihren eigenen Kurs korrigieren können.
Das ist der Weg der Erneuerung, der auch heute aus der Krise herausführen wird. Die persönliche Umkehr ist der Schlüssel gerade auch für eine gesellschaftliche Erneuerung. Sie beginnt im Herzen des einzelnen, beschränkt sich aber nicht auf eine persönliche Frömmigkeitsübung. Die Nähe zu Gott bewirkt eine soziale Dynamik: Denn jeder, der umkehrt, wirkt selbstverständlich reformierend auf die Kirche. Auch andere Menschen erkennen nun, daß ein Leben mit Gott die Antwort auf die eigenen Probleme darstellt und Auswege aus Sackgassen aufzeigt. Jede Umkehr hat eine größere Nähe Gottes zur Folge, die wiederum auf die Umgebung ausstrahlt. Dort kann sie zu weiterer Umkehr Anlaß geben, die sich wie eine Kettenreaktion ausbreiten kann. Das ist etwas ganz anderes als der kämpferische Ruf nach Gewaltenteilung und kollegialen Führungsstrukturen. Das klingt jedenfalls nach Kampf um Einfluß und Macht. Das Neuwerden des einzelnen im Heiligen Geist scheint da nicht vorrangiges Anliegen zu sein.
Genau um dieses Neuwerden aus dem Heiligen Geist geht es aber. Was als franziskanische Reform im 12. Jahrhundert bezeichnet wird, beschreibt einen solchen Ansteckungsprozeß mit tiefgreifenden Folgen für die Erneuerung der Kirche. Sie setzt aber beim einzelnen an, beim Menschen, der seinen Irrweg erkennt und sich für die barmherzige Liebe Gottes öffnet.

C. Gaspari

 

Kehrt um!

Kehrt um zu ihm, Israels Söhne, zu ihm, von dem ihr euch so weit entfernt habt. (Jes 31,6)
Kehrt um, ihr abtrünnigen Söhne, ich will eure Abtrünnigkeit heilen. (Jer 3,22)
Ich habe doch kein Gefallen am Tod dessen, der sterben muß - Spruch Gottes, des Herrn. Kehrt um, damit ihr am Leben bleibt. (Ez 18,32)
Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte und es reut ihn, daß er das Unheil verhängt hat. (Joel 2,13)
Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. (Mt 3,2)
Petrus antwortete ihnen: Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. (Apg 2,38)







 

Weiterführende Themen: 

Familie unter Beschuss  Fürchtet euch nicht  / Kinder sind ein Segen

 

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