Auszug:
Fast scheint es, als hätten die kürzlich begangenen
Würdigungen und Gedenkfeiern zu Ehren der Kirchenlehrerin Therese von Lisieux
ihre jüngere Mitschwester, die Karmelitin Elisabeth von der Dreifaltigkeit, in
die Zone des Vergessens gerückt. Auch wenn Elisabeth in ihren Schriften immer
wieder auf die Gefahr des Wichtignehmens der eigenen Person hinweist so verdient
es doch ihre Sendung, wieder neu in den Blick genommen und vorgestellt zu
werden. Vorab nur wenige Bemerkungen zu ihrem Leben und den greifbaren
Einflüssen in ihren Schriften. Am 18. Juli 1880 wird Elisabath Catez in der Nähe
von Bourges geboren; zwei Jahre später zieht die Offiziersfamilie nach Dijon um,
wo 1883 Elisabeths Schwester Guite zur Welt kommt. 1887 stirbt der Vater. Die
Mutter kann ihrer hochmusikalischen älteren Tochter ein Klavierstudium am
Konservatorium von Dijon ermöglichen.
Gleichzeitig reift in
Elisabeth der Wunsch, ihr Leben Gott zu weihen; vierzehnjährig besiegelt sie
ihren Entschluss dazu mit dem Gelübde ewiger Jungfräulichkeit. 1901 tritt sie
schließlich nach langem Widerstand der Mutter in den Karmel von Dijon ein. Schon
im Frühjahr 1905 zeigen sich die Auswirkungen einer Erkrankung an Tuberkulose:
Ihre Gesundheit nimmt mehr und mehr ab und bedingt dann, nachdem auch noch
Symptome einer Magenkrankheit aufgetreten sind, dass sie ab März 1906 endgültig
auf der Krankenstation des Karmels untergebracht werden muß4. Nach langen
Monaten des Leidens und Ringens mit dem Tod stirbt Elisabeth am 9. November
1906. Die Jungverstorbene hat unzählige Briefe und einige geistliche Schriften
hinterlassen5, die als Frucht ihrer Schriftlektüre von paulinisch-johannäischem
Geist durchtränkt sind. Zugleich wandelt Elisabeth in den Fußstapfen der
karmelitischen Tradition:
Teresa von Avila, Johannes
vom Kreuz und Therese von Lisieux sind ihre meistzitierten Lehrmeister. Daneben
muß der Dominikanerpater Irenee Vallee genannt werden, der dem Kloster sehr
verbunden war, über viele Jahre die Festtage mit den Schwestern beging und ihre
Einkehrtage leitete. Im Jahre 1900, also noch vor Elisabeths Eintritt in den
Karmel, war es zu einer wichtigen Unterredung gekommen: der Seelenführer klärt
Elisabeth über die Einwohnung der Heiligen Dreifaltigkeit in ihrer Seele auf.
Auch wenn man aus dem bisweilen feierlichen Stil der jungen Karmelitin
vielleicht den Predigtton von Pere Vallee heraushören kann5, so bleibt doch sein
Einfluß auf Elisabeths Lehre und Gedankengut insgesamt eher zweitrangig.
Obgleich Elisabeth im
Vergleich zu Therese von Lisieux viel gelesen hat, das erworbene Gedankengut hat
doch praktisch keinerlei Einfluß auf ihre eigene geistliche Lehre genommen.
Diese Lehre — Hans Urs von Balthasar spricht von einem wahren charismatischen
Auftrag» — ist keine theologische Abhandlung über das Geheimnis
innertrinitarischen Lebens; ihre Aufzeichnungen sind vielmehr das Ergebnis eines
Hörens und Erblickens des göttlichen Wortes in der Ewigkeit. Wie Maria von
Betanien sitzt Elisabeth zu Füßen des Herrn (vgl. GV 8) und läßt sich von ihm
zeigen, was sie sehen soll. Die Vision, welche die sich offenbarende Gnade ihr
gewährt, gründet auf den Worten des heiligen Paulus aus dem Epheser- (1,46) und
Römerbrief (8,29), die «das tragende Gerüst ihres geistigen Baus» bilden. In
Elisabeths Ausformung klingen sie zum Beispiel so:
Wir sind prädestiniert worden
durch einen Ratschluß dessen, der alle Dinge nach dem Beschluß seines Willens
schafft, auf daß wir das Lob seiner Herrlichkeit seien. Paulus verkündet uns
diese göttliche Erwählung,... er zeigt uns auch, wozu wir gerufen sind: <Gott>,
sagt er, hat uns in ihm erwählt, vor Grundlegung der Welt, damit wir unbefleckt
und heilig vor seinem Angesicht seien in der Liebe. Wenn ich diese beiden
Schilderungen des göttlichen Ratschlusses vergleiche, der als solcher ewig
unveränderlich ist, so schließe ich daraus, daß, um mein Amt als Lob der
Herrlichkeit würdig zu versehen, ich mich durch alles hindurch vor seinem
Angesicht zu halten habe; mehr noch: in der Liebe, das heißt in Gott selbst,
denn Gott ist die Liebe, und die Berührung mit dem göttlichen Sein ist es dann,
die mich unbefleckt und rein in seinen Augen macht.
Gott hat also den Menschen
dazu erwählt, in seiner Liebe zu leben und in dieser so großen Liebe (vgl. Eph
2,4) hat er ihn auch vorherbestimmt, dem gekreuzigten Sohn gleichgestaltet zu
sein (Rom 8,29). Die Antwort auf diese Liebe, die Elisabeth als die
Zusammenfassung ihres Daseins bezeichnet (L 280), ist der Glaube (vgl. 1 Joh
4,16)10. Ein Glaube, der jenseits von Gefühl, Geschmack und Erfahrung liegt,
wohl aber von der Gewißheit getragen wird, daß der dreifaltige Gott im Menschen
seine Wohnung genommen hat. Aus der Kraft dieses Glaubens schenkt sich die von
Gott empfangene Liebe zurück und bekennt: «Von Mose wird gesagt: Er hielt
standhaft im Glauben aus, als sähe er den Unsichtbarem (vgl. Hebr 11,27). Das
sollte die Haltung eines Preisliedes der Herrlichkeit sein, das durch alles
hindurch seinen Hymnus der Dankbarkeit anstimmen will: unerschütterlich im
Glauben) zu sein, wie wenn er den Unsichtbaren geschaut hätte...,
unerschütterlich im Glauben an die zu große Liebe... (vgl. Eph 2,4): Wir haben
die Liebe gekannt, die Gott zu uns hat, und haben an ihn geglaubt) (1 Joh 4,16)»
(DR 10). Der Glaube an diese Liebe kennt keine Schwankungen. Früh hat Elisabeth
erkannt, daß sie im Leiden dem gekreuzigten Gottessohn gleichförmig werden kann:
«Die Seele, die Gott... dienen will, muß entschlossen sein, wirklich und wirksam
an der Passion des Herrn teilzunehmen.
Gott nimmt Elisabeth beim
Wort und schenkt ihr mit ihrer Krankheit und einem langem Martyrium die Gnade,
dem Gekreuzigten nachfolgen zu dürfen (vgl. DR 15). Auf Wunsch ihrer Priorin
verfaßt sie die Schrift La Derniere Retraite und für ihre Schwester «Le Ciel
dans la Foi». Mit diesen Zeugnissen, die in der vorliegenden Auswahl ausführlich
vorgestellt werden, sieht Hans Urs von Balthasar «sie auf der Höhe ihres
selbstsicheren Könnens» und sagt: «Hier allein sollte man Elisabeths Wort
fassen... Hier ist es rein und makellos vor Gott, wie ihre Lieblingsstelle bei
Paulus es fordert». Am Leben der französischen Karmelitin, die am 25. November
1984 seliggesprochen wurde, läßt sich ablesen, was marianisch-kirchliche
Fruchtbarkeit heißen kann: Elisabeth will immer ganz auf Gott hingeordnet sein,
und — im besonderen mit den Priestern - Gottes Kraft ausstrahlen (vgl. L 158; CF
27), «die erlöst und Seelen rettet» . Sie weiß sich für die Menschen berufen,
für die Gottes Liebe an ihr sichtbar werden soll12. In dieser Liebe betrachtet
Elisabeth das empfangene Wort unermüdlich und bewegt es anbetend in ihrem
Herzen, wobei sie auf das Urbild der Kirche schaut, Maria . Die Mutter des
Herrn, so erkennt Elisabeth, ist das Vorbild der beschaulichen Seelen: «Was
mußte vorgehen in der Seele der Jungfrau, als sie nach der Menschwerdung in sich
das fleischgewordene Wort barg, die Gnade des Vaters (vgl. Joh 4,10). In welchem
Schweigen, welcher Sammlung, welcher Anbetung mußte sie untersinken auf den
Grund ihrer Seele, um den Gott zu umarmen, dessen Mutter sie war!.
An Maria begreift Elisabeth
«die große schweigende Objektivität, die ihr Ideal ist, an ihr die erhabene
Amtlichkeit der Frau..., Christin und Kirche zugleich»14. Gesammelt steht die
Karmelitin vor Gott, auch ihr betendes Dasein vollzieht sich in der
Verborgenheit eines großen Schweigens.
Mit und durch Maria will
Elisabeth in Gott leben, denn sie lehrt die Kirche den Weg der Nachfolge unter
das Kreuz bis an die Pforten des Himmels (vgl. DPv 41). Mit Maria weist die
Karmelitin die Kirche auf das, was sie ist und durch alle Zeiten hindurch auch
sein soll: Kontemplation, Anbetung, Hingabe.
Elisabeth von Dijon - Der Himmel im Glauben