Auszug:
Jesus zur Kreuzigung entkleidet und mit Essig
getränkt Es gingen nun vier Schergen nördlich die siebzig Schritte zu der
Kerkergrube hinab und rissen Jesus heraus, der da zu Gott um Stärkung gefleht
und sich nochmals für die Sünden seiner Feinde aufgeopfert hatte. Sie schleppten
ihn treibend, schlagend und höhnend diesen letzten Pfad seines Leidens. Das Volk
schaute und höhnte, die Soldaten brüsteten sich kalt und ernst, Ordnung haltend,
die Schergen empfingen ihn grimmig und hereinreißend in den Kreis. Als die
heiligen Frauen Jesus herankommen sahen, gaben sie einem Mann Geld, das er den
Schergen nebst dem Gefäß mit Gewürzwein bringen sollte, auf daß sie ihn
erquicken möchten.
Diese Schurken jedoch gaben
ihm den Wein nicht, sondern tranken ihn nachher selbst. Sie hatten aber zwei
braune Gefäße dastehen, in dem einen waren Essig und Galle, in dem andern eine
Art Essigbärme; es sollte Wein sein mit Wermuth und Myrrhe, und sie hielten dem
gebundenen Heiland von dem letzteren Getränk einen braunen Becher an die Lippen;
er versuchte und trank nicht. Es waren achtzehn Schergen in dem Richtkreis, die
sechs Geißler, die vier Ausführer, die zwei Kreuzstrickhalter und sechs
Kreuziger. Sie waren teils hier beschäftigt, teils waren sie bei den Schächern
und arbeiteten und soffen abwechselnd. Es waren schmutzige, halbnackte, kleine,
starke Menschen mit fremden Gesichtern, struppigem Haar, stoppligem Bart,
greulich und viehisch. Sie dienten Römern und Juden um Geld.
Der Anblick von allem diesem
ward mir dadurch noch schrecklicher, daß ich auch das den andern unsichtbare
Böse hier in seiner Gestalt sehen mußte. Ich sah nämlich große furchtbare
Teufelsgestalten zwischen allen diesen grausamen Menschen tätig, als reichten
sie ihnen alles, als rieten und hülfen sie zu allem, und unzählige kleine
gräßliche Erscheinungen aller Gestalten von Kröten, Schlangen und Drachen mit
vielen Klauen und aller Arten greulichen giftigen Ungeziefers sah ich um die
Umgebung wie verfinsternd schwärmen. Sie schossen den Leuten ins Maul, in den
Busen, saßen auf ihren Schultern, und es waren dies solche Leute, welche
allerlei grimmige böse Gedanken hatten oder Worte des Fluchs und Hohns
ausstießen. Über dem Herrn aber sah ich während der Kreuzigung oft große
weinende Engelgestalten und Glorien erscheinen, in denen ich bloß kleine
Angesichte erkannte. Solche Engel des Mitleids und Trostes sah ich auch über der
heiligen Jungfrau und allen Wohlgesinnten stärkend und aufrichtend erscheinen.
Nun aber rissen die Schergen
unserem Herrn den Mantel ab, der ihm um den Oberleib geschlungen war. Sie nahmen
ihm den Fesselgürtel ab und seinen eigenen Gürtel und rissen ihm das wollweiße
Oberkleid über das Haupt, es hatte einen Brustschlitz, mit Riemen verbunden.
Dann nahmen sie ihm die lange schmale Halsbahn von den Schultern, und da sie ihm
den braunen ungenähten Rock, den ihm seine Mutter gewirkt hatte, nicht über die
breite Dornkrone ziehen konnten, rissen sie ihm die Krone vom Haupt, alle dessen
Wunden neu eröffnend, schürzten ihm dann den gewirkten Rock und zogen ihm
denselben mit vermaledeitem Hohn über das blutende, wundenvolle Haupt aus.
Da stand der zitternde Sohn
des Menschen, mit Blut, Schwielen, vertrockneten Wunden und fließenden Wunden,
mit Striemen und Flecken bedeckt. Er hatte nur noch das kurze wollene Skapulier
über dem Oberleib und die Hülle des Unterleibes an. Das Skapulier war mit der
Wolle in seinen Wunden festgetrocknet und mit Blut in die neue tiefe Wunde
verklebt, welche ihm die Kreuzeslast in die Schulter gedrückt hatte, woran er
unaussprechlich litt. Unbarmherzig rissen sie ihm das Skapulier von der Brust,
und erstand schrecklich zerrissen und verschwollen in seiner Nacktheit, die
Schulter und Achsel waren bis auf die Gebeine zerrissen, und die weiße Wolle des
Skapuliers klebte hie und da auf den Wundrinden und im trockenen Blut seiner
Brust. Nun rissen sie ihm den letzten Gürtel von den Hüften, er stand nackt und
krümmte sich schamhaft, und als er ihnen unter den Händen umzusinken drohte,
setzten sie ihn auf einen herbeigewälzten Stein, stießen ihm die Dornenkrone von
neuem wieder auf das Haupt und boten ihm das andere Gefäß mit Essig und Galle
zum Trinken dar, doch er wendete schweigend das Haupt ab. Jetzt aber, da die
Schergen ihn an den Armen, mit denen er seine Blöße bedeckte, anpackten und
aufrichteten, um ihn auf das Kreuz zu werfen, erhob sich Ärger, lautes Murren
und Wehklagen unter allen seinen Freunden über die schmähliche Entblößung.
Seine Mutter betete heftig,
sie war im Begriff, ihren Schleier abzureißen und, in den Kreis dringend, ihm
denselben als Hülle zu reichen, aber Gott erhörte sie; denn in diesem Augenblick
stürzte ein Mann, der vom Tor, quer durch alles Volk durch, außer dem Weg
heraufgelaufen war, geschürzt und außer Atem in den Kreis unter die Schergen und
reichte Jesus ein Tuch, welcher dieser dankend annahm und so um die Mitte des
Leibes wand, daß das längere Ende zwischen den Beinen hindurch rückwärts wieder
durch den Bund geschlungen war. Dieser von Gott durch das Gebet der heiligen
Jungfrau erflehte Wohltäter seines Erlösers hatte in seinem Ungestüm etwas
Gebieterisches, er drohte mit der Faust gegen die Schergen und sagtem nichts
als: «Und daß ihr den armen Menschen sich bedecken laßt!» Er sprach mit niemand
sonst und eilte ebenso schnell, wie er herangekommen, wieder von dannen. Es war
Jonadab, der Neffe des heiligen Joseph, aus der Gegend von Betlehem, der Sohn
des Bruders, dem Joseph nach Christi Geburt den übrigen Esel verpfändet hatte.
Er war kein entschiedener Freund Jesu, auch heute hatte er sich ferngehalten und
überall herumgestanden. Schon als er von der Entblößung bei der Geißelung hörte,
ergrimmte er, und da die Kreuzigung nahte, ergriff ihn eine ungemeine Angst im
Tempel. Während die Mutter Jesu auf Golgota zu Gott schrie, ward Jonadab
plötzlich von einem unwiderstehlichen Trieb ergriffen, er mußte aus dem Tempel
hinaus zum Kalvarienberg eilen, die Blöße des Herrn zu bedecken. Er fühlte mit
Unwillen in seiner Seele die Schmach Chams, welcher der Blöße des mit Wein
berauschten Noahs spottete, und mußte eilen, wie ein neuer Sem die Scham des
Keltertreters zu bedecken. Die Kreuziger aber waren Chamiten, und Jesus trat die
blutige Kelter des neuen erlösenden Weines, als ihn Jonadabbedeckte. Diese
Handlung war die Erfüllung eines Vorbildes und wurde belohnt, wie ich später sah
und erzählen werde.
Anna Katharina Emmerich - Das bittere
Leiden unseres Herrn Jesus Christus