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*Anbetung live*

Anna Katharina Emmerich (1)

 

Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus

 

Sollten die folgenden Betrachtungen unter vielen ähnlichen Früchten der kontemplativen Jesusliebe sich irgend auszeichnen, so protestieren sie doch feierlich auch gegen den mindesten Anspruch auf den Charakter historischer Wahrheit. Sie wollen nichts, als sich demütig den unzählig verschiedenen Darstellungen des bitteren Leidens durch bildende Künstler und fromme Schriftsteller anschließen und höchstens für vielleicht ebenso unvollkommen aufgefasste und erzählte, als ungeschickt niedergeschriebene Fastenbetrachtungen einer frommen Klosterfrau gelten, welche solchen Vorstellungen nie einen höheren als einen menschlich gebrechlichen Wert beilegte und daher einer fortwährenden inneren Mahnung zur Mitteilung nur aus Gehorsam gegen den wiederholten Befehl ehrwürdiger Gewissensführer mit Selbstüberwindung Folge leistete.

Anna Katharina Emmerich

 

Auszug:

Jesus zur Kreuzigung entkleidet und mit Essig getränkt Es gingen nun vier Schergen nördlich die siebzig Schritte zu der Kerkergrube hinab und rissen Jesus heraus, der da zu Gott um Stärkung gefleht und sich nochmals für die Sünden seiner Feinde aufgeopfert hatte. Sie schleppten ihn treibend, schlagend und höhnend diesen letzten Pfad seines Leidens. Das Volk schaute und höhnte, die Soldaten brüsteten sich kalt und ernst, Ordnung haltend, die Schergen empfingen ihn grimmig und hereinreißend in den Kreis. Als die heiligen Frauen Jesus herankommen sahen, gaben sie einem Mann Geld, das er den Schergen nebst dem Gefäß mit Gewürzwein bringen sollte, auf daß sie ihn erquicken möchten.

Diese Schurken jedoch gaben ihm den Wein nicht, sondern tranken ihn nachher selbst. Sie hatten aber zwei braune Gefäße dastehen, in dem einen waren Essig und Galle, in dem andern eine Art Essigbärme; es sollte Wein sein mit Wermuth und Myrrhe, und sie hielten dem gebundenen Heiland von dem letzteren Getränk einen braunen Becher an die Lippen; er versuchte und trank nicht. Es waren achtzehn Schergen in dem Richtkreis, die sechs Geißler, die vier Ausführer, die zwei Kreuzstrickhalter und sechs Kreuziger. Sie waren teils hier beschäftigt, teils waren sie bei den Schächern und arbeiteten und soffen abwechselnd. Es waren schmutzige, halbnackte, kleine, starke Menschen mit fremden Gesichtern, struppigem Haar, stoppligem Bart, greulich und viehisch. Sie dienten Römern und Juden um Geld.

Der Anblick von allem diesem ward mir dadurch noch schrecklicher, daß ich auch das den andern unsichtbare Böse hier in seiner Gestalt sehen mußte. Ich sah nämlich große furchtbare Teufelsgestalten zwischen allen diesen grausamen Menschen tätig, als reichten sie ihnen alles, als rieten und hülfen sie zu allem, und unzählige kleine gräßliche Erscheinungen aller Gestalten von Kröten, Schlangen und Drachen mit vielen Klauen und aller Arten greulichen giftigen Ungeziefers sah ich um die Umgebung wie verfinsternd schwärmen. Sie schossen den Leuten ins Maul, in den Busen, saßen auf ihren Schultern, und es waren dies solche Leute, welche allerlei grimmige böse Gedanken hatten oder Worte des Fluchs und Hohns ausstießen. Über dem Herrn aber sah ich während der Kreuzigung oft große weinende Engelgestalten und Glorien erscheinen, in denen ich bloß kleine Angesichte erkannte. Solche Engel des Mitleids und Trostes sah ich auch über der heiligen Jungfrau und allen Wohlgesinnten stärkend und aufrichtend erscheinen.

Nun aber rissen die Schergen unserem Herrn den Mantel ab, der ihm um den Oberleib geschlungen war. Sie nahmen ihm den Fesselgürtel ab und seinen eigenen Gürtel und rissen ihm das wollweiße Oberkleid über das Haupt, es hatte einen Brustschlitz, mit Riemen verbunden. Dann nahmen sie ihm die lange schmale Halsbahn von den Schultern, und da sie ihm den braunen ungenähten Rock, den ihm seine Mutter gewirkt hatte, nicht über die breite Dornkrone ziehen konnten, rissen sie ihm die Krone vom Haupt, alle dessen Wunden neu eröffnend, schürzten ihm dann den gewirkten Rock und zogen ihm denselben mit vermaledeitem Hohn über das blutende, wundenvolle Haupt aus.

Da stand der zitternde Sohn des Menschen, mit Blut, Schwielen, vertrockneten Wunden und fließenden Wunden, mit Striemen und Flecken bedeckt. Er hatte nur noch das kurze wollene Skapulier über dem Oberleib und die Hülle des Unterleibes an. Das Skapulier war mit der Wolle in seinen Wunden festgetrocknet und mit Blut in die neue tiefe Wunde verklebt, welche ihm die Kreuzeslast in die Schulter gedrückt hatte, woran er unaussprechlich litt. Unbarmherzig rissen sie ihm das Skapulier von der Brust, und erstand schrecklich zerrissen und verschwollen in seiner Nacktheit, die Schulter und Achsel waren bis auf die Gebeine zerrissen, und die weiße Wolle des Skapuliers klebte hie und da auf den Wundrinden und im trockenen Blut seiner Brust. Nun rissen sie ihm den letzten Gürtel von den Hüften, er stand nackt und krümmte sich schamhaft, und als er ihnen unter den Händen umzusinken drohte, setzten sie ihn auf einen herbeigewälzten Stein, stießen ihm die Dornenkrone von neuem wieder auf das Haupt und boten ihm das andere Gefäß mit Essig und Galle zum Trinken dar, doch er wendete schweigend das Haupt ab. Jetzt aber, da die Schergen ihn an den Armen, mit denen er seine Blöße bedeckte, anpackten und aufrichteten, um ihn auf das Kreuz zu werfen, erhob sich Ärger, lautes Murren und Wehklagen unter allen seinen Freunden über die schmähliche Entblößung.

Seine Mutter betete heftig, sie war im Begriff, ihren Schleier abzureißen und, in den Kreis dringend, ihm denselben als Hülle zu reichen, aber Gott erhörte sie; denn in diesem Augenblick stürzte ein Mann, der vom Tor, quer durch alles Volk durch, außer dem Weg heraufgelaufen war, geschürzt und außer Atem in den Kreis unter die Schergen und reichte Jesus ein Tuch, welcher dieser dankend annahm und so um die Mitte des Leibes wand, daß das längere Ende zwischen den Beinen hindurch rückwärts wieder durch den Bund geschlungen war. Dieser von Gott durch das Gebet der heiligen Jungfrau erflehte Wohltäter seines Erlösers hatte in seinem Ungestüm etwas Gebieterisches, er drohte mit der Faust gegen die Schergen und sagtem nichts als: «Und daß ihr den armen Menschen sich bedecken laßt!» Er sprach mit niemand sonst und eilte ebenso schnell, wie er herangekommen, wieder von dannen. Es war Jonadab, der Neffe des heiligen Joseph, aus der Gegend von Betlehem, der Sohn des Bruders, dem Joseph nach Christi Geburt den übrigen Esel verpfändet hatte. Er war kein entschiedener Freund Jesu, auch heute hatte er sich ferngehalten und überall herumgestanden. Schon als er von der Entblößung bei der Geißelung hörte, ergrimmte er, und da die Kreuzigung nahte, ergriff ihn eine ungemeine Angst im Tempel. Während die Mutter Jesu auf Golgota zu Gott schrie, ward Jonadab plötzlich von einem unwiderstehlichen Trieb ergriffen, er mußte aus dem Tempel hinaus zum Kalvarienberg eilen, die Blöße des Herrn zu bedecken. Er fühlte mit Unwillen in seiner Seele die Schmach Chams, welcher der Blöße des mit Wein berauschten Noahs spottete, und mußte eilen, wie ein neuer Sem die Scham des Keltertreters zu bedecken. Die Kreuziger aber waren Chamiten, und Jesus trat die blutige Kelter des neuen erlösenden Weines, als ihn Jonadabbedeckte. Diese Handlung war die Erfüllung eines Vorbildes und wurde belohnt, wie ich später sah und erzählen werde.

Anna Katharina Emmerich - Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus

 

 
 

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